Gegen die Wand
Die Partei der Nichtwähler legt ordentlich zu – Die Linke mit überdurchschnittlichem Ergebnis, SPD und CDU verlieren erdrutschartig
(hk) Wer hätte damit gerechnet: Nach der “Watschen”, die die Wilhelmshavener WählerInnen der SPD und insbesondere ihrem Zugpferd Wilfrid Adam bei der Landtagswahl 2003 gaben, wurde Norbert Schmidt so abgestraft, dass er einem schon fast leid tut.
Wählten 1994 noch 26.116 (54,8%) BürgerInnen den Direktkandidaten der SPD, waren es 1998 nur noch 24.688 (52,1%) und im “Schicksalsjahr 2003” konnte Wilfrid Adam man gerade noch 16.560 (41,7%) WählerInnen hinter sich scharen. Und nun Norbert Schmidt mit blamablen 10.252 (31,5%) Stimmen.
Ein Niedergang, wie ihn Norbert Schmidt eingefahren hat, ist kein zwangsläufiges Trendergebnis, wie Olaf Lies im Nachbarwahlkreis bewies. Hier holte seine Partei trendmäßige 34%, während Olaf Lies mit 41,1% den Wahlkreis für sich gewinnen konnte.
Das Ergebnis in Wilhelmshaven zeigt, dass die WählerInnen vom SPD-/CDU-Geklüngel die Nase voll haben. Herausragende Ergebnisse in Wilhelmshaven sind die Steigerung der “Partei der Nichtwähler” von 38,4 auf 48,2%, der Verlust von 7.127 Stimmen für den CDU-Direktkandidaten Biester, der Verlust von 6.308 Stimmen für den Direktkandidaten der SPD Norbert Schmidt und natürlich die 10,7% (3.472 Stimmen) Erststimmen für Anette Nowak, die Kandidatin der Linken, die bei den Zweitstimmen sogar 11,3% (3.698 Stimmen) gewann. Werner Biehl holte mit 8,6% die Grünen aus dem 2003-Tief von 4,8% bei den Erststimmen, sein Zweitstimmenergebnis kann sich mit einem Plus von 222 Stimmen (von 5,8 auf 7,7%) durchaus sehen lassen. Auch Frau Bauermeister konnte bei den Erststimmen punkten und brachte die FDP von 4,4 auf 7,3% (ein Zugewinn von 648 Stimmen). Aber auch sie schwächelte mit +52 bei den entscheidenden Zweitstimmen, was aber immerhin einen prozentualen Aufstieg von 6,6 auf 8,1% bedeutete (hier sieht man deutlich, wie sich die geringe Wahlbeteiligung auswirkt).
Und der Rest? Die Freien Wähler erreichen mit 1.300 Erststimmen immerhin 4,0%, bei den Zweitstimmen sind es dann allerdings nur noch 663 Stimmen oder 2,0%. Der NPD gaben noch ca. 700 WilhelmshavenerInnen ihre Stimme – das bedeutet, dass sie von 0,7% 2003 (da kandidierten die Republikaner) auf 2,1% in diesem Jahr aufstiegen.
Die Ursache für den Rückgang der Wahlbeteiligung von 61,6 auf 51,8% (40.393 / 33.683) macht deutlich, mit welcher Wucht die Politiker den Wagen schon vor die Wand gefahren haben, denn auch hier liegt Wilhelmshaven ganz unten – es gibt nur zwei Wahlkreise in Niedersachsen mit einer noch geringeren Wahlbeteiligung. Und dieser Rückgang ist Ergebnis der Gesamtpolitik der großen Parteien in Wilhelmshaven. Sowohl die CDU als auch die SPD haben in den vergangenen Jahren demonstriert, was sie von den Wählern halten – nämlich nichts. Die SPD hat in den vergangenen Jahren dabei die CDU noch übertroffen.
