Die Hoffnungen waren groß...
…doch die Realität ist nicht so.
(hk) Mit diesen Worten eröffnete Bernd Tobiassen von der Migrationsberatung des Deutschen Roten Kreuzes Aurich eine Veranstaltung zum Thema „Bleiberecht“ im Gemeindehaus der Banter Kirche. Neben Tobiassen stellte sich auch Ralf Pleitz von der Wilhelmshavener Ausländerbehörde den Fragen der ZuhörerInnen.
Noch sind die Wogen der Empörung über die versuchte Abschiebung der Familie Mucaj nicht geglättet, da lässt die neue Bleiberechtsregelung die Wellen erneut hochschlagen. Die Innenministerkonferenz (IMK) hat im November 2006 geregelt, welche Voraussetzungen geduldete Ausländer (die trotz abgelehnten Asylbegehrens nicht abgeschoben werden können) erfüllen müssen, um in Deutschland bleiben zu können.
Die Hoffnungen auf diesen Beschluss der IMK waren sehr groß, doch es kam, wie so oft in Deutschland, völlig anders. Aus den Beratungen kam eine an Zynismus kaum noch zu überbietende Regelung heraus die, so eine Diskussionsteilnehmerin, eigentlich nur noch als „Abschieberegelung“ bezeichnet werden kann.
Zu einigen Punkten des Erlasses des Niedersächsischen Innenministeriums vom 6.12.2006 (zitiert nach DRK Aurich, Migrationsberatung):
Die Bleiberechtsregelung betrifft Familien bzw. Personen, die sich seit dem Stichtag 17.11.2000 bzw. 17.11.1998 (je nach Familienstand, Alter der Kinder usw.) in Deutschland aufhalten.
- Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis setzt voraus, dass der Lebensunterhalt aufgrund einer dauerhaften sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen gesichert ist und zu erwarten ist, dass der Lebensunterhalt auch in Zukunft gesichert sein wird.
- Die Familie verfügt über ausreichenden Wohnraum.
- Der Schulbesuch aller schulpflichtigen Kinder wird durch Vorlage von Zeugnissen oder eine Schulbescheinigung nachgewiesen.
- Alle in das Bleiberecht einbezogenen Personen verfügen bis zum 30.9.2007 über ausreichende mündliche Deutschkenntnisse (Stufe A 2).
- Bei Erteilung der Aufenthaltserlaubnis muss ein gültiger Nationalpass vorliegen.
- Es dürfen keine Ausschlussgründe vorliegen (siehe weiter unten).
Abschiebungsstopp bis 30.9.2007
Für AusländerInnen, die bisher nicht erwerbstätig sind, noch nicht im Besitz eines gültigen Nationalpasses sind oder noch nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen, aber sonst alle anderen Voraussetzungen der Bleiberechtsregelung erfüllen, wurde ein Abschiebestopp erlassen. Sie erhalten eine Duldung bis zum 30.9.2007, um diese Voraussetzungen bis dahin zu erfüllen.
Besteht derzeit noch kein oder nur ein unzureichendes Beschäftigungsverhältnis, wird nach Vorlage eines verbindlichen Arbeitsplatzangebotes, nach dem eine Arbeitsaufnahme innerhalb der nächsten zwei Monate erfolgt und das den Lebensunterhalt der Person/Familie ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen langfristig sichert, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis wird auch eine unbeschränkte Arbeitserlaubnis nach § 9 Beschäftigungsverfahrensverordnung erteilt, die eine Arbeitsaufnahme ohne rechtliche Hindernisse ermöglicht.
Ausschlussgründe
- vorsätzliche Täuschung über aufenthaltsrechtliche relevante Umstände (z.B. Identität, Herkunft)
- vorsätzliche Verzögerung oder Behinderung einer Abschiebung (z.B. Untertauchen, Verletzung von Mitwirkungspflichten, wenn dadurch Abschiebung verzögert oder verhindert wurde)
- Vorliegen von Ausweisungsgründen wegen Straftaten
- Verurteilung wegen einer Straftat (Geldstrafen bis 50 Tagessätze bleiben unberücksichtigt)
- Geldstrafen bis 90 Tagessätze wegen Verstößen gegen das Ausländergesetz/Aufenthaltsgesetz oder das Asylverfahrensgesetz bleiben unberücksichtigt)
- Verbindungen zu extremistischen oder terroristischen Gruppen
Ist ein Familienmitglied aus einem der genannten Gründe vom Bleiberecht ausgeschlossen, ist grundsätzlich die ganze Familie (Eltern und minderjährige Kinder) vom Bleiberecht ausgeschlossen.
Ausnahmeregelungen gibt es für Jugendliche, erwerbsunfähige und alte Personen.
Die höchsten Hürden sind, so Bernd Tobiassen, der gesicherte Lebensunterhalt und die Vorlage eines gültigen Nationalpasses.
Das geforderte Nettoeinkommen muss so hoch sein, dass der Lebensunterhalt aufgrund einer dauerhaften sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen gesichert ist und zu erwarten ist, dass der Lebensunterhalt auch in Zukunft gesichert sein wird.
Eine 5-köpfige Familie muss also ein Nettoeinkommen von 1333,10 Euro nachweisen. Ein solches Einkommen haben heute weder die Beschäftigten in Call-Centern, Reinigungsfirmen oder in der Gastronomie. Selbst wenn Mutter und Vater arbeiten, dürfte diese Hürde nur von wenigen zu überspringen sein.
