Mein liebn Kuddl!
dieser Brief kommt aus Frankreich, hass noch gahnich gemerkt, was? Ich wohn hier nämmich neuerdings innem Vorort von Paris, weil das is nämmich unsere neue Nordsee-Passasche, „Paris im Kleinformat“ und trägt wieder mal was zu unserer Internazionalität bei. Dauernd sind da nun alle im „Freudentaumel“, wegen der „neuen Mitte“, die unsere Stadt dazugewonnen hat, sagt unser Stadtoberschreiber, weiß ich aber nich, wasse mit der alten gemacht ham oder obs nun zwei gibt. Außerdem, sagt er noch, soll das Ganze auch das „Eingangstor zur Expo“ sein. Da frag ich mich natürlich, wose die denn reinlassen wollen, sind ja so viele Türen da, soll die bei Zeh und Ah rein oder bei der Apotheke, oder soll die ganze Expo lieber mit’m Zug inne neue Mitte freudentaumeln? Muß ich bei der nächsten Bürgersprechstunde mal nachfragen. jedenfalls, mein Kuddl, is das’n ganz dolles Ding, die Passasche, auch vonner Arschitecktur her richtig prima. Und alle Kenntnisse der modernen Füsick sind da mit reingegangen, hat zum Beispiel einer vonnen Fachmännern da bei der Eröffnung erklärt, daß man draußen extra helle Klinker genommen hat zum Bauen, damit mehr Licht inne Passasche kommt, muß man ja’n Moment drüber nachdenken, aber dann is logisch, nich?
Überhaupt bei der Eröffnung da war ja was los, 60.000 Leute sollen ja dagewesen sein, die ham da so Zähler mit Ultraviolett oder wie das heißt, und die ham alle gezählt. Was meine Nachbarin is, weißt ja, die immer diese linken Zeitungen kriegt, die hat ja erzählt, dasse gehört hat, daß diese schwarzen Scheriffs, die sie da zum Aufpassen und Angsteinjagen überall hingestellt ham, immer wieder raus und rein sind, damit sie ihrem Arbeitgeber ‘ne kleine Freude machen, aber die redet ja viel, wenn der Tag lang is. Nee, is schon’n schönes Ding, das Teil, stand auch inner Wehzett, daß die in Oldenburg jetzt ganz doll Angst gekriegt ham, daß nun keiner mehr zu ihnen kommt, weil sie alle nach Kleinparis wollen, kann ich mir gut vorstellen.
Was ich ja so richtig schön finde, is, dasse vonner Stadt mit ihrer Ausschilderung nun doch noch fertig geworden sind, steht nun überall „Cityparkring“ drauf – obwohl, den Laden hab ich bis jetzt noch nich gefunden – und gibt so’n Parkur, der den Anreisenden schön und in aller Ruhe die Sehenswürdigkeiten der Stadt zeigt. Das hamse sich fein ausgedacht, auch daß man erst hinterher im Parkhaus dafür bezahlen muß, find ich praktisch, und die zwei Mark pro Stunde sind für so’ne schöne Stadtrundfahrt sicher nich zu teuer. Die neuen Brunnen bei der Passasche kann man sich aber nur zu Fuß bekucken, sind aber im Preis mit drin, ganz moderne Dinger, Du, auch vonner Eßtetick her – schlicht, viereckig, aber doch. Sind außerdem ferngesteuert, nämmich wegen dem Wind, dasse ausgehen, wenn zuviel davon da is, weilse sonst die ganzen Freudentaumler naßmachen. Kann natürlich häufiger mal vorkommen, das mit dem Wind, mein ich, und dann kann man seine Zigarettenkippen ja auch wieder viel einfacher reinschmeißen, richtig praktisch gedacht vonne Arschitecken.
