Altenpflege
Sep 271994
 

Nicht leicht gemacht ...

… wird es den privaten Altenpflegeheimen

Gegenwind-Gespräch mit der Betreiberin des Seniorenzentrums Neuengroden

(ef/noa) Die Pflegeversicherung kommt – am 1.1.95 beginnt die Beitragszahlung; am l.4.95 beginnen die Leistungen zur häuslichen Pflege; am l.7 .96 schließlich trägt die Versicherung auch die Kosten der stationären Pflege.

Naturgemäß werden es in erster Linie alte Menschen sein, die die Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen werden. Stationäre Pflege bedeutet für sie Unterbringung und Versorgung in Altenpflegeheimen. Etwa 735 pflegebedürftige alte Frauen und Männer leben in Wilhelmshaven derzeit in solchen Pflegeheimen, der größte Teil davon in städtischen, kirchlichen oder von Wohlfahrtsverbänden getragenen, ca. 170 in den 20 privaten.
In einer Broschüre über die Pflegeversicherung schreibt das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung: „Es gibt keine Benachteiligung privater Anbieter; sie sind mit den Einrichtungen der Wohlfahrtspflege gleichgestellt und sind – gegenüber den öffentlichen Trägern zu bevorzugen.“

Kari_Pflege

Karikatur: Erwin Fiege

Von einer Bevorzugung privater Betreiber kann in Wilhelmshaven im Moment noch keine Rede sein, wie wir im Gespräch mit Frau Morgante, der Betreiberin des Seniorenzentrums Neuengroden, erfahren konnten. Sie hat den Schritt in die Selbständigkeit gewagt und am 1. Februar ihr privates Heim eröffnet. Die vorläufige Bilanz nach mittlerweile etwas über einem halben Jahr: Leicht wird es einem von der Stadt Wilhelmshaven nicht gerade gemacht!
So kommt es immer wieder vor, daß die Stadt ihre Rechnung, die laut Vertrag am 3. eines Monats zu begleichen ist, erst Mitte oder Ende des Monats bezahlt; die Gelder, für den Juni kamen gar erst Mitte Juli. Natürlich können die Kosten der Überziehung des Kontos, die durch derlei Versäumnisse entstehen, nicht in den Pflegesatz eingerechnet werden.

137,80 DM müssen im Seniorenzentrum Neuengroden pro Tag und BewohnerIn aufgebracht werden (in diesen Pflegesatz fließen alle Kosten von der Miete über die Verpflegung bis zu Versicherungen, Sach- und Personalkosten usw. ein) – die Pflegesatzstelle akzeptiert jedoch hier nur einen Satz von 120 DM. Um den tatsächlich erforderlichen Aufwand um 17,80 DM pro Tag und BewohnerIn zu drücken, senkt die Pflegesatzstelle z.B. die Monatsmiete rechnerisch um 8.000 DM.
Keine Probleme gibt es mit den anderen Kostenträgern. Die Beihilfe, zuständig bei HeimbewohnerInnen, die vormals beim Staat beschäftigt waren, zahlt pünktlich und den wirklichen Aufwand. Dann halt nur noch solche SeniorInnen aufzunehmen, bei denen es diesen Ärger mit dem Kostenträger nicht gibt, davon will Frau Morgante jedoch nichts wissen: „Nach dem Gesetz hat ein alter Mensch das Recht auf freie Wahl des Heimplatzes, und ich finde das auch richtig so.“

Ob es nach Einführung der Pflegeversicherung ein Ende mit diesen Ärgernissen haben wird, bleibt abzuwarten. Da ist eine Staffelung des Pflegesatzes vorgesehen, die sich nach dem Grad der Pflegebedürftigkeit richtet. Für schwer pflegebedürftige Menschen zahlt die Versicherung einen höheren Betrag als für solche, die weniger Hilfe benötigen. „Da hat man jemanden wieder aktiviert und dazu bekommen, nicht mehr nur im Bett zu liegen, sondern spazierenzugehen oder an Aktivitäten teilzunehmen, und dann wird man dafür bestraft, indem er dann als weniger pflegebedürftig eingestuft wird.“ Dies trifft allerdings nicht allein die privaten Heime; dieser Fehler liegt im System und wird auch in öffentlichen Häusern die Frage aufwerfen, ob es denn nützlich ist, den BewohnerInnen eine gute Pflege zukommen zu lassen.

