Einfach teuflisch
Die Landesbühne „Open Air“ zum 2. Mal am Rosenhügel
(iz) Gut 200 Jahre nach Goethes „Faust“ schuf Tankred Dorst mit „Merlin“ erneut ein weltumspannendes Theaterstück. Ein Jahr nach der Inszenierung des Altmeisters hat sich die Landesbühne, wieder unter Leitung von Donald Berkenhoff, den modernen Stoff vorgenommen, der die „new generation“ vielleicht eher anspricht. Der GEGENWIND wirft einen Blick auf Dorsts Vorlage und das, was die Landesbühne herausgeholt hat.
Neulich, in England: Der Teufel will einmal Papa werden. Dumm gelaufen: als Leihmutter erwischt er eine fromme Hirschkuh, deren ätzend gutes Gemüt voll auf Sohnemann Merlin durchschlägt. Statt Bösem will Merlin Brüderlichkeit unter den Menschen säen. Mit einem Taschenspielertrick macht er seinen Kumpel Artus zum König. Nun fehlt noch ein großer runder Tisch, um den sich die edelsten aller Männer versammeln sollen. So einen Tisch hat Ginevra. Praktisch veranlagt, heiratet Artus den Tisch, nein, natürlich dessen Besitzerin. Die Mitgift wird zum politischen Stammtisch.
So eine Zweckheirat ist natürlich nicht der Bringer. Artus‘ Kumpel Lancelot, obertapfer, aber ein Frauenheld, hat Gelüste, die sich mit der Langeweile der Königin treffen. Ginevras Freundin Isolde, die eher hormonell als moralisch gesteuert ist und bereits außerehelichen Verkehr hat, gießt noch Öl auf das Feuer der Gei … äh, Leidenschaft. Lancelot kriegt kalte Füße und verpißt sich erstmal. Unterwegs macht er einer anderen ein Kind und damit Ginevra umso eifersüchtiger.
Zwischendurch ist am Hof tote Hose und alle ziehen los, um den heiligen Gral zu suchen – irgend so ’nen Kultgegenstand. Den hat wohl irgendeine Sekte erfunden, jeweils findet keiner das Ding. Mittendrin taucht Artus‘
unehelicher Sohn Mordred auf. Den wollte Artus als Baby eigentlich ersäufen (was offensichtlich nicht geklappt hat), angeblich, weil das Kind Unglück übers Königreich bringen sollte. In Wirklichkeit war’s Artus wohl peinlich, daß er ihn inzestuös mit seiner Halbschwester gezeugt hat. Jedenfalls hat er jetzt das debil aussehende Balg am Hals. Die immer noch gelangweilte Ritterschar braucht Action. Da die Sache mit dem Gral ein Flop war, verpetzen sie nun Ginevra und Lancelot beim König. Der hat das wohl schon geahnt mit dem Techtelmechtel, aber nun, wo es öffentlich ist, geht’s an seine Ehre. Lancelot verkrümelt sich nach Frankreich. Artus nix wie hinterher. Um die Sache mit dem Ersäufen wieder gutzumachen, darf Mordred solange auf die Krone aufpassen. Kaum ist der Alte weg, macht er natürlich ’nen Putsch und angelt sich obendrein die Stiefmutter.
Die Verlustängste um Ginevra und das Königreich – wahrscheinlich in dieser Reihenfolge – treiben Artus und Lancelot wieder zusammen und zurück nach Hause. Die letzte große Schlacht überleben nur die bei den und der aufmüpfige Sprößling, aber man so gerade eben. Am Schluß ist alles kaputt – sogar das Bühnenbild.
Spaß beiseite: So komisch ist Dorsts Geschichte gar nicht. „Merlin“ ist sein Lebenswerk, wie es der Faust für Goethe war, und das moderne Welttheater kann sich durchaus mit der Vorlage messen. Beide philosophieren darüber, warum am Ende meist das Böse obsiegt.
Bei Dorst ist das Böse weniger im Teufel personifiziert (wie in Goethes Mephisto), sondern steckt im Menschen selbst. Der „gute Teufel“ Merlin bringt das selbst zum Ausdruck, als Artus ihn, der ihm immer zur Seite stand, am Ende um Hilfe anruft: daß auch das Gute, das Artus schaffen wollte, immer aus ihm selbst heraus kam und er, Merlin, nur als Bild, als Symbol dafür stand. Der Mensch ist es, der etwas schafft und aufbaut, und der Mensch selbst ist es, der wieder zerstört.
