Städtebau
Aug 261987
 

Kalte Enteignung?

Wie ein kleiner Kaufmann schuldlos zwischen die Räder von Versicherungen, Vermietern und Stadtverwaltung geriet

(jm) Ende letzten Jahres am 29. Dezember brennt auf dem Grundstück Marktstraße 90-92 (Ecke Mitscherlichstr.) ein mit drei Verkaufsflächen ausgestatteter behelfsmäßiger Flachdachbau ab. Der Besitzer R. ist entschlossen, den Bau wieder zu errichten. Doch er stößt bei der Stadtverwaltung auf hinhaltenden Widerstand…

marktstraßeR. will nicht nur, er muß sogar wieder aufbauen! Nur wenn er baut, zahlt auch die Brandkasse, bei der er mit 133.000 DM versichert wäre, wie er dem Gegenwind erklärt.
Darüber hinaus hin R. bis zur Bereitstellung neu errichteter Verkaufsläden keine Mieteinnahmen. Der Mietausfall wird ihm nur zu ca. zwei Dritteln von der Versicherung ersetzt und auch das nur, wenn er sich um den Wiederaufbau bemüht. Die Allianz-Versicherung hat ihm auferlegt, wiederholt bei den Behörden vorstellig zu werden, um seinen Entschädigungsanspruch nicht zu verlieren. Spätestens zwölf Monate nach Eintritt des Versicherungsfalles – also Ende Dezember dieses Jahres – laufe die Entschädigungszahlung ohnehin aus, wie R. ergänzend hinzufügt.
Der Flachdachbau stand zudem auf einem Grundstück, daß R. gemietet hat. Der Grundstücksvermieter hat ihm weiterhin die monatliche Zahlung von 1025.- DM abverlangt. R. hat aber die monatliche Mietzahlung auf Anraten seines Rechtsanwaltes ab Februar 1987 ausgesetzt, bis er das Grundstück wieder vertragsgerecht nutzen kann.
R.’s Bauwille wird jedoch vom Bauordnungsamt gebremst. Nach mehreren vergeblichen Anläufen R.’s, hat dort der Baudezernent H.K. Prottengeier die Federführung übernommen. Dieser schreibt R. am 14.April u.a.: „Die Stellung eines Bauantrages ist derzeit … nicht aussichtsreich. Ich bitte davon abzusehen.“
Als Grund gibt der Baudezernent an, dass das Untersuchungsergebnis einer städtischen Zielplanung zur Bebauung dieses Grundstückes unter städtebaulichen Aspekten, abzuwarten sei.
Abzuwarten bedeutet aber Einkommensausfälle auf der einen und Forderungen von Versicherungen und Grundstücksvermietern auf der anderen Seite.
Dazu erklärt R. dem Gegenwind, daß es seinen Ruin bedeuten würde, wenn er nicht „wieder aufbauen könne. Auch die Möglichkeit, mit der Brandkassensumme an anderer Stelle wieder zu bauen, käme für ihn nicht in Betracht, weil er an anderer Stelle keine Möglichkeit sähe, mit der Marktstraße vergleichbare Einnahmen zu erzielen.
Die Zielplanung der Stadt, die R. an der Nutzung seines gemieteten Grundstückes hindert, wird durch einen WZ-Artikel vom 26.5.87 deutlich. Unter dem Titel „Metzer Weg soll nicht länger Erinnerung an Hinterhof auslösen“ wird über den Vorschlag einer Architektengemeinschaft vor dem Sanierungsbeirat berichtet:
Der Marktstraßenabschnitt zwischen Leffers und Mitscherlichstraße (Eisen Ehmcke) soll danach mit einem 9 Mio DM Gebäudekomplex bebaut werden. Die Zerstörung von Flachdachbauten hätte „den Weg für eine wahrhaft großstädtische Lösung geebnet.“
Dazu erklärte R. dem Gegenwind, zwar habe ihm der Gründstücksvermieter inzwischen seinen Mietvertrag gekündigt, R’s Rechtsanwalt hat dem Vermieter klarzumachen versucht, warum kein Recht auf Kündigung besteht und weshalb auch ein Rücktritt vom Grundstücksmietvertrag hier nicht in Betracht kommt.
erdbebenR’s Rechtsanwalt geht davon aus, dass der abgeschlossene Mietvertrag bis zum Ablauf der Frist am 31.12.90 fortbesteht, wie er dem Gegenwind versichert.
Beiderseits von R’s notgedrungen leerstehendem Mietgrundstück stehen noch weitere Gebäude, die dem vom Sanierungsbeirat gepriesenen Millionenobjekt im Wege stehen. R. könne sich nicht denken, dass sich Investoren danach drängelten, dort ansässige Gebäudebesitzer bzw. Geschäftsinhaber durch Entschädigungszahlungen bzw. Kompensationsleistungen zum freiwilligen Rücktritt von befristeten Mietverträgen zu bewegen, wenn diese ohnehin, wie er erfahren habe, 1992 bzw. 1995 auslaufen würden.
Deshalb halte er seine erklärte Absicht, die Baulücke bis zur Sanierung dieses Marktstraßenabschnittes mit einem in die jetzige Umgebung passenden provisorischen Zweckbau .zu schließen, für alle nützlich:
– durch Freiwerden der Brandkassengelder könne er dann die Räumlichkeiten für acht Arbeitsplätze zur Verfügung stellen
– der Grundstücksvermieter würde wieder seine Miete bekommen
– die Allianz brauche ihm dank eigener Einnahmen nicht mehr Entschädigung zu zahlen
– die nicht von Versicherungen gedeckten Kosten würden nicht weiter ansteigen und die entstandenen Forderungen in ihrer Höhe begrenzen.
Doch weil die Stadt das scheinbar alles ganz anders sieht, hat R. Klage beim Verwaltungsgericht Oldenburg eingereicht. In der Klageschrift wirft R. Herrn Prottengeier vor, ihm in einer Aussprache folgendes mitgeteilt zu haben:
„Nehmen Sie das Geschehen wie ein Erdbeben. Dafür werden Sie auch nicht entschädigt. Ich lasse diese Fläche gleichsam als Mahnmal stehen und wenn diese Fläche erst in 10 Jahren wieder bebaut werden sollte. Sie dürfen jedenfalls hier nicht bauen.“
P.S.: Zwischenzeitlich hat R. sogar mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht gesprochen – ohne Ergebnis

