Apollo 2
Okt 012001
 

Moderne Zeiten

Wilhelmshavens Filmkunstkino fusioniert mit Kinopolis

(iz) Kollege Uwe Brams und viele andere sind schockiert: Mitte September schloss das Apollo, einziges Filmkunstkino und gleichzeitig letztes unabhängiges Einzelkino am Ort, seine Pforten – um sie zwei Tage später in den Räumlichkeiten des Multiplex-Kinos am Bahnhof wieder zu öffnen. Apollo-„Vater“ Michael Kundy ist jetzt nicht nur Teilhaber, sondern auch Betriebsleiter des Großkinos. Der GEGENWIND sprach mit ihm über Hinter- und Beweggründe seiner Entscheidung.

filmplakat 2Als Kundy Anfang des Jahres von der Kinopolis-Regionalmanagerin für Norddeutschland um ein Gespräch gebeten wurde, befürchtete er das Schlimmste. Nämlich, dass das Großkino in einem Saal ein Programmkino einrichten wollte, um dieses Marktsegment auch noch an sich zu reißen. So war es denn ja auch – nur dass der Plan nicht gegen, sondern mit Kundy umgesetzt werden sollte. Statt ihm den Todesstoß zu versetzen, wurde er gefragt, ob er mit seinem Programm ins Kinopolis einsteigen wolle, und darüber hinaus wurde ihm angeboten, gleich Leiter des gesamten Filmtheaters mit neun Sälen zu werden.
Er brauchte einige Zeit, um diese Überraschung zu verdauen. Soviel sei gesagt: Er hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Das Apollo war schließlich sein „Baby“. An einem langen Abend hat er uns vor Jahren mal die spannende Geschichte erzählt (GEGENWIND 97, Dezember 1990), wie er (vor jetzt 15 Jahren) das damals stillgelegte Apollo in der Bismarckstraße wiederentdeckte und in einer wahren Odyssee an die nötigen Kontakte kam, um es wieder mit Leben zu erfüllen. Später verfolgten wir seinen Konkurrenzkampf gegen das erste Kinozentrum am Rathaus. Als das Kinopolis aufmachte, ging er in die Offensive, sprach schon im Vorfeld mit den Betreibern darüber, wie man sich den Markt teilen könnte. Das war klug: Das Kinocenter am Rathaus wurde in kurzer Zeit vom Kinopolis erdrückt – das Apollo nicht. Dass entgegen der Absprachen doch mal ein Film, der fürs Apollo reserviert war, zwei Wochen vorher im Kinopolis anlief, lag in der Allmacht der Verleihe.
Von der Ausstattung her hat Kundy jetzt alles, was er im alten Apollo nicht realisieren konnte: bequeme, abgestufte Sitzreihen, modernste Bild- und Tontechnik, Klimaanlage, dazu eine deutlich größere Leinwand, ein gigantisches Foyer mit Kneipe. Weil die Verleihe mittlerweile über die Hälfte der eingespielten Einnahmen kassieren, ist der Verkauf von Speisen, Getränken und Merchandising-Artikeln heute ein wesentlicher Faktor für die Finanzierung von Kinobetrieben.
Hintergrund der lokalen Fusion von Filmkunst und Multiplex ist eine bundesweite Umstrukturierung bei allen Kinoketten. Die frühere Praxis, beliebige TheaterleiterInnen einzustellen, die in erster Linie etwas von Betriebswirtschaft verstanden, in der Regel aber wenig von Filmen, hat sich nicht bewährt. Für Wilhelmshaven waren beispielsweise 500.000 Besucher pro Jahr prognostiziert – statt umgerechnet 9500 Karten wöchentlich werden nur 3500 verkauft. Jetzt stellt man lieber Filmfachleute ein, im besten Fall Lokalmatadore, die spezielle Bedürfnisse ihres Publikums kennen. Dass, wie in Wilhelmshaven, der Betreiber eines örtlichen Filmkunstkinos mitsamt dem Kino übernommen wird, ist allerdings bislang bundesweit einmalig. Das waren die Bedingungen, an die Kundy seine Zusage geknüpft hat: Er konnte sich einen Saal aussuchen, in dem weiterhin das gewohnte Apollo-Programm mit allen Besonderheiten wie z. B. Vorfilmen läuft. Er entschied sich für einen Saal mittlerer Größe, die Nr. 7, direkt gegenüber Theke und Sitzbereich im Foyer. Der endgültige Name des „Apollo im Kinopolis“ steht noch nicht fest; Name und Logo des „Apollo“ (ohne Zusatz) sind rechtlich für die alten Räumlichkeiten in der Bismarckstraße geschützt.
Das Preisniveau wird dem des Kinopolis angepasst. Da es in allen Sälen an bestimmten Wochentagen Vergünstigungen gibt, werden, so Kundy, die Preise für Apollo-Besucher unterm Strich eher günstiger als bisher. Wichtig ist für Kundy, dass dem Publikum Fachleute für Fragen und Kritik zu Technik und Programm zur Verfügung stehen. Diese Möglichkeit hat schließlich das persönliche wie professionelle Flair des alten Apollo mit geprägt, das er ins Kinopolis herüberretten will. So oft wie möglich möchte er selbst als Ansprechpartner für das Publikum präsent sein.
Trotz Wehmut um den Abschied vom alten Apollo sieht Kundy im Neubeginn mit der jetzigen Konstellation nur Vorteile. Zudem hofft er, auch Besucher in den Filmkunstsaal zu ziehen, die sonst nur kommerzielle Produktionen in den Nachbarsälen konsumiert haben und nun, ohne Verzicht auf den gewohnten Komfort, gleich nebenan auf den Geschmack von Filmkunstkino kommen können.