Ehe Menschen über ihren Anteil an ihrem Schicksal und dem der Welt nachdenken, sind sie schnell mit Erklärungen über Fremdsteuerung bei der Hand – sei es Gott, sei es der Teufel bzw. andere Feindbilder. Zum Beispiel das ewig lockende Weib als Sinnbild „niederer“ Gelüste. Vordergründig ist Ginevra schuld an dem Desaster, zerstört sie doch Männerfreundschaften, die eine friedliche Utopie zum Ziel hatten. Vordergründig. Denn wer ist Täter, wer ist Opfer? Artus nutzt ihre Mitgift aus und Lancelot ihre Sehnsucht nach Zärtlichkeit, die ihr edler König, ein inzestuöser Kindermörder, nicht stillt.
Ein weiterer Focus in Dorsts Betrachtungen ist der Generationenkonflikt. Utopien sterben, weil die Generationen nicht voneinander lernen. Merlin und Mordred widersetzen sich ihren Vätern, weil deren Lebensphilosophie überkommen ist und nicht plausibel vermittelt wird. Ist Mordred von Geburt an schlecht oder weil ihm Schlechtigkeit unterstellt wird?
Im Innersten liebt und bewundert er den Vater, der ihn nicht lieben darf, weil er unehelich geboren ist – weil eben dieser Vater ihn so gezeugt hat. Und der Vater lebt ihm vor, wie man es trotz – oder wegen – Schlechtigkeit zu etwas bringt.
Berkenhoff hat die 14stündige Vorlage auf ein Viertel zusammengekürzt. Ein Text, ein Stück ist ein Organismus, dem man, wie ein Chirurg, nur bestimmte Teile entnehmen kann, ohne das Ganze wesentlich zu verändern oder zu zerstören. Berkenhoffs Auswahl schlägt, so haben es viele ZuschauerInnen empfunden, eine krasse Zweiteilung in das Stück. Bis zur Pause ist es überwiegend tatsächlich ein lautes, buntes „Sagenspektakel“, so der Untertitel, welcher dem Tiefgang des Stückes eigentlich nicht gerecht wird. Natürlich stecken komische Elemente auch in Dorsts Vorlage, zwangsläufig, denn ein bitterernstes Stück über 14 Stunden wäre vorsätzliche Körperverletzung.
Die feinen, leisen Töne kommen im zweiten Teil. Dorst selbst mußte erst dahinkommen:
In Berkenhoffs Inszenierung sind die Gegensätze zwischen Klamauk und Philosophie zu stark getrennt. Der quälend überflüssige Auftritt des Müllmanns Oskar „Millowitsch“ Matull im ersten Teil steht Mordreds Monolog (bestechend in dieser Rolle Florian Worbs) im zweiten Teil diametral gegenüber. Ausgerechnet die bessere zweite Hälfte wurde durch die nach der Pause einsetzende barbarische Kälte beeinträchtigt. Manche Zuschauer verließen schon zur Pause die Klamotte mit diesem unfertigen Eindruck. Die übrigen wurden bis hin zum eindrucksvoll inszenierten Showdown für ihre Geduld belohnt.
Sie kamen auch in den Genuß des Schlußmonologs, in dem der Autor Dorst durch „Mr. Spock“ seine eigenen Philosophien über die Bedeutung menschlichen Daseins, und damit eigentlich sein ganzes Stück, in Frage stellt. Spock (brillant Heinz Josef Kaspar, der das Stück mit Teufelshörnchen ein- und hier mit Spitzöhrchen ausläutet), Jahrhunderte nach der großen Schlacht über dem Trümmerfeld stehend, über die Menschen (Auszug):
Alles klar? Spocks vollständiger Text sowie aufschlußreiche, gut ausgewählte und aufgemachte Informationen über den Autor, das Stück und die Bedeutung der Artussage in Geschichte und Literatur finden sich im Programmheft, aus dem alle hier aufgeführten Zitate stammen und das als Ergänzung zur gekürzten und teilweise zu oberflächlichen Fassung des Stückes unverzichtbar ist.
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