Apollo 1
Okt 012001
 

Für eine Handvoll Dollars

Kinopolis schluckt das Apollo-Programmkino

(ub) Im September war Schluss: Das letzte große und traditionsreiche Kinounternehmen, das „Apollo“, folgte dem Schicksal der wohl nur noch den älteren Gegenwindlesern bekannten Lichtspielhäuser „Regina“ und „Capitol“. Mit der Schließung dieses kleinen Kinos im Stadtteil Sedan verschwindet auch ein weiteres Stück Kulturgeschichte in Wilhelmshaven.

filmplakat„Und wie immer zu Sylvester: im Apollo ein Wildwester“ – dieser Ausspruch war für viele Wilhelmshavener eine Liebeserklärung an das kleine Kino in der Bismarckstraße gleich neben Bennos schmuddeliger Frittenbude, es war aber auch so etwas wie Programmbeschreibung. Denn „Für eine Handvoll Dollars“ und andere Meilensteine der Italo-Westernfilme, sogenannte Filme zum „Mitschießen“, oftmals auch Filme auf wesentlich niedrigerem Niveau, prägten das Programm dieses Kinos zu Anfang ganz wesentlich. Manch einer kam später durch „Helga“ zu wesentlich neuen Erkenntnissen über das andere Geschlecht. Alle Teile der „Reports“ über Schulmädchen, Hausfrauen und Krankenschwestern wurden rauf und runter gespielt. Und die Älteren unter uns erinnern sich wohl noch gerne an aufregende Sonntagnachmittage mit Pierre Brice und Lex Barker in „Winnetou“. Als die Schachtelkinos mit vorher nicht gekannter Auswahl das allgemeine Kinosterben der kleinen Häuser einläuteten, schlug im Apollo die Stunde des Programmkinos. Mit dem Kinobetreiber Michael Kundy zog der „anspruchsvolle“ Film in den Stadtteil Sedan ein. Auf dem Programm stand in den letzten 15 Jahren überwiegend Filmkunst. Das Apolloteam traf mit einem hervorragendem Filmangebot schnell auf ein dankbares Stammpublikum. Als die Kinopolis-Gruppe ein sogenanntes Multiplex-Kino mit neun Sälen und 1700 Sitzplätzen in der Bahnhofstraße gleich neben dem neuen Konsumtempel Nordseepassage eröffnete, war man sich relativ einig: Ein neues Schachtelkino löst lediglich das alte ab. Und richtig, die Hamburger Betreiber der Videoboxen am Rathausplatz machten Platz für die neuen aus Darmstadt. Dem Apollo-Besucher konnte es egal sein. Aber jetzt kam es doch ganz anders. Michael Kundy fusioniert mit den neuen Konkurrenten. Nicht, dass es dem Apollo finanziell schlecht ginge, beteuert der neue Kinopolisbetriebsleiter K
undy auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz zur „Umstrukturierung“ der Kinolandschaft, aber langfristig könne das Programmkino nur in Kooperation mit den Großen überstehen. Ab sofort muss also, wer weiterhin Filmkunst oder auch nur den etwas anderen Film genießen möchte, sich ins Kinopolis begeben. Dort ist (bis auf weiteres) ein Saal für Filmkost nach dem Geschmack der ehemaligen Apollobesuchers reserviert.

Kommentar:

Mehr als eine Marktlücke
Alteingesessene Wilhelmshavener Kinofreaks sind fassungslos. Das gute alte, bodenständige Apollo verschwindet, „integriert“ im gesichtslosen Hollywoodpalast des sogenannten Multiplex-Kinos am Bahnhof. Der alte Apollo-Chef und neue Betriebsleiter des modernen Filmpalastes der Kinopolis-Gruppe ist m. E. auf dem Holzweg, wenn er glaubt, man könne ein anspruchsvolles Filmprogrammangebot à la Apollo parallel zur Filmkost von der Stange in einem Haus, quasi an der selben Popcorntheke, anbieten. Michael Kundy gebührt Dank und Anerkennung für fast 15 Jahre sehr gutes Kino in Wilhelmshaven. Das Apollo war mehr als eine Marktlücke. Es wahr eine Institution. Nicht nur wegen der unzähligen guten Filme. Historische Kinohighlights wie z. B. Casablanca, die Rocky Horror Picture Show oder die Feuerzangenbowle wurden regelrecht zelebriert im Apollo. Für diese Art von Kino reicht es nicht, einen super Sound, eine große Leinwand und ultramoderne Sessel anzubieten. Es war das viel beschworene Ambiente, was wir geliebt haben am Apollo. Die manchmal fast familiäre Stimmung. Die freundlich persönliche Ansprache durch das Apollo-Team. Das Kinoerlebnis Apollo fing bereits mit dem Lesen des sorgfältig liebevoll gestalteten Programmheftes an. Schon fast Legende sind die oftmals skurrilen kleinen Vorfilme. Die Werbung hielt sich in Grenzen, hatte zudem deutlich kommunale Bezüge (mit u. a. dem etwas vergilbten Gegenwind-Dia). Undenkbar, dass ein scheppernder Getränkewagen oder eine aufdringliche Langneseverkäuferin den Ablauf störte. Wenn jetzt laut Aussage der Verantwortlichen mit der Fusion die Kräfte gebündelt werden sollen, stellt sich die Frage, zu wessen Nutzen. In der WZ war zu lesen, dass die Kinopolis-Betreiber sich strategisch umorientieren, und „den Kinos vor Ort mehr Entscheidungsgewalt … geben, um die lokalen und situativen Gegebenheiten besser berücksichtigen zu können… Durch den Zusammenschluss unter einem Dach“ soll es zu einer „wechselseitigen Befruchtung der verschiedenen Besuchergruppen“ kommen (WZ vom 25.08.01). Fakt ist, dass sich die Darmstädter Kinomultis (nicht nur) in Wilhelmshaven verkalkuliert haben.. Die Auslastung der Säle ist unzureichend. Bundesweit fehlen millionenfach Besucher. Es werden teilweise gigantische Verluste eingefahren. Man erreicht mit dem programmatischen Mainstream-Angebot und der Abfertigung wie bei McDonalds nicht genügend Leute. Deshalb ist die Übernahme des Apollo für diese Unternehmensgruppe zunächst einmal interessant und sie ist ohne Risiko für die Darmstädter Kinomultis. Mit Michael Kundy wird auf jeden Fall ein erfahrener und kompetenter Filmfachmann eingekauft. Man will man das „operative Geschehen“ in die Region verlagern, aber wenn’s nicht klappt….
Wenn sich die jetzt geplante Mischung aus Bestsellerverfilmung, B-Film-Schrott und so genanntem anspruchsvollen Kino nicht bewährt, und die Besuchergruppen nicht eine „wechselseitige Befruchtung“ herbeiführen wollen, wenn beispielsweise der „Apollosaal“ mal längere Zeit leer steht, kann man das Experiment ohne großen Aufwand beenden. Das war’s dann endgültig!
In größeren Städten sind die Programmkinos andere Wege gegangen. Neben einer anspruchsvollen Filmauswahl bieten beispielsweise die Programmkinos in Bremen Musik-, Literatur-, Kleinkunst- und politische Veranstaltungen an. Eine Vermischung des herkömmlichen „anspruchsvollen“ Filmangebotes mit Veranstaltungen, wie wir sie hier von der Perspektive, dem Pumpwerk und der Musikkneipe Kling Klang kennen, sichert in anderen Städten langfristig die Existenz der ursprünglich reinen Kinohäuser. Schade, dass derartige Modelle in Wilhelmshaven keine Chance haben!

Uwe Brams

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