Menschenhändler
Aug 021993
 

Unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung

Auf Wilhelmshavener Baustellen sahnen Menschenhändler kräftig ab

(ub) Horst Bartels, Inhaber der Jadekost GmbH & Co KG hat Großes vor. Nach eigenen Angaben will er eines der „modernsten Lebensmittelwerke der Welt schaffen“. Auf der Großbaustelle an der Flutstraße schuften derweil illegal ausländische Arbeitnehmer selbst an Sonn- und Feiertagen zu Billiglöhnen. Der GEGENWIND sprach mit Dieter Gehrken, dem örtlichen Geschäftsführer der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden, über die dubiosen Vorgänge auf der Baustelle der Firma Jadekost und über illegale Leiharbeit in Wilhelmshaven.

Am Sonntag, den 27. Juni d.J., entdeckt Dieter Gehrken eher zufällig rege Aktivitäten auf der Baustelle der Firma Jadekost. Vor den Toren der im Bau befindlichen Tiefkühlkostfabrik stehen Pkws mit polnischem Kennzeichen. Auf dem Gelände selbst sind Bauarbeiter mit Estricharbeiten beschäftigt. Der örtliche Geschäftsführer der IG Bau spricht die Arbeiter an. Wo denn ihr Chef sei, ob jemand ihm die Genehmigung für die Sonntagsarbeit zeigen könne, für welche Firma sie arbeiten und wie hoch ihr Stundenlohn sei?

Die Auskünfte der polnischen Arbeiter sind äußerst spärlich. Von einem Verbot der Sonntagsarbeit wissen sie nichts. Angestellt sind sie ursprünglich bei der Firma „Carat“ in Steckelsdorf bei Brandenburg. Diese Firma hat sie an einen Frank Tieme in Marienhafe weitergegeben. Tieme wiederum hat diese polnischen Arbeiter an einen Hendriyk Kopyto „verliehen“, der in Aurich eine Fliesenlegerfirma betreibt.

Selbst über ihren Lohn können die fünf Arbeiter nur vage Angaben machen. Etwa acht DM pro Stunde und damit deutlich unter dem Tariflohn sollen sie bekommen. Dieter Gehrken informiert die Polizei und läßt die Baustelle still legen. Tags darauf wird von ihm auch das Emdener Arbeitsamt, zuständig für unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung, so heißt der Menschenhandel im Amtsdeutsch, sowie das Gewerbeaufsichtsamt in Oldenburg eingeschaltet. Das Gewerbeaufsichtsamt stellt einen Verstoß gegen das Sonntagsarbeitsverbot fest und bestätigt Gehrkens Vermutung, dass bei den Bauarbeiten auf den Gelände der Firma Jadekost sogenannte Menschenhändler kräftig mitverdient haben.

Foto_JadeKost

Foto: Hannes Klöpper

Gegen Frank Tieme und den Chef der Auricher Fliesenverlegefirma Kopyto, gegen die wegen ähnlicher Vorfälle bereits die Staatsanwaltschaft in Dortmund ermittelt, wird ein Bußgeldverfahren eingeleitet. Auf die Nachfrage des GEGENWINDES, wie hoch denn das Bußgeld wohl ausgefallen sei, ruft Gehrken beim Gewerbeaufsichtssamt an. Sage und schreibe 1.000,– DM Bußgeld ist gegen den Auricher Kopyto von Amts wegen verhängt worden. Als dieser gegen diesen Bescheid Widerspruch einlegt, wird das Bußgeld auf

500,– reduziert! Beiläufig erfährt der IG Bau Geschäftsführer, daß bereits im November 1992 am Buß- und Bettag die Baustelle der Firma Bartels zwangsweise von der Polizei stillgelegt wurde. Auch damals wurde ein Bußgeld von lediglich 500 DM verhängt. Derartige Bußgelder dürften die Menschenhändler „von den Kosten für ihr Mittagessen abzweigen“, so Gehrken gegenüber dem GEGENWIND, und erläutert die Praktiken der „unerlaubten Arbeitnehmerüberlasssung“. Zwischen 40 und 60 DM pro Std. und Arbeiter stellen die Arbeitnehmerverleiher den mit den Bauarbeiten beauftragten Firmen in Rechnung. Die Arbeitskräfte heuern sie über Zeitungsanzeigen oder durch Kontakte zu ostdeutschen Baufirmen wie beispielsweise der Firma ‚Carat“ aus Steckelsdorf an.

Die Arbeiter selbst werden bar cash auf der Baustelle ausgezahlt. Im oben erwähnten Fall stehen die polnischen Arbeiter mit 8 DM pro Stunde noch gut da. Laut Angaben in Presseberichten aus dem Umland, die IG-Bau Geschäftsführer Gehrken dem GEGENWIND vorlegt, werden z.B. tschechische Arbeiter noch wesentlich schlechter bezahlt. „Beim Bau des Wasserwerkes in Nethen bei Rastede waren Tschechen engagiert, die Eisen verlegt haben. Nach zuverlässigen Auskünften haben sie pro Stunde 1,20 DM bekommen“ so der Oldenburger Organisationssekretär der IG-Bau Gero Lüers am 7. November 1992 in der Nordwestzeitung.

„Die Vorfälle von illegaler Leiharbeit in Wilhelmshaven häufen sich“, so Gehrken gegenüber dem GEGENWIND. Erst kürzlich wurde ein ähnlicher Vorfall auf der Baustelle des Helgolandhauses am Südstrand zur Anzeige gebracht. Die Wilhelmshavener Baufirma Ludwig Freytag arbeitet mit einem Hamburger Subunternehmen zusammen. Diese Firma mit dem Namen „Sykut“, die die billigen Arbeitskräfte besorgt, „existiert unter den angegebenen Firmennamen … weder im Hamburger Telefonbuch noch im Branchenbuch“ (NWZ vom 7.11.92). In Hengstvorde bei Augustfehn war die Wilhelmshavener Firma Lindemann mit dem Bau eines Schwimmbades beauftragt. Die deutlich unter Tarif bezahlten polnischen Arbeiter kamen auch hier von der als Subuntemehmen eingesetzten Firma „Carat“ aus Steckelsdorf! Die Gewinne bei diesen kriminellen Baugeschäften sind gewaltig. „Gleich hinter dem Drogengeschäft und der Prostitution liegt die Profitspanne der Menschenhändler“, so Dieter Gehrken im Gespräch mit dem GEGENWIND. Die jetzt bekanntgewordenen Fälle dürften lediglich die Spitze des Eisberges darstellen. Die zuständigen Arbeitsämter haben viel zu wenig Personal, um die Baustellen zu kontrollieren, und die betroffenen Arbeiter schweigen aus Angst, ihren Job zu verlieren. Da muß schon eine Firma, wie in dem Fall auf der Baustelle des Jadekostunternehmens an der Flutstraße, besonders dreist auftreten und auch noch gegen das Sonntagsarbeitsverbot verstoßen, damit jemand die kriminellen Machenschaften zufällig aufdeckt.

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top