Aus der Schule geplaudert
Jul 052006
 

Aus der Schule

Was war in letzter Zeit schulpolitisch los?

Es scheint ganz so, als ob die OECD-Größen die „Wilhelmshavener Zeitung“ nicht aufmerksam lesen! Da hat doch schon vor Monaten der Chefradakteur Klaas Hartmann, damals in Erwiderung auf einen UN-Inspektor aus Costa Rica (!), genau erklärt, dass für Deutschland nicht gilt, was im Rest der Welt stimmt. (Wir berichteten in unserer Ausgabe 215.) Und nun versucht uns schon wieder jemand in unser Schulsystem reinzuquatschen!

„Schule versagt bei Kindern von Migranten“, titelte die „WZ“ am 16.05. „Während sich in nahezu allen anderen Staaten die Schulleistungen von Zuwandererkindern mit Dauer des Aufenthaltes ihrer Familien verbessern, werden sie in Deutschland deutlich schlechter. … Dabei seien die untersuchten 15-jährigen Migrantenkinder in Deutschland ‚hochmotiviert’ und zeigten ‚ein hohes Maß an Lerninteresse’, sagte die OECD-Bildungsdirektorin, Barbara Ischinger.“ (Hmmm – der Name klingt aber nicht nach Costa Rica oder sonst einem unbedeutenden fernen Land!) „Eine Ursache für das schlechte deutsche Abschneiden sieht Ischinger in der frühen Aufteilung von zehnjährigen Schülern auf verschiedene Schulformen und in der Konzentration von Ausländer- und Problemkindern in den Hauptschulen.“
Nun hat unser Bundesland Niedersachsen ja gerade erst vor kurzem diese frühe Aufteilung wieder eingeführt, nachdem die Selektion jahrzehntelang erst zwei Schuljahre später vorgenommen worden war. Die von Frau Ischinger gerügten Zustände hatten sich bei der PISA-Studie 2003 gezeigt, und in diesem Jahr erst wurde Bernd Busemann niedersächsischer Kultusminister. Und der ist ein entschiedener Anhänger der Hauptschule. Er hat sie „aufgewertet“ (indem er die Stunden für theoretischen Unterricht zu Gunsten von handwerklichem Training vermindert hat und die Lehrpläne noch weiter von denen für die Realschulen entfernt hat, so dass ein Schulwechsel von der Haupt- zur Realschule fast unmöglich geworden ist), und sein Wilhelmshavener Fan Uwe Biester hat schon herausgefunden, dass die niedersächsische Schulpolitik „Erfolg“ hat („WZ“ vom 09.02.06).
Nach dem Hilferuf der Lehrkräfte der Berliner Rütli-Schule wurde aus vielen Teilen der Republik berichtet, dass es an Hauptschulen vielerorts Gewalt gibt. Das gab der Forderung nach Abschaffung der Hauptschulen neue Nahrung. Nach der „Aufwertung“ der Hauptschule in Niedersachsen haben die niedersächsischen Eltern dieser Schulform ja schon ihre Absage erteilt. Schon im November 2005 meldete die „WZ“ auf der Niedersachsenseite unter dem Titel „Hauptschulen verlieren weiter an Boden“, dass zum jetzt zu Ende gehenden Schuljahr nur 16,5 % der Kinder an Hauptschulen angemeldet wurden, während 26,6 % eine Hauptschulempfehlung von ihrer Grundschule bekommen hatten. Sowas! Da hat Busemann sich etwas ganz Tolles ausgedacht, und die Leute nehmen es nicht an! Undank ist der Welt Lohn! Aber sie werden es schon noch einsehen: „Laut Busemann braucht die Schulform mehr Zeit zur Entwicklung.“ („WZ“, 11.11.05) Weg kommt die Hauptschule jedenfalls bestimmt nicht, wenn es nach der CDU geht: Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU) „wandte sich gegen eine Abschaffung der Hauptschule. Die dortigen Lehrer sollten vielmehr Leistungszulagen erhalten.“ („WZ“, 06.04.06) – Das ist ja mal eine Idee! Aber wo soll das hinführen, wenn die gottgewollte Ordnung der Dinge, dass die, die die schwerste Arbeit tun, am wenigsten dafür kriegen, erst mal angekratzt wird?!?!
