Meine liebe Theda,
seit Du Deinen Kuddel geheiratet hast und mit ihm durch die Weltgeschichte segelst, weißt Du gar nicht mehr, was hier so los ist. Jedenfalls hast Du an meinen Geburtstag gedacht, hab mich über die Karte aus Trinidad ganz doll gefreut.
Und nun stell Dir mal vor, an dem Abend hat auf dem Rathausplatz ne richtig große Trachtenkapelle gespielt! Fand ich ja total nett von der Stadt, dass die sich so was Tolles für mich ausgedacht haben zu meinem Geburtstag. Aber das war ne Marineband, und du weißt ja, Militär und Krieg find ich doof und ist gar nicht meine Musik. Die hätten mich mal besser vorher fragen sollen, dann hätte ich mir was anderes ausgesucht, ne Punkband oder so.
Aber Mama sagt doch immer, wir sollen höflich sein, also bin ich da hin und wollte mich mal eben bei dem Menzel bedanken und mich entschuldigen, dass ich mir das nun nicht anhöre.
Wie ich vorm Cityhaus angekommen bin, standen da paar Freunde von mir mit nem Transparent, also einem Spruchband, wo draufstand, dass die sone Musik auch nicht gut finden. Mit denen hab ich bisschen geklönt. Als dann alle Zuschauer auf dem Rathausplatz waren, sind die mit dem Transparent losgezogen nach Hause. Weil das Konzert bald anfangen sollte, musste ich nun schnell da rein, um noch mit dem Menzel zu reden. Da standen aber am Eingang paar Uniformierte, und der Anführer, son Langer, hat gesagt, ich darf da nicht rein, weil ich mich ja mit den Leuten mit dem Transparent unterhalten habe. Der dachte echt, ich will Krawall machen auf dem Platz. Und das sollte doch alles einen friedlichen Eindruck machen. Also so Militär sieht ja eigentlich gar nicht friedlich aus, aber die vom Staat tun ja immer so als ob. An dem Abend war das Fernsehen auch noch da, und da ist son friedlicher Eindruck besonders wichtig.
Jedenfalls hatte der Lange wohl Angst, dass ich denen das ganze schöne Bild versaue. Hab ich ihn gefragt, ob ich irgendwie gewalttätig ausseh’. (Weißt ja, ich bin immer noch son schmales Hemd, obwohl Oma immer so lecker kocht.) Nee, sagt der Anführer, aber ich könnte ja laut brüllen. Und ob ich jetzt mit ihm diskutieren will. Nee, hab ich gesagt, mit Ihnen ganz bestimmt nicht. Ich kenn solche Typen von Demos gegen Nazis oder Atomkraftwerke. Die so ganz wichtig tun, haben immer am wenigsten Ahnung.
Ich hatte auch gar keine Zeit, mit dem zu reden, weil ich ja endlich zu Menzel musste. Also bin ich an einen anderen Eingang. Da standen auch so Aufpasser, aber die sahen viel netter und schlauer aus. Waren auch gemischt, also auch Polizisten. Trotzdem dachte ich, gehste mal auf Nummer sicher. Hab ich die also erstmal gefragt, was fürn Konzert das denn ist. Das fanden die lustig, Konzert ist gut, sagt der eine. Dann ham die mir aber erklärt, dass das ein Zapfenstreich ist und die den deshalb machen, weil die Marine 50. Geburtstag hat. Ach so, hab ich gesagt und gefragt, ob das Eintritt kostet. Da mussten die netten Aufpasser wieder lachen und haben gesagt, nee, ich kann da so durchgehen. Der eine meinte aber noch, das lohnt sich gar nicht. Ich soll mal lieber noch bisschen mit dem Rad durch die Gegend fahren, war ja son richtig lauer Abend. Ich bin dann aber eben kurz gucken gegangen.