Kommentar:

Storkys Entscheidung
„Wie konnte er das tun?“, entrüsten sich Apollo-Fans angesichts der Schließung „ihres“ Kinos. Meine Erwiderung: „Michael ist nicht das Sozialamt.“ Hätte „Storky“, wie ihn Freunde nennen, ausschließlich betriebswirtschaftlich gedacht, hätte er das Apollo schon vor Jahren schließen müssen. Nein, ihm war schon daran gelegen, ein Stück Gegenkultur zu erhalten in einer Zeit, wo der unsäglich belanglose Freizeitkommerz einen erfolgreichen Vernichtungs­feldzug gegen handgemachte Kultur führt.
Nicht dass permanent der Pleitegeier über dem Apollo gekreist hätte; Storky ist gelernter Betriebswirt, und wäre er ein schlechter, hätten sich die Kinopolis-Profis wohl kaum so um ihn gerissen. Aber zu Reichtum hat er es nie gebracht.
Natürlich bin ich auch traurig, dass das Apollo im alten Ambiente jetzt Vergangenheit ist. Das winzige Foyer, die Spannung, einen Platz zu ergattern, wo man zwischen den zwei 1,95m-Menschen, die grundsätzlich vor einem sitzen, noch hindurchschauen kann – all das hat Apollo-Freaks nie wirklich gestört. Sein Baby sei jetzt erwachsen und müsse sich deshalb verändern, tröstete Storky am Abschiedsabend das Publikum – und vor allem sich selbst: Der Kloß im Hals war unüberhörbar.
Das Apollo war mehr als Kino, es war Treffpunkt und Kommunikationszentrum, eine sozial-ökologische Nische für alle, die Party-Events und Erlebniskneipen verabscheuen. Keine intellektuelle Elite, nein, die Apollo-“Szene“ zog sich durch alle sozialen Schichten und Altersklassen. Jedenfalls war man sicher vor jenen, die sich für Alternativkultur allenfalls dann interessieren, wenn Sie anlässlich eines „events“ selbst ins Rampenlicht rücken.
Soviel ist klar, die Institution Apollo lässt sich nicht ohne Verluste einfach verpflanzen. Die Meinungen über Sinn und Konsequenzen der Entscheidung gehen auseinander – auch innerhalb unserer Redaktion. Doch Storky hat sie nicht allein gefällt. Eine „Entscheidung mit den Füßen“, wie der Apollo-Macher in unserem letzten Interview (Gegenwind 162, Oktober 2000) feststellte: Das Publikum nimmt das Angebot an und kommt – oder es bleibt zu Hause. Die jetzt den Verlust beklagen, haben auch nicht dafür gesorgt, dass das Kino allabendlich so rappelvoll war wie bei der letzten Vorstellung am 13. September.
Und mal ab von den Konsequenzen für die hiesige Kulturlandschaft: Hinter dem „Macher“ Michael Kundy steckt auch ein Mensch, und dem sei es vergönnt, nach 15 Jahren Rackerei gegen den Strom mal ein festes Einkommen zu haben und seine in dieser Zeit erworbene Kompetenz gewinnbringend nutzen zu können. Oder?

Imke Zwoch

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