Friedhofsruhe?
Austritte aus dem Tierschutzverein werfen ein neues Licht auf die Vorgänge des letzten Jahres
(noa) Nach einigen turbulenten Wochen im vergangenen Jahr, die mit einem Führungswechsel und einer Anzeige gegen die frühere 1. Vorsitzende endeten, ist im Tierheim und im Tierschutzverein Ruhe eingetreten. Aus zwei uns vorliegenden Schreiben könnte man schließen, dass es sich dabei um eine Friedhofsruhe handelt.
Damals waren Meldungen durchs Radio gegangen, nach denen im Tierheim Tierquälereien und willkürliche Einschläferungen von Tieren stattgefunden hätten, und die Polizei durchsuchte das Tierheim. Eine oppositionelle Gruppe formierte sich und forderte eine außerordentliche Mitgliederversammlung, welche die 1. Vorsitzende, Heidi Iken, die nach einem Rücktritt aller weiteren Vorstandsmitglieder gänzlich allein den Verein leitete, verweigerte. Die Jahreshauptversammlung, die etwa zu der Zeit stattfand, zu der auch eine außerordentliche Versammlung hätte einberufen werden können, wurde, wohl angeheizt durch die Berichterstattung in der WZ und durch Mundpropaganda der „Oppositionellen“, zu einer öffentlichen Veranstaltung. Frau Iken trat zurück, und ein neuer Vorstand wurde gewählt. In der Folgezeit wurden ehemalige Beschäftigte wieder eingestellt und kürzer Beschäftigte entlassen, und alles sah so aus, als wäre die Welt wieder in Ordnung. Alle Fehler und Sünden wurden bei Frau Iken geortet, aber das Gute hatte ja gesiegt.
Der Gegenwind veröffentlichte im Juli 96 ein Gespräch mit Frau Iken (Gegenwind 135, „Von Mäusen und Menschen“), die im vorangegangenen Vierteljahr zwar häufig Gegenstand von Zeitungsartikeln gewesen war, aber selber keine Gelegenheit bekommen hatte, ihre Sicht der Ereignisse zu schildern. Sie stellte in diesem Interview die Vorgänge als eine Art Komplott der (früheren und neuen) stellvertretenden Vorsitzenden Weinem dar, das darauf gerichtet war, sie (Iken) mundtot zu machen, um zu verhindern, dass Licht in eine sehr windige Darlehensaffäre käme.
Doch ein Komplott?
Diese Sicht bekommt nun ganz unerwartet eine Bestätigung. Ende August sandte Irmgard Rodenberg, die in der turbulenten Zeit im letzten Jahr Schatzmeisterin war, dem Tierschutzverein eine schriftliche Begründung ihres schon am 30. Mai 1997 erfolgten Vereinsaustritts. Wir zitieren aus diesem Schreiben: „Zu einer Zeit, als ich noch nicht als Schatzmeisterin dem Vorstand angehörte, erschlichen sich Frau Weinem als stellvertretende Vereinsvorsitzende und ihr Ehemann ohne Wissen nahezu aller anderen damaligen Vorstandsmitglieder ein Darlehen in Höhe von 20.000 DM unter Vorspiegelung, diesen Betrag binnen zwei bis drei Wochen an den Verein zurückzahlen zu wollen. Entgegen dieser Zusicherung ließen sie den gemeinnützigen Verein dann jahrelang mit diesem Betrag ‘hängen’, zahlten keinen Pfennig zurück und begehrten vielmehr Anfang März 1994 ein zweites Darlehen über 5.000 DM, wiederum unter der Zusicherung, das Gesamtdarlehen dann binnen zwei bis drei Wochen zurückzuzahlen. … Um das Ehepaar Weinem nicht ‘auffliegen’ zu lassen, willigte ich in die Gewährung dieses zweiten Darlehens ein, unter Einforderung einer entsprechenden Sicherheitsleistung zur Abdeckung der Gesamtdarlehenshöhe. Hieraufhin verstanden es die Eheleute Weinem, den Verein ein zweitesmal zu täuschen, indem sie ihm als Sicherheit zwei Versicherungspolicen andrehten, die bereits zum Zeitpunkt der Übergabe abgelaufen und keinen Pfennig wert waren. … Die völlige Wertlosigkeit dieser Versicherungspolicen vom Übergabezeitpunkt stellte sich erst zur Jahreswende 1995/96 heraus, nachdem die Eheleute Weinem bis zu diesem Zeitpunkt nichts zurückgezahlt hatten und sich der Vorstand deshalb mit einer Rückfrage an die Hauptverwaltung der Versicherung wandte. (…) Nachdem es angesichts einer aufbrechenden öffentlichen Diskussion über den Verein nunmehr für die Eheleute Weinem ‘ganz heiß’ geworden war, zahlten diese im März 1996 mit inzwischen 3 1/2-jähriger Verspätung die Gesamtsumme inklusive Zinsen an den Verein zurück und verstanden es, im Verbund mit Freunden, Bekannten und ‘Geschäftspartnern’, in einer öffentlichen Propaganda-Kampagne ihre jahrelange Säumigkeit auch noch als ‘vorzeitige Rückzahlung’ und besondere Zinskulanz gegenüber dem Verein hinzustellen.