Da stand also die Kapelle vor der Rathaustreppe, mit Flöten und Trommeln und so. Daneben standen welche mit Fackeln in der Hand. Und ich hab mich schon gewundert, warum ich im Baumarkt fast keine mehr gekriegt hab für meine Gartenparty. Wenn die auch erst abends um halb elf anfangen mit ihrer Marschmusik, brauchen die natürlich Licht, damit sie die Töne auch treffen.
Ganz hinten stand ne Reihe Jungs im Matrosenanzug. Und gegenüber, auf einem Podest, standen der Menzel und noch zwei andere. Waren vielleicht so als Cheerleader gedacht, ham wir doch mal im Fernsehen beim Football gesehen, die Deerns, die immer gute Stimmung machen sollen. Aber die auf dem Podest konnten das gar nicht richtig, hatten auch keine solche Röckchen an und haben auch nicht mit Stangen rumgefuchtelt. Die standen da stocksteif, alle drei.
Und mittenmang lief immer einer rum und brüllte dazwischen. Hab ich mich gewundert, dass die den reingelassen haben. So laut könnte ich im Leben nicht brüllen und trotzdem hat der Aufpasser den reingelassen und mich nicht. Das fand ich denn schon ungerecht.
Da bin also wieder zurück zu den netten Aufpassern und hab denen gesagt, dass sie Recht haben, das ist echt voll langweilig. Und dass ich jetzt gucken geh, ob Angola doch noch ein Tor geschossen hat. Die haben nämlich an dem Abend gegen Portugal gespielt. Das fanden die Aufpasser auch viel interessanter als die Trachtenkapelle und haben gleich nachgefragt, wie es denn stand, als ich losgefahren bin. Hab ich ihnen gesagt, dass Portugal 1:0 führt. Dann haben wir uns noch einen guten Abend gewünscht und ich bin los.
War ich jedenfalls froh, dass die den ganzen Aufwand gar nicht für mich gemacht haben. Das kostet ja alles furchtbar viel Geld. Die Militärkapelle und das Ballett wird extra aus Berlin eingeflogen und dann die ganze Bewachung und so. Und das zahlt ja nicht die Rüstungsindustrie, obwohl die das eigentlich als Werbungskosten absetzen könnten. Sondern das zahlt zum Beispiel auch Oma, und die schimpft immer wie ein Rohrspatz, wenn die nur ne Uniform sieht, nach all dem, was sie im Krieg so erlebt hat.
Oma hat an dem Abend natürlich Fußball geguckt, ich glaub, die hat noch kein Spiel von der Weltmeisterschaft verpasst. Portugal hat dann gewonnen und als Oma im Bett war, hab ich umgeschaltet auf das Programm, wo sie den Zapfenstreich gefilmt haben. Da hab ich auch kapiert, warum die Zuschauer nicht so dicht dran durften wie die Kamera. Ich glaub nämlich jetzt, die waren alle gar nicht echt. Der eine Typ, der da von Rechts wegen gar nicht reingedurft hätte, brüllte gerade: Helm ab zum Gebet! Da zogen die Ballett-Soldaten alle gleichzeitig ihren Helm runter und hielten ihn vor die Brust, alle genau gleich. Das sah aus wie in dem Computerspiel von unserm Neffen, da sehen die Figuren ja auch aus wie echt und dann hat Enno uns doch erklärt, dass man das animiert nennt. Wahrscheinlich spart das ganz schön Geld, wenn die keine echten Soldaten nehmen, sondern so animierte.
Dann standen die Animateure da ewig mit dem Helm vor der Brust und die Kapelle spielte ein Lied, wo der Fernsehsprecher sagte, das heißt: Ich bete an die Macht der Liebe. Da war ich froh, dass Oma schon im Bett war. Wenn die das gehört hätte, dass da welche mit Gewehren und Uniform stehen und das was mit Liebe zu tun haben soll, hätte sie wieder das Bild rausgeholt von 1941, wo Opa im Matrosenanzug steht, und danach hat sie ihn ja nie wiedergesehen, und dann hätte sie wieder so doll geweint.
