Nicht nur die Grünen, sondern auch die SPD erlebt Austritte wegen des Kosovo-Krieges
(ef/noa) Am 8.6.99 veröffentlichte die „Wilhelmshavener Zeitung“ den Leserbrief von Dieter Wilde „zur politischen Auseinandersetzung um den Kosovo-Krieg in den Reihen der Wilhelmshavener Sozialdemokraten“. Der Fregattenkapitän a.D. bezieht sich darin auf ein Mitglied, das wenige Tage zuvor bei der Mitgliederversammlung der SPD-Ortsvereine Altengroden und Neuengroden seinen Austritt verkündet hatte. Er belehrt den ehemaligen Genossen (und die WZ-Leserschaft) über seinen „Irrtum“: Die Vokabel „Angriffskrieg“ sei „abwegig“, da mit diesem Angriff keine territorialen, materiellen oder ideologischen Ziele verfolgt würden.
Zwar ist der Krieg der NATO gegen Jugoslawien mittlerweile beendet und von einer Besetzung abgelöst worden, doch die Streitfrage bleibt aktuell.
Wir lassen den Ex-SPD-Genossen selber zu Wort kommen. Sein Austrittsschreiben hat den folgenden Wortlaut:
„Nach fast 50-jähriger Mitgliedschaft in der SPD erkläre ich hiermit meinen sofortigen Austritt aus der SPD.
Eine Partei, deren von den Mitgliedern gewählte Volksvertreter einem Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat mit großer Mehrheit zustimmen, kann nicht mehr meine Partei sein, in die ich vor über 49 Jahren eingetreten bin.
Entgegen allen Grundsätzen der SPD und entgegen den Statuten der NATO, der UNO und des Völkerrechts hat fast die gesamte Bundestagsfraktion der SPD diesem widerrechtlichen Kriegseintritt zugestimmt.
Wie kleine Schulkinder hat sich die SPD-geführte Bundesregierung von den USA in diesen Krieg förmlich hineindrängen lassen.
Niemand weiß, wie dieser Krieg enden wird. Gut auf keinen Fall. Wie sagte vor Jahren der Genosse Carlo Schmid? ‚Lieber ein Jahr verhandeln, als einen Tag Krieg führen.‘
Wenn ich mir selbst treu bleiben will, dann bleibt mir nur der Austritt aus der Partei, in der ich nach den Schrecken des 2. Weltkrieges meine politische Heimat und viele Freunde gefunden habe.
Es schmerzt besonders, wenn ich merke, dass ein großer Teil meiner Freunde den Kriegseintritt stillschweigend hinnimmt, als wäre nichts geschehen, und somit diesem Kriegseintritt die Zustimmung gibt.
Wo bleibt der Aufschrei friedensbewusster sozialistischer Menschen ‚NIE WIEDER KRIEG‘?
Wie kann man das Leid unschuldiger Menschen mit noch größerem Leid anderer unschuldiger Menschen beenden wollen.
Der Schaden für Deutschland ist unermesslich. Die Kriegs- und Kriegsfolgekosten werden gewaltig sein.“
Es ist in der SPD nicht das erste Mal, dass ein Genosse bei einer Versammlung spontan seinen Austritt erklärt. In diesem besonderen Fall war dieser Schritt eines Mitgliedes kurz vor seiner 50-jährigen Parteizugehörigkeit ein Aufschrei.
Es ist unfair, diesen verzweifelten Schritt zum Anlass für eine Darlegung einer abstrusen Kriegslogik zu verwenden. „Auch ist das Fehlen eines UN-Mandats als Begründung nicht überzeugend. Denn ein Krieg mit UN-Mandat (…) ist nicht weniger schrecklich.“ (Leserbrief Wilde)
Dass Kriege auf jeden Fall schrecklich sind, weiß der so Belehrte genau. Er hat den 2. Weltkrieg mit Bombenhagel selber erlebt, hat die Bilder der Flüchtlingstrecks aus Ostpreußen und Schlesien und die radikale Vertreibung Deutscher aus diesen Gebieten immer noch vor Augen, hat im Verwandten- und Bekanntenkreis liebe Menschen verloren. Heute ist er zwar nicht mehr SPD-Mitglied, aber aktives Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft, der Freien Humanisten und der Naturfreunde. Der ihn da belehrt, war bei Kriegsende gerade eben schulpflichtig und kennt Krieg vom taktischen Schiffe-Versenken auf Seekarten.
„Wenn wir wirklich den Frieden wollen, müssen wir daher dieser Regierung den Rücken stärken. Dies war auch die überwiegende Meinung der versammelten Mitglieder“, so schließt Wilde seinen Leserbrief. Selbst wenn letzteres stimmen würde, könnte man nicht ohne Diskussion den Schluss ziehen, dass der ausgetretene Genosse „das falsche Signal“ setzt. Es stimmt jedoch auch nicht. Nach der Austrittsbegründung des alten Genossen herrschte betretenes Schweigen. Die viel gepriesene Streitkultur hat in der Wilhelmshavener SPD immer noch kein Zuhause gefunden. Selbst der auf der Versammlung anwesende UB-Vorsitzende Norbert Schmidt blieb dem Genossen die Antwort schuldig auf die Frage, warum der Unterbezirk keinen Sonderparteitag einberufen habe, um über den Krieg zumindest zu diskutieren. Immerhin ein Vorstandsmitglied äußerte sich: „Ich habe das so noch gar nicht gesehen. Die Worte des Genossen haben mich sehr nachdenklich gemacht.“
Das SPD-Organ „vorwärts“ zitiert einen bedeutendes SPD-Mitglied anlässlich dessen 100. Geburtstags. „Wer nicht schießen will, muss sprechen“ hat Gustav Heinemann einmal gesagt. Schade, dass man in der Wilhelmshavener SPD schweigt.
Bombenstimmung herrschte auf dem diesjährigen SPD-Ball im Columbus. Auf Unverständnis stieß dagegen dieses Transparent der Gruppe „Menschen gegen den Krieg“. Schließlich wollten die Genossinnen und Genossen feiern und nicht an die eigene Politik erinnert werden.
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