Aus dem Dunstkreis dieser Täuschungsmanöver und Taschenspieler-Gaukeleien entwickelten sich dann im Verein die ‘neuen Mehrheiten’ mit ihrem dummdreisten Krakeeler-Potential nebst Vorständlern. Schon der Ablauf der Hauptversammlung 1996 nebst Vorstandswahl wies stark diktatorische Züge auf…“
Auch zu den Rundfunkmeldungen im Februar 1996, die für die Öffentlichkeit den Beginn der Turbulenzen im Tierschutzverein und -heim darstellten, äußert Frau Rodenberg sich in ihrer Austrittsbegründung: „…Tierpflegerin Frau Ingrid Brüsemann wurde … sogar vor die Mikrofone des Norddeutschen Rundfunks geschickt und durfte dort eine ‘schlimme Sache aus dem Tierheim’ über den Äther verbreiten, mit der man den früheren Vorstand herabsetzen wollte. Frau Brüsemann fühlte sich nach eigenen Angaben seinerzeit von den Aufwieglern unter Druck gesetzt und hat sich inzwischen von ihren damaligen Äußerungen distanziert.“
Verlust menschlichen Anstandes
Gleichzeitig mit Frau Rodenberg trat Peter Hopp aus dem Tierschutzverein aus. Er war hinsichtlich Zugehörigkeitsdauer das älteste Mitglied, ist der einzige noch lebende Wiedergründer nach dem Krieg und hat dem Tierschutzverein in verschiedenen Funktionen gedient. Auch er reichte Ende August seine Austrittsbegründung nach. Ihm hat „der Ablauf der Hauptversammlung vom 27. Mai 1997 endgültig verdeutlicht, dass innerhalb des Vereins die Möglichkeiten demokratischer Kontrolle auf den Nullpunkt gesunken sind und dass dem Verein unter seinen ‘neueren Führungsschichten’ mittlerweile auch wohl die letzten Reste menschlichen Anstandes abhanden kamen. … Es gab in all den Jahrzehnten des Vereinsgeschehens Höhen und Tiefen, viel Gutes und auch manch Kleinkariertes – doch ein Zustand wie der heutige ist beispiellos. Nicht nur ich – jede(r) frühere Vorsitzende hat es als unantastbare Selbstverständlichkeit angesehen, sich mit Kritik, Vorhaltungen und Vorwürfen inhaltlich, sorgfältig und substantiell auseinander zu setzen und auch in manchem Meinungsstreit das eigene Urteil zu schärfen. Niemals wäre es mir in den Sinn gekommen, ein Mitglied wegen kritischer Anfragen, unbequemer Meinung, aus mangelnder Sympathie oder sogar wegen ungerechtfertigter Vorwürfe mit Ausschluss zu bedrohen.“ Genau dies ist Peter Hopp in der Jahreshauptversammlung 1997 widerfahren. Seine Frage, ob der von Frau Brüsemann damals im NDR berichtete Vorfall tatsächlich so stattgefunden hat, führte zu einer Ausschlussdrohung.
