Kinderarmut
Jan 141999
 

Ohne Arbeit kein Vergnügen

Eine Foto-Wanderausstellung über Kinderarmut und arme Frauen in der BRD

(hk) Vom 13. bis 22. Januar ist in der Nordseepassage eine Ausstellung über Kinder- und Frauenarmut zu sehen. Veranstalter ist die SOS-Beratungsstelle Wilhelmshaven. Im Rahmen der Ausstellung finden an verschiedenen Orten Veranstaltungen zum Thema statt.

KinderarmutIm Sommer 1998 sorgte eine Expertise der Universität Hannover für Aufsehen, der „Niedersächsische Armutsbericht“. Dieser Bericht wurde auf Beschluss des Landtages erstellt und sagt aus, dass jeder siebte Niedersachse, also mehr als eine Million Menschen, in relativer Armut lebe. Demgegenüber behauptete die ehemalige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in der Stellungnahme zum „Zehnten Kinder- und Jugendbericht“ vom 25.08.1998, Armut werde in Deutschland durch die sozialen Sicherungssysteme wie Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe verhindert, wer das Gegenteil behaupte, bediene sich „willkürlich (…) künstlicher statistischer Konstrukte“.

Die mittlerweile emotional recht aufgeheizte Debatte verstellt den Blick darauf, dass „Armut“ wie „Reichtum“ oder „Glück“ ein relativer Begriff ist, der einer Definition bedarf. Solange man sich nicht darauf einigt, was denn nun unter „Armut“ zu verstehen ist, bleibt die Diskussion schnell im Streit darüber stecken und es wird vergessen, dass hinter den Zahlen, unabhängig davon worauf man sich einigen mag, Menschen stehen.(…)

Eine Armutsbeschreibung hat sich in Wissenschaft und Politik weitgehend durchgesetzt: Wer über weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens verfügt, gilt als relativ arm. Dieser Definition der Europäischen Union hat sich auch der Niedersächsische Armutsbericht angeschlossen. Die Armutsgrenze lag danach 1995 in Niedersachsen monatlich bei 957.- DM pro Kopf der Bevölkerung (was für Miete, Kleidung, Nahrung usw. reichen muss) und traf etwa 10 Millionen Menschen. SozialhilfebezieherInnen liegen rund 10,6% unter der Armutsgrenze. (…)

In Niedersachsen bezogen 1984 341.000 Menschen Sozialhilfe, 1993 556.000. Die Zahl der EmpfängerInnen von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt stieg um 88%. In Wilhelmshaven wurde im September 1998 an 7.238 Personen Sozialhilfe gezahlt. Dies grenzt nahezu an 10% der Gesamtbevölkerung.

Nun werden SozialhilfeempfängerInnen nicht gerade mit gesellschaftlicher Zuneigung überschüttet. Gerne wird von „Abzockern“ gesprochen, „denen es viel besser geht als uns“, von „Versagern“, die „alle nicht arbeiten wollen“ und „selber Schuld haben“ ist die Rede.

Wer sind diese Menschen, die von Sozialhilfe leben, und wie geht es ihnen wirklich?

Von den 2,8 Millionen Menschen, die 1996 bundesweit regelmäßige „Hilfe zum Lebensunterhalt“ vom Sozialamt bezogen, waren 100.000 allein erziehende, 340.000 erwerbsunfähige und alte Menschen und eine Million, genau 38,3 %, Kinder unter 18 Jahren. Ihre Anzahl ist allein von 1994 auf 1995 um 10 % angestiegen. Die meisten dieser Kinder sind unter 7 Jahren alt. (…)

In Wilhelmshaven sind von 7.238 Personen, die im September 1998 Sozialhilfe erhielten, 2.834, also 39,16 %, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Dabei stellen die Kinder unter 7 Jahren mit 17,63 % die größte Gruppe. (…)

Es mag unter SozialhilfeempfängerInnen tatsächlich einige geben, die (…) Leistungen erschleichen. (…) Dies darf jedoch nicht dazu führen, die große Gruppe der Alten, der Erwerbsunfähigen und allein erziehenden Mütter, die im Sozialhilfebezug stehen, mit zu diskriminieren.

Im Jahr 1996 wurden in ganz Deutschland insgesamt etwas weniger als 50 Milliarden DM für Sozialhilfe ausgegeben. Der Bund der Steuerzahler wirft Beamten und Politikern vor, 1997 etwa 70 Milliarden DM an Steuergeldern vergeudet zu haben (WZ, 19.9.98). Nach Schätzungen der Steuergewerkschaft gehen dem Staat jährlich 130 Milliarden DM durch Steuerhinterziehung verloren. Die Summen, die durch Unwahrheiten beim Sozialhilfebezug entstehen, können dagegen wahrlich nur „Peanuts“, oder, auf Deutsch „Kleckerbeträge“, sein. q

(Text aus: Reader zur Fotoausstellung „Ohne Arbeit kein Vergnügen“.)

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