Landesbühne
Nov 132007
 

Gemischtwarenladen

Schmaler Grat zwischen Komödie und Tragödie

(iz) Mehrere Unfälle überschatteten schon im Vorfeld die aktuelle Aufführung von Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ an der Landesbühne. Dicht vor der Premiere zwei verletzte Schauspieler, Um- und Neubesetzungen – trotz alledem entschied man sich, das Stück wie geplant auf die Bühne zu bringen.


Doch der letzte, entscheidende Unfall war die Inszenierung selbst:

  • Die Aufführung hat ein arg chaotisches Konzept.
  • Man erlebt ein Sammelsurium bunter Ideen, denen aber der rote Faden fehlt.
  • Der gesamte Abend hat dadurch keine Spannung, keine Stringenz.
  • Selbst die guten Schauspieler-Leistungen können das nur zum Teil wieder wettmachen.

Dieser zusammengefassten Kritik wohnt gleichzeitig ein Trost inne: Die kursiven Zeilen sind O-Ton einer WDR-Kritik zur Inszenierung des „Kaufmanns“ am Kölner Schauspielhaus (2005). Sprich: An dem Versuch, diesen Shakespeare „modern“ im Sinne von „schrill und bunt“ umzusetzen, haben sich schon andere die Finger verbrannt.
labueIst ja auch eine komplexe Geschichte: Der junge Kaufmann Antonio besorgt sich beim jüdischen Geldverleiher Shylock für einen Freund das nötige Kapital, damit dieser bei seiner Angebeteten Eindruck schinden kann. Shylock ist es leid, ständig geächtet und gleichzeitig angepumpt zu werden. Im Namen der Ehre verzichtet er in diesem Fall auf Zinsen; stattdessen soll ihm Antonio, wenn er das Geld nicht zum vereinbarten Termin zurückzahlen kann, ein Pfund seines eigenen Fleisches abtreten. Aus dem Spiel wird Ernst, als dem sonst so erfolgreichen Antonio die Geschäfte nicht glücken. Shylock fordert vor Gericht die Erfüllung des Vertrages, das venezianische Recht soll auch für ihn gelten, das will er sich auch gegen Rückzahlung eines Vielfachen der geschuldeten Summe nicht mehr abkaufen lassen. Und macht die Erfahrung, dass er am Ende der vielfach Geächtete ist …
Bis heute streiten sich Fachwelt wie ZuschauerInnen: Ist hier der Antisemitismus ein Kernthema, oder hat Shakespeare eher beiläufig das provokative, diabolische Element einem Juden zugeschrieben? Ist Shylock nur der Spiegel für die junge, von Geld wie Überdruss geprägte (venezianische) Gesellschaft und diese eigentliches Thema des Stückes? Zur Ambivalenz Shakespeares zitiert die Landesbühne den bedeutenden Regisseur Peter Brook: „Shakespeare ergreift nicht Partei, propagiert keine Wahrheiten und liefert keine Richtlinien zur Bewältigung des Lebens. Indem er Probleme aufwirft, ohne sie durch zeitbedingte Antworten zu verschleiern, fordert er jede Generation aufs Neue dazu heraus, ihre eigenen Haltungen zu finden.“
Eine Möglichkeit: Man setzt das Stück (ausnahmsweise) eng an der historischen Vorlage in Szene und überlässt es dem Publikum, den Bezug zur eigenen Lebens- und Erfahrungswelt zu bewerkstelligen. Oder aber (und so ist es üblich) Regie und Dramaturgie erleichtern den Zuschauern den Transfer, indem sie aktuelle zeitliche / räumliche / inhaltliche Bezüge herstellen, wobei gleichzeitig ein subjektiver Blickwinkel ins Spiel kommt.
Kochheim zieht hier alle möglichen Register. Wenn man sich anstrengt und konzentriert, finden sich in dem unstrukturierten Chaos auf der Bühne alle möglichen Bilder und Symbole, die mal in diese, mal in jene Richtung weisen, sich aber beim besten Willen nicht zu einem Ganzen fügen. Theater soll zwar nicht zwingend möglichst leicht verdaulich sein, darf aber auch nicht zum Quiz ausarten: „Was hat sich der Regisseur da nun wohl bei gedacht? Was soll das jetzt in mir auslösen?“ Höchstens umgekehrt: „Da wurde eben was in mir ausgelöst – wie, mit welchen Mitteln hat der Regisseur das geschafft?“

