Streetworker
Apr 191993
 

On the road again

Jugendpflege ohne Straßensozialarbeit

(ub) Mathias Röben, Wilhelmshavens einziger Straßensozialarbeiter im Bereich der Jugendpflege, hat seine Stelle gekündigt, um in Zukunft für einen freien Träger als Jugendbildungsreferent in einer Stadt im Ruhrpott tätig zu sein. Der Gegenwind sprach mit ihm über seine Zeit als Streetworker und über Jugendarbeit in Wilhelmshaven.

„Annäherung statt Ausgrenzung“ – so könnte man das Konzept des Streetworkers beschreiben, mit dem er sich immer wieder konsequent den Jugendlichen zugewandt hat, die gemeinhin der politisch rechten Szene zugeordnet, oft leichtsinnigerweise auch pauschal als Neonazis bezeichnet werden. Viele dieser Jugendlichen mit kurzgeschorenen Haaren in Bomberjacken und Springerstiefeln werden vorschnell der neofaschistischen Szene zugerechnet.
Mathias Röben hat den Kontakt mit ihnen auf der Straße gesucht und festgestellt, dass ein Großteil von ihnen als eher unpolitisch einzuordnen ist. Sie wissen wenig über die politischen Ziele der sie umwerbenden rechtsextremistischen Organisationen. Auf der Suche nach Geborgenheit, Solidarität, menschlicher Wärme, aber auch auf der Suche nach einfachen Antworten auf schwierige Lebensfragen geraten sie, allein gelassen, jedoch schnell in die Treibnetze politischer Rattenfänger vom Schlage eines Thorsten de Vries.
„Man muß nicht ‚Mein Kampf’ gelesen haben“, so Mathias Röben „um sich mit diesen ‚rechten‘ Jugendlichen auseinanderzusetzen. “ Vielmehr ging es dem Streetworker Mathias Röben darum, sie mit ihren individuellen – von sozialer Unsicherheit, Arbeitslosigkeit und fehlender Zukunftsperspektive geprägten – Problemen ernst zu nehmen und Hilfestellung zu leisten. Im Rahmen seiner Arbeit hat er Beziehungen zu einzelnen von ihnen aufgebaut. Er ist mit ihnen zu auswärtigen Konzerten und Fußballspielen gefahren. Er hat sie von der Straße abgeholt, mit ihnen eine Sportgruppe aufgebaut und sie in die städtische Jugendarbeit des Jugendzentrums Krähenbusch integriert. In Zusammenarbeit mit anderen sozialen Trägem dieser Stadt konnten individuelle Probleme dieser Jugendlichen, wenn auch nicht immer gelöst, so doch häufig gemindert werden. Die Arbeit eines einzigen Streetworkers in einer von Arbeits- und Perspektivlosigkeit besonders gebeutelten Stadt wie Wilhelmshaven mag man vielleicht als den berühmten Tropfen auf den heißen Stein betrachten. Auch kann Sozialarbeit, so Mathias Röben „durch gesellschaftliche Umstände und Entwicklungen entstandene Probleme nicht lösen.“
Den Jugendlichen dieser Stadt aber vermittelt sich durch den Weggang „ihres“ Streetworkers stetig wachsend das Gefühl des alleine gelassen seins. Denn die Zukunft dieser Arbeit scheint ungewiß. Obwohl seit Anfang des Jahres bekannt ist, daß Mathias Röben seine Streetworkerstelle aufgibt, ist eine erneute Ausschreibung bislang nicht erfolgt. Gerüchten zufolge soll sie dem Rotstift zum Opfer fallen. Im Gespräch ist aber auch, stattdessen eine Fachkraft für die seit Monaten um ihre Existenz kämpfende Musikerinitiative zu engagieren. Die mehr als 250 vorwiegend jugendlichen Mitglieder dieser Initiative haben in den letzten Wochen bekanntlich immer lautstärker auf ihre scheinbar aussichtslose Situation hingewiesen.

Kommentar:

Die zum Teil schon seit Jahren mit ABM-Kräften operierende Jugendpflege droht durch den drastischen Abbau der ABM-Möglichkeiten in zunehmende Handlungsunfähigkeit zu geraten. Das nach außen getragene Bild einer relativ intakten Jugendarbeit kann nur durch den engagierten Einsatz der noch verbliebenen MitarbeiterInnen aufrecht erhalten werden.
Das pädagogische Personal des Freizeitzentrums im Stadtnorden führt seit mehr als 10 Jahren einen mehr oder weniger aussichtslosen Kampf gegen die Folgen der damaligen politischen Kurzschlußentscheidung, ein Jugendfreizeitheim in den kalten Betonräumen eines Schulzentrums unterzubringen. Jetzt ist die Planstelle des einzigen Streetworkers der Stadtjugendpflege vakant, und nicht nur die unmittelbar Betroffenen tappen im Dunkeln hinsichtlich der Zukunft dieser so wichtigen Arbeit.
Niemand wagt derzeit davon zu träumen, daß die Forderung des Arbeitskreises ‚Mädchenarbeit in Wilhelmshaven‘, auch für Mädchen und junge Frauen eine Straßensozialarbeiterin einzustellen, in absehbarer Zeit Gehör findet. Stattdessen werden jetzt den Wilhelmshavener Jugendlichen Räumlichkeiten für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum in Aussicht gestellt (siehe Gegenwind Nr. 11 3). Eine „kostenneutrale Lösung“ , so der Sozialdezernent Dr. Milger zeichne sich hier ab. Musikerinitiative kontra Streetwork, ein „kostengünstiges“ selbstverwaltetes Jugendzentrum anstatt Konsolidierung der städtischen Jugendarbeit – nicht nur die Jugendlichen selber sollten aufpassen, daß sie nicht gegeneinander ausgespielt werden!

Uwe Brams

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