Deformation der Satzung
Im Zentrum seiner Austrittsbegründung steht jedoch eine kritische Würdigung der geänderten Satzung des Tierschutzvereins. So wurde die seit 1953 bestehende Mitgliedschaft des Vereins im Deutschen Tierschutzbund aus der Satzung gestrichen – nach Hopp ein Richtungswechsel. Änderungen in den Satzungsbestimmungen über Aufnahme und Ausschluss von Mitgliedern wären wohl kaum einem Mitglied als undemokratisch ins Auge gefallen, wenn nicht die Vorgänge aus dem letzten Jahr den Verdacht nahe legten, der neue Vorstand schätze „klamaukartige Schauprozesse“. Dazu passt nach Hopp die Abschaffung der geheimen Vorstandswahl. Nach der Satzungsänderung „bedarf es des Antrags eines Drittels der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder, um eine geheime Abstimmung zu erzwingen. Hiermit wird bereits ein hoher Bedrohungsdruck gegen einzelne selbstständig denkende Mitglieder aufgebaut. Wer geheime Wahl beantragt und hiermit zu erkennen gibt, dass er dem vorgegebenen Personalvorschlag nicht folgen möchte, macht sich sogleich auffällig und hat die Ehre, als Kandidat für den Ausschluss vorpräpariert zu werden. … Freie, offene Meinungsbildung und wirklich demokratische Personenwahl können unter solchem Majorisierungsdruck schwerlich gedeihen; …“
Weitere schwer wiegende Eingriffe in die Rechte von Mitgliedern und darüber hinaus von Angestellten sieht Peter Hopp darin, dass Vorstandssitzungen nicht mehr protokolliert werden müssen und das bisherige Recht des Beirates, Auskunft über alle Vereinsangelegenheiten vom Vorstand einzuholen, gestrichen worden ist.
Kontrolle von außen
„Deformationskriterien der neuen Satzung“ nennt Hopp die von ihm gebrandmarkten neuen Bestimmungen, die ihn zum Austritt veranlassen. Sein Austritt bedeutet allerdings nicht, dass er dem Tierschutz den Rücken zukehre. Um das ganz deutlich zu machen, hat er zur gleichen Zeit einen Brief an die MitarbeiterInnen des Dr.- Kibat-Tierheims und sonstige Interessierte geschrieben, in dem er der Meinung Ausdruck gibt, dass im Sinne des Tierschutzes eine Kontrolle des Tierschutzvereins von außen notwendig sei, und versichert: „Als Chronist dieses Vereins seit dessen Gründung stelle ich mich für eine solche Aufgabe zur Verfügung und werde dessen Tun (und Unterlassen) weiterhin – nunmehr in völliger Unabhängigkeit und ohne Bindung an irgendeine ‘Vereinsdisziplin’ – aufmerksam beobachten und soweit wie möglich dokumentarisch erfassen, mit dem Ziel auch einer eventuellen späteren zusammenfassenden Veröffentlichung des gesammelten Materials in geeigneter Form. Wer will, kann meinen Namen und Anschrift als zentrale Sammel- und Dokumentationsstelle für Materialien über den Tierschutzverein, das Tierheim und das Vorstandstun betrachten. Hierbei bin ich nicht interessiert an Bagatellen, nicht an Klatsch und Tratsch, wohl aber an wesentlichen Vorgängen, die das Wohl und Wehe der Tiere betreffen oder aussagekräftig sind im Hinblick auf Menschenführung und Arbeitsorganisation. Es dürfen auch positive Nachrichten sein, denn mein Ziel ist es nicht, eine einseitig-negative Schilderung vorzubereiten, sondern die Gesamtwirklichkeit dieses in öffentlicher Verantwortung stehenden Vereins möglichst objektiv, sachgerecht und wohlproportioniert zu erfassen.“
Die Tatsache, dass Frau Ingrid Brüsemann, nach ihren Äußerungen über Tierquälereien im Tierheim von Frau Heidi Iken entlassen, nach dem Führungswechsel im Tierschutzverein von der neuen 1. Vorsitzenden Helga Leerhoff wieder eingestellt, nun, nachdem sie sich von ihren Radio-Enthüllungen distanziert hat, nicht mehr im Tierheim beschäftigt ist, wird bestimmt in Peter Hopps Dokumentation enthalten sein.
Sorry, the comment form is closed at this time.