Jade-Deal
Jan 141999
 

Der Jade-Deal: Großer Coup oder Quacksalberei?

WZ-Diskussion bemühte sich um Wahrheitsfindung

(iz/hk) Seit Wochen ist die ganze Stadt am Rechnen: Wenn ich 65 Äpfel schuldig bin und leihe mir 130 dazu, dann kann ich 65 Äpfel zurückzahlen und mit dem Restobst noch den Apfelbaum abstottern … Oder wie war das gleich? Das „Sale-and-lease-back“-Modell zur Sanierung der Stadt über die Wohnungsbaugesellschaft Jade hat keiner richtig verstanden – selbst seine Anhänger im Stadtrat nicht. Oder doch? Wir berichten über Meinungen und Mathematik einer Podiumsdiskussion Anfang Dezember – nachdem der Rat seine Entscheidung schon längst getroffen hatte.

Auf dem Podium saßen als Befürworter des Modells der SPD-Fraktionsvorsitzende Siegfried Neumann und Ratsherr Werner Biehl von den Grünen sowie von der Jade Geschäftsführer Heiko Holjesiefken und Aufsichtsratsvorsitzender Oberstadtdirektor Arno Schreiber; als Gegner der CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus Friedrich und FDP-Ratsherr Michael von Teichmann. Moderator war WZ-Chefredakteur Jürgen Westerhoff.
Der Saal war gefüllt mit Mietern und Beschäftigten der Jade und anderen interessierten Bürgern, deren Verunsicherung und Zukunftsangst durch hitzige Zwischenrufe deutlich wurden und den Moderator zum Durchgreifen zwangen („Wir wollen doch artig miteinander umgehen“).

Grundsätze und Ziele des Modells
Der städtische Haushalt soll durch die Reduzierung der städtischen Schulden um 65 Millionen Mark entlastet werden. Dadurch würden sich die jährlichen Zinsleistungen um 7 Millionen Mark reduzieren. Die Konsolidierung des städtischen Haushalts soll erfolgen, ohne den städtischen Einfluss auf die Wohnungsbaugesellschaft Jade zu verlieren.

Wie soll das erreicht werden?
Schon vor der Klausurtagung der Ratsfraktionen auf Wangerooge am 9.10.98 hatten die Parteien drei verschiedene Modelle diskutiert:

  • Anteilsverkauf der Stadt an bisherige Eigner (Banken)
  • Fremdfinanzierungs-Leasing-Modell
  • Eigenfinanzierungs-Modell.

Letzteres („Sale-and-lease-back“) war von SPD und Verwaltung schon länger bevorzugt und ist jetzt im Rat mehrheitlich beschlossen worden – auf Kosten der ehemaligen Bündnisse zwischen SPD und FDP bzw. CDU und Grünen.
Allerdings muss die Bezirksregierung diesem Modell, insbesondere der Bürgschaft der Stadt für die von der Jade aufzubringenden Leasingraten, zustimmen. Die Gründung der beiden städtischen Gesellschaften ist zudem anzeigepflichtig. Ein Trost für alle, die die bisherigen Erläuterungen nicht kapieren: Der Bezirksregierung geht es nicht besser; sie verweigerte Mitte Dezember ihre Zustimmung, weil, so Regierungspräsident Bernd Theilen, „derzeit die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.“ Theilen weiter: „Die komplexen finanzwirtschaftlichen, steuerrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen konnten in der Kürze der Zeit nicht abschließend geprüft werden. (…) Deshalb konnten wir die Bürgschaft nicht genehmigen.“ (Jeversches Wochenblatt 16.12.1998)

Wo liegen die Risiken?
Gegner des Modells aus Rat und Bürgerschaft sorgen sich vor allem um die Leasingraten von 7,1 Mio. DM, die die Jade jährlich erwirtschaften muss – die Mieter fürchten, auf ihre Kosten. Schreiber betonte immer wieder (im Stil beinahe an Barschels „Ehrenwort-Pressekonferenz“ erinnernd), dass er mit seinem Wort dafür einstehe, dass es keinerlei Verbindungen zwischen dem Jade-Modell und irgendwelchen nachteiligen Veränderungen für die Mieter der Jade gäbe. Allenfalls könnten äußere Faktoren wie Erhöhung von Wasser- oder Energiepreisen zu üblichen Mietsteigerungen führen (worauf einige Zuhörer „kaschierte“ Erhöhungen befürchteten). Die Bauunterhaltung, so Siegfried Neumann, würde nicht gemindert. Ebenso wenig würde es Entlassungen bei der Jade geben. Ein weiteres Risiko wurde in der städtischen Bürgschaft gesehen. Schreiber beruhigte, diese sei deshalb von der Bank akzeptiert, weil sie niemals in Kraft treten müsse.
Wolfgang Friedrich bemängelte den Zeitdruck, unter dem der Deal abgewickelt werden muss, weil er durch Beschlüsse der neuen Bundesregierung im nächsten Jahr nicht mehr möglich wäre. Insgesamt bezeichnete er das Modell als „weiße Salbe“, die nur scheinbar den Schmerz lindert.