Pogrome „light“

Geradezu irreführend die Eingangsszene: Etwa eine Viertelstunde lang zerlegen Antonio und seine Freunde, als „moderne“ Nazis maskiert, das penibel aufgeräumte Kontor Shylocks, schweigend und wie in Zeitlupe. Aha, denkt man, Kochheim rückt den Antisemitismus in den Fokus. Das scheint plausibel und berechtigt, wenige Tage vorm Jahrestag der Reichpogromnacht. Doch betroffen macht hier nur, dass diese Plünderungs- und Gewaltszene, mit Verlaub, grottenschlecht umgesetzt ist, lustlos abgespult. „Schülertheater“, meint ein anwesender Kunstpädagoge (wobei er mit diesem Vergleich vielen SchülerInnen Unrecht tut). Einen Judenstern kriegt Shylock noch aufgeklebt, aber damit ist das Dritte Reich abgehakt, nirgends wird später nochmals erkennbar der Bogen geschlagen – doch ja, das eingeblendete Scherbenklirren eingangs der Gerichtsverhandlung … dann sollte man es gleich weglassen, dazu ist das Thema zu bedeutend, als es, quasi quotenmäßig, nur mal kurz einzuflechten. Wozu kniet sich Stefan Ostertag eigentlich so in die Rolle des Shylock rein, der erst in der Schlussszene (dem besten Drittel der Aufführung) wieder Bedeutung erlangt?
Dazwischen steht nämlich die gelangweilte Spaßgesellschaft im Mittelpunkt, und um den Bogen zu schlagen von Venedig bis heute, na? … hantieren sie auf der Bühne mit Handys und Laptops. Wie einfallsreich. Zu Recht schüttelt der Kunstpädagoge den Kopf, wie profan-plakativ darf es bitte noch sein?
Da war ja noch was bei Shakespeare: „Das Heilige wird mit dem Höllischen konfrontiert, der tiefe Ernst mit ausgelassener Komik“, so Peter Brook. Beim „Kaufmann“ ist der Grat zwischen Komödie und Tragödie besonders schmal – und bei Kochheim ist es keines von beidem. Das schrille Rumgehampel der Mädels ist einfach nur albern, pubertär, aber nicht komisch. Dass es nicht an den Schauspielern lag, dass sie nur einfach keine Möglichkeit hatten, sich zu erden, zeigt sich zwischendrin immer mal wieder, wenn es ihnen doch gelingt. Wirklich komisch und gekonnt die Rap-Einlage von Lorenzo (Peter Lindhorst) und Jessica (Laura Jakschas) vor der Bühne. Und wirklich tragisch der Blick ins Innerste von Antonio (Christoph Angerer) in seiner schier ausweglosen Situation. Doch außer diesen wenigen „Markenprodukten“ blieb Kochheims „Kaufmann“ ein Gemischtwarenladen, in dessen Unordnung jedes Stilmittel, jedes Symbol verramscht wurde.
Der Kollege von der WZ hat sich die Mühe gemacht, den Regisseur zu verstehen: „Kochheim spannt den Bogen von Shakespeare bis zur sinnentleerten Spaßgesellschaft der Gegenwart, in der einfache praktische Fragestellungen nicht mehr gelöst werden können.“ Kann man so stehen lassen – doch aus unserer Sicht hat Kochheim den Bogen ÜBERspannt, zumal man Auschwitz nicht spielerisch anreißen und dann so stehen lassen darf.
Abschließend zitieren wir nochmals aus der Kölner Kritik an der Kölner Inszenierung, die sich frappierend mit unserer an der hiesigen deckt: Um diese fiese Story aufzulockern, hat die Regie viele bunte Mätzchen eingebaut. In nur wenigen Schlüsselszenen hat man das Gefühl, dass mal kurzzeitig richtig Spannung aufkommt. Und das liegt dann vor allem an den Schauspielern, die einfach gut sind. Das Meiste wirkt aber wie oberflächliche Fernseh-Unterhaltung. Die eigentlich so packende Geschichte von Shakespeare geht hier vor lauter wilden Regie-Ideen fast schon unter. Wirklich gutes Theater ist was anderes. Nach der Premiere gab’s dennoch freundlichen Applaus, die Zuschauer waren aber sehr geteilter Meinung. Auch in Wilhelmshaven: Nach der Pause hatten sich die besetzten Plätze nicht dramatisch, aber deutlich gelichtet. “Der Premierenbeifall fiel nicht enthusiastisch aus, zeugte aber von herzlicher Anerkennung“ (Jeversches Wochenblatt), und noch beim Verlassen des Saals rätselte manche/r laut vor sich hin: „Was hatte das jetzt mit Shakespeare zu tun?“
(Foto: Landesbühne)

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