Vorerst kriegen sie aber keine Leistungszulagen, sondern müssen sich mit „guten Noten“ begnügen: Die Hauptschule Bremer Straße wurde im Mai einer Schulinspektion unterzogen. Dieses neue Instrument gibt es bislang ausschließlich in Niedersachsen; seit Februar erst sind die 25 Schulinspektoren im Einsatz. Die Hauptschule Bremer Straße war die erste Schule in Wilhelmshaven, die inspiziert wurde, und sie blickt stolz auf eine gute Bewertung. Glückwunsch für das Kollegium, das „eine Schülerschaft, die aus vielen unterschiedlichen Kulturen stammt, zur Ausbildungsfähigkeit führt“ („WZ“, 19.05.06) – schade nur, dass es hier in Wilhelmshaven und Umgebung längst nicht genügend Ausbildungsplätze für alle AbsolventInnen geben wird.
Das Zentralabitur! Busemannseidank hat auch Niedersachsen als eines der letzten Bundesländer diese Errungenschaft. Ganz so reibungslos wie von Busemann im Interview mit „News&Sound“ in der „WZ“ vom 23.02.06 vorhergesagt hat, verlief es natürlich nicht. Dass irgendwo im Land ein zerstreuter Lehrer die Klausuren dreier Schüler in den Müll geworfen hat, hat bestimmt nichts mit den neuen Bedingungen zur tun. Doch dass in Jever am Mariengymnasium 17 SchülerInnen im schriftlichen Mathe-Abi eine Aufgabe nicht lösen konnten, weil sie den falschen Taschenrechner hatten (landesweit waren 10 Schulen von diesem Problem betroffen), wäre zu vermeiden gewesen, hatte doch ein Jeveraner Mathelehrer schon Monate vorher – ohne Erfolg – auf das Problem hingewiesen („WZ“, 05.05.06).
„Im Land fehlen Lehrer“, alarmierte die „WZ“ schon am 13.10.05. Waren nicht gleich im Jahr des Regierungswechsels zahlreiche neue Lehrkräfte eingestellt worden? Nun schlugen die Gymnasialdirektoren jüngst erneut Alarm: Es gibt Unterrichtsausfälle in Mathematik, Physik, Chemie, Französisch, Latein, Spanisch und Musik – die Unterrichtsversorgung an den Gymnasien wird im kommenden Schuljahr nur 97,5 % betragen. („Alarm: Schulen fehlen die Lehrer“, „WZ“ vom 31.05.06) Nun bedeutet eine errechnete Unterrichtsversorgung von 97,5 % keineswegs, dass 97,5 % aller vorgesehenen Unterrichtsstunden auch gehalten werden, sondern lediglich, dass dieser Unterricht erteilt wird, wenn sonst nichts ausfällt (wegen Krankheit, Fortbildung, Sonderurlaub usw.). Und dass trotz der Rekrutierung von Lehrkräften 2003 und 2004 die LehrerInnen an den Gymnasien nicht reichen, wenn man für das ehrgeizige Projekt „Abi12“ die Stunden von neun Schuljahren in acht Schuljahre quetschen, also mehr Wochenstunden erteilen muss, ist eigentlich nicht erstaunlich.
Schlimmer als an den Gymnasien sieht es jedoch an den Berufsschulen aus. „Bei einem Treffen der Personalvertreter von Schulen aus Jever, Varel, Wittmund und Wilhelmshaven wurde übereinstimmend festgestellt, dass die Unterrichtsversorgung“ (an den BBSen) „nicht einmal 90 Prozent erreicht. Und aufgrund der riesigen Anmeldezahlen für das kommende Schuljahr (u.a. mangels ausreichender Lehrstellen) wird dann die Versorgung drastisch sinken auf Werte nahe der 80 Prozent“, schreibt Lutz de la Sauce in seinem Leserbrief in der „WZ“ vom 09.06.06. Na Klasse!

Anette Nowak

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