Totenstille

über den Jade-Deal herrscht in Politik und Presse, seitdem die Bezirksregierung Weser-Ems bekannt gab, dass sie sich außerstande sieht, das Jade-Leasing-Modell zu genehmigen. Das Modell musste bekanntlich unter höchstem Zeitdruck vom Rat verabschiedet werden, weil es 1999 durch Beschlüsse der Bundesregierung nicht mehr realisierbar wäre. Siegfried Neumann (SPD) wird jetzt wohl mit der Bezirksregierung in den Clinch gehen müssen. Schließlich prophezeite er „schlimme Zeiten für Wilhelmshaven“, wenn die Transaktion nicht durchgeführt würde. Neumann: „Dann müssen sich alle die vor die Bürger stellen und Erklärungen darüber abgeben, dass sie mit ihrem Verhalten einen Beitrag dazu geleistet haben, dass es hier den Bach runter geht.“ (WZ, 28.11.1998) Die Totenstille kann dreierlei bedeuten: 1.) Die Damen und Herren in Politik und Verwaltung wissen nicht weiter (was eher unwahrscheinlich ist) oder 2.) sie wissen, dass die Bezirksregierung in Kürze grünes Licht gibt oder 3.) sie hecken einen neuen Deal aus, für den es geglätteter Wogen bedarf.

Wie sollen die Raten finanziert werden?
Auf diese Frage der Gegner wurde vor allem mit neuer Geschäftspolitik der Jade geantwortet: angesichts hohen Leerstands keine Neubauten, kein „nichtrentabler Wohnungsbau“, um Projekte der Stadtsanierung durchzuführen, Ausweitung des Engagements über die Stadtgrenzen hinaus, Zusammenlegung von Wohneinheiten. Werner Biehl, bis kurz vor der Veranstaltung noch eingefleischter Gegner des Modells („Entpuppt sich nur eine einzige der zugrunde gelegten Annahmen als falsch (…) stimmt der Fahrplan über 30 Jahre nicht mehr, die WoBau Jade muss dann mehr verkaufen oder die Stadt ihre Bürgschaft einlösen oder die Mieter die Zeche bezahlen. Warum also dieses Risiko?“ (WZ, 24.11.98): „Es ist schon vieles passiert in den letzten Jahren“ – Zwischenruf aus dem Publikum: „Ja, finanziert durch die F’grodener Karnickelställe – Wahnsinnsmieten für alte Hitlerbauten!“ Von Teichmann: „Die alte Geschäftspolitik der Jade wird gepriesen – trotzdem soll sich jetzt alles ändern?“
Der Erfolg der genannten Maßnahmen wurde vom Publikum angesichts weiter sinkender Bevölkerungszahlen und hohen Wohnungsleerstandes bezweifelt. Dazu Schreiber: „Erstmal haben wir das Modell, dann sehen wir weiter.“
Unverständnis auch für die 20 Millionen, die zusätzlich als Risikopolster aufgenommen werden. Dazu Holjesiefken: „Lieber jetzt zinsgünstig aufnehmen als im konkreten Notfall zum doppelten Zinssatz.“

Unter welchen Bedingungen hätten die Gegenparteien dem Modell zugestimmt?
Dazu Klaus Friedrich: „Wenn gleichzeitig andere Belange des Gemeinwohls festgeschrieben worden wären, z.B. Arbeitsplätze – das große Ganze hat nicht gestimmt.“ Die Ablehnung der CDU war auch fraktionsintern absolut einstimmig gewesen. Vor allem wurden die Zusagen – keine Mieterhöhungen, keine Minderung der Bauunterhaltungsmittel, die Stadt behält das Sagen – angezweifelt.