Kommentar:

K. besitzt durch seinen Mietvertrag einen Rechtstitel zur gewerblichen Nutzung des Grundstückes Marktstraße 90. Das Abbrennen seines Flachdachbaues mit den drei Verkaufsflächen ändert an diesem Rechtstitel nichts!
Jedenfalls wäre es schon sehr erstaunlich, wenn das verbriefte Grundrecht auf Eigentum nicht auch seinen entsprechenden Niederschlag im Vertragsrecht bzw. im Baurecht gefunden hat.
Deshalb besteht eigentlich kaum Zweifel, vorausgesetzt R. steht fehlerlos die sich anbahnenden Gerichtsverfahren durch, daß die Stadt dazu verurteilt wird, R. entweder bauen zu lassen oder ihn für seinen Einkommensverlust zu entschädigen.
In letzterem Falle hätte dann die Stadtkasse bzw. der Steuerzahler sämtliche Kosten zu tragen. Folglich steht die Frage im Raume, ob die Stadt durch ihr Verhalten gegenüber R. gegen das Gebot der sparsamen Haushaltsführung verstößt. Die Stadt will das Grundstück ja selber gar nicht nutzen. Sie führt lediglich eine Zielplanung unter städtebaulichen Gesichtspunkten für die mögliche Bebauung privater Grundstücke durch private Investoren durch. An letzteren liegt es, ob und wann die Planungsergebnisse der Stadt umgesetzt werden. Daran ändert sich auch grundsätzlich nichts, wenn die Stadt zur Arrondierung des Sanierungsgebietes einen Zipfel Bundesbahngelände aufkauft. Das könnte wohl eher dazu dienen, den Investoren noch eine weitere Strecke Weges zu ebnen, nachdem der Sanierungsbeirat (WZ 26.5.87) durch das Abbrennen von R’s Einkommensgrundlage schon den Weg zu einer wahrhaft großstädtischen Lösung geebnet sah. Durch eine Verurteilung der Stadt zur Entschädigungszahlung an R. würden dann in ihrer praktischen Auswirkung die Grundstückseigentümer bzw. die Investoren insofern zu Lasten der Stadtkasse begünstigt, als sie sich nicht mehr mit R. zu einigen brauchten, wenn sie vor Ablauf seines Mietvertrages bauen wollen.
Man darf gespannt sein, ob die Ratsgremien sich jetzt veranlaßt sehen, etwas mehr Helligkeit in diese zwielichtige Grauzone zu bringen.
Zumindest einer muß dann aber draußen bleiben:
Es ist der Ratsherr Dr. Uwe Biester, CDU-Fraktionsvorsitzender, CDU-Sprecher im Verwaltungsausschuß, Mitglied des Finanzausschusses usw.
Er ist nämlich der Bevollmächtigte der Eigentümer des bedeutendsten Sanierungsgrundstückes Marktstraße 90 – 92.

Jochen Martin

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