Kommentar:

Besser als ihr Ruf

Im Sommer 1986 beschäftigte sich der Gegenwind in den Ausgaben 65 und 66 mit der Situation der pflegebedürftigen alten Menschen in Wilhelmshaven und prangerte vor allem die kleinen privaten Pflegeheime an. Da wurde enthüllt, dass mangels Personal Bewohnerinnen eingeschlossen werden, das Taschengeld willkürlich zugeteilt wird, in einem leeren Zimmer ein Blinder den ganzen Tag über auf einem Stuhl sitzt, während sein Stock, für ihn unerreichbar, in einer Ecke steht usw.
Ähnliches berichten Pflegerinnen auch heute noch über die Bedingungen in den privaten Kleinstheimen. So werden in einem dieser Häuser die Bewohnerinnen am Abend gewickelt und zusätzlich in einen Müllsack, in den zwei Löcher für die Beine geschnitten werden, gepackt, wo sie dann, durch Schlaf- oder Beruhigungsmittel betäubt, bis zum Morgen in ihren Ausscheidungsprodukten liegen.
Eine Kontrolle findet nicht statt – auch in diesem Punkt hat sich in den acht Jahren seit den damaligen Artikeln nichts geändert. Es scheint immer noch möglich zu sein, zwecks schnelleren Abbezahlens des Eigenheims ein oder zwei alte Menschen in eine Kammer zu stecken, irgendwie nachzuweisen, daß die viertel examinierte Kraft pro BewohnerIn vorhanden ist, und sich von der Stadt dafür pro „Pflegling“ über 3.000 DM im Monat geben zu lassen.

„Als Gott ins Pflegeheim kam, erschrak er“, so stand es auf einem Spruchband auf einer PflegerInnen-Demonstration 1988. Umso mehr waren wir gespannt auf das private Seniorenzentrum Neuengroden, das zu besichtigen wir die Gelegenheit hatten. Unser Eindruck: Hier würden wir unsere alte Tante guten Gewissens unterbringen. Größtenteils Einzelzimmer; in Doppelzimmer kommen nur BewohnerInnen, die das wünschen. Zwischen je zwei benachbarten Zimmern eine behindertengerecht gestaltete Naßzelle, deren eine Tür elektronisch verschlossen wird, sobald die andere von innen abgesperrt wird; ein freundlicher heller Speiseraum, ein Bastelraum, ein großer Raum für Gemeinschaftsveranstaltungen, gemütliche Sitzecke in der Eingangshalle. Wir erfahren, daß es keine verordnete Nachtruhezeit gibt; demnächst wird eine Bar gebaut für die Alten, die nicht so früh zu Bett gehen wollen. Rund ums Haus ein kleiner Park, in dem wir (es ist ein sonniger Tag) viele Bewohnerinnen, z.T. mit ihren Angehörigen, antreffen.
Das sozialpflegerische Angebot geht nicht mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Pflegeschlüssel von einer Pflegekraft auf 2,6 Bewohnerinnen, hier gibt es einen Schlüssel von 1 : 2,3. (Überflüssig zu erwähnen, daß die zwei zusätzlichen Mitarbeiterinnen nicht in den Tagessatz eingerechnet werden.) Unsere Frage nach Supervision für das Pflegepersonal – nach heutigen Maßstäben ein Qualitätsmerkmal für Einrichtungen des sozialpädagogisch-pflegerischen Bereichs – wird mit einem „noch nicht, Fortbildungsangebote aber schon“ beantwortet. Es geht also auch menschenwürdig!

Anette Nowak/Erwin Fiege

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