Das erste große Thema wäre die Industrieansiedlungs- und Umweltpolitik. Die Wilhelmshavener Umweltpolitik richtet sich in keiner Weise an irgendwelchen Parteiprogrammen oder grundsätzlichen Erwägungen aus. Die Umweltpolitik in Wilhelmshaven wird von den großen Konzernen betrieben. Bei der jetzt aktuellen Ansiedlung des Electrabel-Kohlekraftwerks wird das auf erschreckende Weise deutlich. Nicht die SPD oder die Verwaltung legen die Prämissen für die Umweltauflagen fest. Die Firma Electrabel teilt der Stadt Wilhelmshaven mit, wie ihr Kraftwerk ausgelegt ist, welche Umweltprobleme (angeblich nicht) existieren, und die Stadt Wilhelmshaven macht sich in einem Partnerschaftsvertrag zum Büttel des Energieriesen. Die Stadt verpflichtet sich auch noch in diesem Vertrag, die Interessen des Konzerns gegenüber den Bürgern der Stadt zu vertreten. Und das macht sie auch, wie die Veranstaltung gegen die Ärzteinitiative oder das Faltblatt-Pamphlet zur Kraftwerksansiedlung eindeutig belegen. So etwas kann man doch nicht wählen!
Frau Ypsilanti hat in Hessen bewiesen, dass Umweltpolitik auch mit der SPD und gegen Lobbyisten wie Ex-Minister Clement möglich ist. Ein Satz aus ihrem Programm: “Die Energiewende ist die größte wirtschaftliche Chance, die wir haben. In ihr schlummert das Potential von Milliarden-Investitionen und hunderttausenden neuer, sicherer Arbeitsplätze. (…) Allein der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist geeignet, die drei zentralen energiepolitischen und umweltpolitischen Ziele gleichzeitig zu verfolgen, nämlich sichere Versorgung mit elektrischer Energie, Ausstieg aus der Atomkraft und Erreichung der Klimaschutzziele.”
Wer bestimmt in Wilhelmshaven die Schulpolitik? Wer hat dafür gesorgt, dass die Helene-Lange-Schule zum Grundschulzentrum wird? Etwa die Eltern, die Lehrer? Ist es Zufall, dass das Gebäude der Helene-Lange-Schule jemandem gehört, der schon durch andere Projekte seine besondere Nähe zur Stadt Wilhelmshaven demonstrieren konnte? Und die Menschen in Wilhelmshaven wissen das!
Auch die Stadtsanierung ist ein Thema, welches die Menschen auf die Palme bringt. Gab es vor einigen Jahren noch den Versuch, die Projekte der sozialen Stadt zu realisieren, ist die Sanierungspolitik inzwischen zu einer lahmenden, fremdgesteuerten Straßenbau- und Fassadenanstreichpolitik verkommen. Völlige Konzeptionslosigkeit prägt die wenigen noch verbliebenen sozialen Projekte. Kein Wunder, denn die finanziellen Wurzeln der Sanierung liegen inzwischen in Australien (BBC) beim Eigner der Wohnungsbaugesellschaft Jade. Auch so etwas merken die Menschen nicht nur in der Südstadt!
Die Hafenpolitik der Stadt Wilhelmshaven? Es gibt sie nicht. Es gibt nur einen parteiübergreifenden Wettbewerb, wer von den Herren der Hafenwirtschaft am meisten geliebt wird. Kein eigenes Profil – kein Ziel. Und das gilt sowohl für den Binnenhafen als auch für den JadeWeserPort: die Parteien als Erfüllungsgehilfen der Hafenwirtschaft. Und wenn Norbert Schmidt dann auch noch poltert, dass er dafür sorgen wird, dass der Bau des JadeWeserPorts trotz der noch laufenden Verfahren sofort begonnen wird, ist das nur noch peinlich!
Diese Auflistung ließe sich wohl über alle Bereiche der städtischen Politik erweitern, von den Schwimmbädern bis zum Banter See, von der Wirtschaftsförderung bis zur Sozialpolitik – nirgends ist in Wilhelmshaven zu spüren, dass hier wirklich etwas im Interesse der BürgerInnen auf den Weg gebracht wird. Die Wahlergebnisse der letzten Jahre und im besonderen Maße das diesjährige Landtagswahlergebnis bringen eindeutig zum Ausdruck: Den WilhelmshavenerInnen reicht es!
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