Für viele Ausländer ist es beinahe unmöglich, gültige Nationalpapiere zu bekommen (z.B. solche aus Syrien, Libanon, Serbien). Doch, und das machte Bernd Tobiassen deutlich, die Ausländerbehörde wird keine Aufenthaltsgenehmigung erteilen, wenn kein Pass vorliegt. Von den Veranstaltungsbesuchern wurde die Passage „Ist ein Familienmitglied aus einem der genannten Gründe vom Bleiberecht ausgeschlossen, ist grundsätzlich die ganze Familie (Eltern und minderjährige Kinder) vom Bleiberecht ausgeschlossen“ als Sippenhaft bezeichnet.
Ralf Pleitz von der Wilhelmshavener Ausländerbehörde brachte Zahlen ins Spiel. In Wilhelmshaven wohnten zum Stichtag 265 geduldete Ausländer. Davon können, so Pleitz, 208 nicht berücksichtigt werden, weil irgendwelche Ausschlussgründe ein Bleiberecht ausschließen. Nur 57 könnten unter die Bleiberechtsregelung fallen, doch wie vielen davon letztendlich eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, vermochte Pleitz auch nicht zu bestimmen.
Einen breiten Raum nahm auch die Diskussion über das Verhalten der Agentur für Arbeit bei der Arbeitsvermittlung ein. Die von betroffenen Ausländern geschilderte Verzögerungspraxis der Wilhelmshavener Agentur für Arbeit sah Tobiassen als eindeutigen Verstoß gegen geltendes Recht an. „Die haben“, so Tobiassen, nur die Einhaltung der gesetzlichen Richtlinien des Arbeitsrechts zu prüfen, sonst nichts.“ Doch in Wilhelmshaven hat man das wohl noch nicht so ganz verstanden.
In einem von der Grünen Bundesvorsitzenden Claudia Roth und den niedersächsischen Landtagsabgeordneten Polat und Langhans unterzeichneten offenen Brief an Innenminister Schünemann heißt es:
Sehr geehrter Herr Innenminister,
Ihr gegenwärtiges öffentliches Auftreten gegen eine gesetzliche Bleiberechtsregelung auf Bundesebene veranlasst uns, Sie auf diesem Wege nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer solchen Regelung hinzuweisen und Sie aufzufordern, sich nicht gegen eine gesetzliche Bleiberechtsregelung zu stellen.
Eine wirksame Bleiberechtsregelung war und ist überfällig und wird seit Jahren angemahnt. Erst nach zahlreichen Protesten und Aktionen für das Bleiberecht haben Sie und die Innenministerkonferenz im November 2006 sich in Nürnberg einstimmig zu einem ersten Schritt bewegen lassen. Die Innenministerkonferenz hat sich zu einem allerdings unzureichenden Kompromiss durchgerungen, der zu viele Menschen von einem Bleiberecht ausschließt. Dies belegen die ersten Erfahrungen nach 100 Tagen IMK-Beschluss: So wurde in Niedersachsen erst 69 geduldeten Menschen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. (…) Eine wirksame gesetzliche Bleiberechtsregelung sollte nach unserer Meinung zumindest folgende Kriterien erfüllen:
- Die Begünstigten sollten keine Verlängerung des rechtswidrigen Status der Duldung, sondern sofort eine Aufenthaltserlaubnis bekommen.
- Das Bleiberecht darf nicht davon abhängig gemacht werden, ob bereits eine Arbeitsmöglichkeit besteht.
- Es dürfen keine unrealistischen Anforderungen an die Erfüllung der Mitwirkungspflichten gestellt werden.
- Außerdem muss klar sein – das ist der wichtigste Punkt -, dass diejenigen, die potenziell unter eine gesetzliche Bleiberechtsregelung fallen, nicht mehr abgeschoben werden.
Wir bitten Sie eindringlich, dafür zu sorgen, dass die Erteilung eines Bleiberechts an Jugendliche nicht von der Ausreise der Eltern abhängig gemacht wird. Regelungen, die einer Sippenhaft gleichkommen, widersprechen dem Prinzip eigenverantwortlichen selbstbestimmten Handelns und sind rechtsstaatlich bedenklich. Der faktische Ausschluss erwerbsunfähiger, alter, kranker und behinderter Menschen vom Bleiberecht, wie er im IMK-Beschluss enthalten ist, darf in eine Regelung auf Bundesebene keinen Eingang finden. Für besonders schutzbedürftige Gruppen, wie unbegleitete Minderjährige, Traumatisierte und Opfer von rassistischen Übergriffen, müssen andere Anforderungen an die Aufenthaltszeiten gestellt werden.
Die betroffenen AusländerInnen müssen bis zum 30. September 2007 alle geforderten Kriterien erfüllen – die Ausländerbehörde und auch die nichtstaatlichen Hilfs- und Unterstützerorganisationen haben dann keine Möglichkeit mehr, die Abschiebungen zu verhindern, das machten sowohl Bernd Tobiassen wie auch Ralf Pleitz deutlich.
Ein Teilnehmer zum Abschluss: Diese Bleiberechtregelung wurde nicht gemacht, um den Flüchtlingen die Möglichkeit des dauernden Aufenthalts in Deutschland zu ermöglichen, die Bleiberechtregelung wurde gemacht, um möglichst alle Flüchtlinge loszuwerden.
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