Tja, was gibs sonst so Neues? Ganz was Intressantes hab ich ja in dieser Zeitung mit den großen Buchstaben erfahren, die sich so gut verkauft, obwohl sie keiner liest, da war nämlich ‘ne ganze Seite über Wilhelmshaven drin, war aber bloß Werbung. Aber trotzdem weiß ich nun, daß die Marktstraße ein „attraktiver Buhlewahr“ is, im Leben wär ich nich auf so’n schönes Wort gekommen, und daß im Rathaus „schwindelfrei“ gearbeitet wird, allerdings nur von den Bauarbeitern, die den Turm sahniert ham. Aber die andern, die vonner Verwaltung, die sitzen trotzdem nich nur faul rum, sondern tun was für die Erziehung der Jugend in praktischer Mattematick, in Be- wegung und im Umgang mit Behörden. Wenn Du nämmich hier als Schüler mehr als fünf Kilometer vonner Schule wegwohnst, kannste kostenlos mit’m Bus fahren. Und damit das spannender wird, mußte nun ‘ne Menge rechnen, was sich mehr lohnt, Monatskarte, Mehrfachkarte, dann brauchste noch ‘ne Stammkarte, dann mußte das alles überall abstempeln lassen, da bleibste schön in Bewegung bei, und wenn Du dann noch das Glück hast, Schüler vonner Intrigierten Gesammtschule zu sein, dann is auch noch’n täglicher Dauerlauf mit Gepäck im Programm, damit Du vom Bahnhof pünktlich in Deiner Schulkaserne bist. Gut ausge- dacht vonner Stadt, nich, is Lernen für’s Leben, weil wenn die Schüler sich nach der Schule auf die Jugendarbeitslosigkeit vorbereiten wollen, hamse schon’n paar wichtige Kwalifikazionen drauf, Mohbilität und Erfahrung mit Ämtern und Stempeln.
Bloß die Wehzett is neuerdings immer so unzufrieden mit der Verwaltung und schreibt ihr immer Briefe auffer ersten Seite, womit sie ja wieder mal Zeichen setzt – wenn Du Dir die neuen Postgebühren so ankuckst, kommt das die Wehzett so natürlich viel billiger. Dazu hamse da noch was Neues, dürfen wir Bürger nun die Zeitung so richtig mitgestalten, also auch inhaltlich, mein ich, gibs nämmich jetzt immer die „Mittwochsumfrage“, wo man seine ehrliche Meinung sagen kann zu so Themen, die einem aufffen Nägeln brennen, z.B. „Soll das Benzin teurer werden?“ oder „Wissen Sie, ob das Museum aufhat?“ Is doch ‘ne feine Sache das, bloß bin ich dabei noch nie zu Wort gekommen, dabei stell ich mich immer jeden Mittwoch anne Wehzett, aber keiner kommt und fragt mich was.
Hab ich Dir schon erzählt, daß ich zur Fachhochschule will? Da kann ich nämmich ‘ne Menge lernen, hab ich schon öfters mal gehört. Und der Konken vonner Stadt, der hat neulich gesagt, alles, was man dazu braucht, um da was zu lernen, is Hirn und ‘ne Badehose. Hirn hab ich auf jeden Fall, weil ich ja auch immer regen Anteil am öffentlichen Leben nehm, und das mit der Badehose muß man wohl nich so wörtlich nehmen, ‘n Badeanzug wird den Lernerfolg ja wohl nich so beeinträchtigen. Meiner is zwar noch von vor zwei Jahren, weißt doch, der mit den lila Rüschen, aber zum Studieren soll der ja wohl noch reichen. Ich hoff nur, dasse da orntlich heizen in ihren Hörsäälen, is ja schließlich Wintersemester. Der Konken hat da aber wohl nich studiert, wahrscheinlich hatte der keine Badehose. Dafür hat er ja’n schönen Dschob bei der Stadt, wo er immer so schlaue Sachen sagen kann.
Tja, mein Kuddl, was fällt mir denn sonst noch ein? Ach ja, wollt ich Dir noch empfehlen, weil Du doch neulich gesagt hast, daß Dir Dein einer Kollege so auffe Nerven geht mit seiner Rechthaberei: bei den Grünen hamse jetzt ‘ne „Mobbing-Expertin“, komm ich jetzt grad nich auf’n Namen, irgendso’n Gewürz, die kann Euch bestimmt’n paar Tips geben, wie Ihr den auf’n Pott setzen könnt mit so’n paar ausgesuchten Fiesitäten, find ich gut, daß die Grünen mal was Praktisches machen.
So, mein Kuddl, nun muß ich schließen, weil geh ich gleich ins Theater, is so’n Krimistück und bin ich drauf gekommen durch das, was die Barbara Schwatz darüber geschrieben hat: die wollte nämmich nichts vom Inhalt verraten, „um nachfolgenden Zuschauern die Spannung nicht zu nehmen, die der Inszenierung seit dem Sommer leider abhanden gekommen ist“. Ich hab ja nun noch nich studiert, mein Kuddl, aber da stimmt doch irgendwas nich, oder? Und deswegen muß ich da nun selbst hin und kucken, wie das geht.
Dicken Knutsch
Dein Theda
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