Der Menzel war aber wohl echt. Und um den hab ich mir richtig Sorgen gemacht. Am Ende ham sie noch die Nationalhymne gespielt und da hat er sich die ganze Zeit ans Herz gefasst, so wie Oma, wenn sie zu schnell die Treppe hoch ist. Der Menzel stand schon ne knappe Stunde auf dem Podest und konnte nicht einfach weggehen und sich irgendwo hinsetzen, weil ja alle zugeguckt haben. Ich dachte, gleich kippt der aus den Latschen. Die Ballettsoldaten üben das ja den ganzen Tag mit dem langen Stehen, und trotzdem fällt da immer mal wieder einer um, hab ich gelesen in sonem Buch über „Militärrituale“. Den umgefallenen Soldaten ziehen sie dann nach hinten weg und stellen einen neuen dahin, damit man kein Loch in der Reihe sieht. Aber wenn son Oberbürgermeister umfällt, da hat man ja nicht immer gerade einen in Reserve. Hätte man sich vielleicht noch den Böhling ausleihen können von Schortens, aber der ist ja viel größer und dünner als der Menzel und das wär dann schon aufgefallen.
Der Menzel ist dann aber doch bis zum Schluss nicht umgekippt und als er endlich in sein Auto stieg, war ich ganz schön erleichtert.
Am Schluss hat dann eine vom Fernsehen noch mit sonem ganz hoch Dekorierten über die Vorführung gesprochen, so wie der Delling immer mit dem Netzer. Der sollte auch sagen (der Offizier, nicht der Netzer), wie er die Leute mit dem Transparent fand. Da hat der gesagt, denen müsse nur mal einer richtig erklären, dass son Zapfenstreich eigentlich so was ist wie ne Veranstaltung von der Friedensbewegung. Oder so ähnlich.
Ich fand das nicht. Wie ich die so gesehen hab mit den Gewehren und die haben so voll animiert alles gemacht, was der eine da gebrüllt hat, hab ich richtig Angst gekriegt. War froh, als das alles um war.
Du siehst, hier ist immer was los. Wird auch dauernd alles moderner. Vor allem tun sie endlich was dagegen, dass die Wilhelmshavener immer weniger werden. Stell Dir vor, in der Nordseepassage gibt es jetzt eine Neubürgeragentur. Das funktioniert so: Wenn zum Beispiel einer aus Oldenburg kommt und da bummeln geht und so zufällig in die Agentur reinstolpert, kriegt er da erklärt, wie schön das hier ist. Dann kann er sofort ein Baugrundstück oder eine Wohnung kriegen und sein Auto ummelden und gleich hier bleiben. Voll praktisch.
Damit die Neubürger einen guten Eindruck kriegen, muss das ringsrum schön ordentlich aussehen. In der Marktstraße haben sie doch neu gepflastert, und da machen sie immer so tüchtig sauber, dass gleich der ganze Sand zwischen den Steinen rausgefegt wird. Nun ist das schöne neue Pflaster schon wieder ganz schief, aber fein sauber isses. Nur die festgetretenen Kaugummis kriegen sie nicht ab. Wenn da also einer mit nem Kaugummi im Mund in die Neubürgeragentur reinspaziert kommt, den nehmen sie gar nicht erst.
Die vielen Neubürger, also die ohne Kaugummi, wollen dann erstmal einen Spaziergang ans Wasser machen. Damit die auch alle Platz haben, hat die Stadt jetzt den schmalen Weg zur Deichbrücke und die Grünanlage ringsrum weggemacht und eine maritime Allee daraus gemacht. Das erkennt man daran, dass alles gepflastert ist mit einem blauen Strich in der Mitte.
So, jetzt muss ich aber Schluss machen.
Bis bald, viele Grüße von Deiner Schwester
Edda
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