Nacht der Wohnungslosen
Aug 021993
 

Ausgegrenzt

Geschäftsleute am Börsenplatz protestieren gegen die „Nacht der Wohnungslosen“

(ub) ‚Der Arbeitskreis „Wohnraum für alle“ hatte im Rahmen der europaweit durchgeführten „Euro Sleep out Aktion“ unter anderem auch zu einem demonstrativen Übernachten auf dem Börsenplatz aufgerufen. Die umliegenden Geschäftsinhaber reagierten mit Entsetzen und richteten einen mit Unterschrift und Firmenstempel versehenen Protestbrief an die Stadtverwaltung.

Der Arbeitskreis hat in seiner zweitägigen Aktions- und Informationsveranstaltung auf dem Börsenplatz deutlich gemacht, dass aufgrund zunehmendem Wohnraummangel und steigenden Mietpreisen eine Situation entstanden ist, wo nicht mehr nur die Ärmsten unserer Gesellschaft von Obdachlosigkeit bedroht werden können. Bereits im Vorfeld der Veranstaltung hatte der Arbeitskreis in einer breit angelegten Flugblatt- und Presseaktion (siehe GW Nr. 115) verkündet, daß es ihnen auch darum geht, Auswirkungen des unzureichenden Wohnungsangebotes wie Mietwucher, zunehmend steigende Maklercourtagen und angebotene „Wohnungen“ die sich in einem katastrophalen Zustand befinden, öffentlich zu machen.

gw116_wohnungslose2Von diesen alltäglichen Problemen auf dem Wohnungsmarkt scheinen die aufgebrachten Geschäftsinhaber am Börsenplatz Welten zu trennen. ‚Wohnungslose sind asoziale Penner, die öffentliche Plätze verunreinigen und das Geschäftsleben beeinträchtigen‘ – diese Vorstellung wird wohl in den Köpfen der insgesamt zehn Unterzeichner des Protestschreibens geistern (siehe Auszug aus dem Schreiben). „Muß so etwas mitten in der Stadt stattfinden, damit der Platz und die umliegenden Geschäftseingänge von leeren Bierdosen und zerbrochenen Alkoholflaschen und Urin verunreinigt wird?“, fragen sie besorgt und weisen daraufhin, daß „es ja wohl in den Außenbezirken Wilhelmshavens und Umgebung genügend Freiraum“ für eine derartige Veranstaltung gäbe. „Hervorragend geeignet“ erscheint den Betreibern des Fischspezialitätenrestaurant ‚La Maer‘, der ‚Chris-Modelle-Boutique‘ und den Betreibern des ‚GOLDMARKT Import & Export‘ auch der Rathausplatz für derartige Veranstaltungen, weil „dort keine Anwohner … gestört werden“.

Der Arbeitskreis „Wohnraum für alle“ war gut beraten, Oberbürgermeister Menzel zu bitten, die Schirmherrschaft für die „Nacht der Wohnungslosen“ zu übernehmen. In ungewöhnlich scharfer Kritik verurteilte Menzel in seiner Begrüßungsrede das lediglich auf eigene Geschäftsinteressen ausgerichtete Schreiben, in dem es u. a. auch heißt: „Anstatt, daß sich unser Oberbürgermeister für die Belange der Wilhelmshavener Geschäftswelt einsetzt und attraktive Veranstaltungen im Stadtzentrum am Börsenplatz stattfinden, die den Kaufumsatz steigern, sollen unter seiner Schirmherrschaft Obdachlose am Börsenplatz übernachten.“ Menzel betonte demgegenüber die Notwendigkeit solcher Veranstaltungen gerade auch auf Plätzen, wo viele Menschen erreicht werden können.

Daß nicht alle anliegenden Gewerbetreibenden am Börsenplatz die Veranstaltung des AK „Wohnraum für alle“ für eine „unüberlegte Idee“ hielten, die „nur in vorgerückter Stunde am Biertresen entstanden sein“ kann (aus dem Protestschreiben), bewiesen z. B. das Briefmarkengeschäft Dehnke und die Gaststätte DaCapo, die den Veranstaltern noch während der Aktionstage eine Geldspende überreichten.

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Foto: Uwe Brams

Überwiegend zufrieden über den Verlauf der Aktionstage äußerten sich die Veranstalter in abschließenden Pressegesprächen. Eine erfreulich hohe Resonanz seitens der Bevölkerung und der Medien (SAT 1 und der NDR berichteten in Fernseh- und Rundfunksendungen) sowie die Teilnahme von teilweise bis zu 40 wohnungslosen Wilhelmshavenern machten die Aktualität der Wohnungsproblematik deutlich. Das Auftreten der örtlichen Kommunalpolitiker an der Gesprächsrunde mit Betroffenen stieß auf zum Teil heftige Kritik nicht nur bei den Wohnungslosen. „Die Talkrunde hätten wir uns schenken können“ reagierte verärgert eine Teilnehmerin des Arbeitskreises „Wohnraum für alle“, angesichts der gegenseitigen Schuldzuweisungen sowie der ständigen Problemverschiebung auf bundespolitische Versäumnisse von Regierung und Opposition durch die eingeladenen Kommunalpolitiker. Rühmliche Ausnahme auch hier OB Menzel, der sich als Schirmherr der Veranstaltung in langen Gesprächen den aufgebrachten Wohnungslosen stellte.

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