Welche Rolle spielt der Aufsichtsrat?
Der neue 11köpfige Aufsichtsrat besteht aus je 2 SPD- und CDU- Ratspolitikern, Oberstadtdirektor Schreiber, 5 Finanzfachleuten (u. a. Notar Naraschewski und dem Geschäftsführer der Nds. Landesentwicklungsgesellschaft NILEG) und einem Mitarbeiter der städtischen Finanzverwaltung.
Zur Rolle der „Fachleute“ gab es unterschiedliche Meinungen. Schreiber betonte, auch wenn kaum ein Ratsmitglied das Modell richtig verstanden hätte, wären Erläuterungen und Zustimmung der hinzugezogenen Fachleute entscheidend gewesen. Gleichzeitig befürwortete er jedoch die Mehrheit aus Rat und Verwaltung gegenüber Außenstehenden im Aufsichtsrat.
Hingegen hätte vor allem FDP-Vertreter von Teichmann „die Kraft der freien Wirtschaft“ gern stärker im Aufsichtsrat vertreten gesehen, der ihm zu „verbeamtet“ ist: „In den Aufsichtsrat gehören Fachleute, gehört Sachverstand.“

Jade Coup

Der Deal: Die Stadt gründet zwei Gesellschaften: Die Beteiligungsgesellschaft (BG) und die Grundstücksverwaltungsgesellschaft (GVG). Die GVG nimmt bei einer Bank einen Kredit von 130 Millionen DM (für den die Stadt mit 100 Millionen bürgt) auf und kauft dafür 42% der Jade (Grundstücke und Wohnraum). Die Jade kauft die Jade-Anteile von Sparkasse und Bremer Landesbank für 44 Millionen und gewährt der BG einen Kredit von 65 Millionen Mark. Die BG kauft dafür die Jade-Anteile der Stadt. Alle Anteile der Wohnungsbaugesellschaft befinden sich jetzt in der Hand der Jade bzw. der Stadt Wilhelmshaven. 20 Millionen wandern in eine Rücklage (Notfall-Puffer). Diese Rücklage soll dann angepackt werden, wenn es der Jade nicht gelingt, die Leasing-Raten zu erwirtschaften. Die Stadt entschuldet sich mit den 65 Millionen und verringert dadurch die jährliche Zinslast um ca. 7 Millionen (Geld, das dann für kommunale Aufgaben zur Verfügung steht). Die Jade muss nun jährlich ca. 8 Millionen Mark Leasingraten an die GVG zahlen. Die Stadt Wilhelmshaven hat nun 65 Millionen weniger Schulden – die Jade (99%-Anteilseigner ist die Stadt Wilhelmshaven) hat dafür 65 Millionen mehr Schulden und 42% weniger Eigentum. Wenn die Jade 30 Jahre lang fein säuberlich ihre Raten bezahlt hat, hat sie ein Vorkaufsrecht für die 42% an die GVG verkauften Immobilien – sie muss dann allerdings nochmals 30 (oder mehr) Millionen auf den Tisch legen, um das verleaste Eigentum wiederzubekommen. (Die Darstellung ist stark vereinfacht und berücksichtigt nicht jede Million, jedes Anteilsprozent, jeden Aspekt des Deals.)

Was hat die Veranstaltung gebracht?
Von Teichmann sieht im diskutierten Sale-and-lease-back-Modell nur eine Mehrverschuldung mit offener Finanzierung und lehnt Hypotheken auf Kosten kommender Generationen ab.
Bei Friedrich wehrt sich der „gesunde Menschenverstand“ gegen das Modell, sein Resumée bleibt: „Weiße Salbe.“
Werner Biehl bedauerte, dass die Gelegenheit versäumt wurde, das Modell z. B. anhand von Overheadfolien einmal richtig zu erklären, und schlug eine zweite Veranstaltung zu diesem Zweck vor: „Es ist (noch) Zeit für eine offensive Aufklärung.“ Insgesamt befürchtete er, der Abend hätte mehr Fragen als Antworten hervorgebracht.
Siegfried Neumann schließlich blieb bei seiner Überzeugung: „Es ist nicht wichtig, das Modell zu verstehen.“


Kommentar

„Erst das Modell und dann sehen, wie’s weitergeht“

Wer nichts zu verlieren hat, kann hoch pokern. Kein Grund, erstmal pauschal zu meckern und zu zweifeln, wenn eine Stadt, die keinen genehmigungsfähigen Haushalt mehr hinkriegt, sich auf möglicherweise pfiffige, legale Finanzierungstricks inklusive Risiko einlässt.
Lassen wir mal die oppositionsbedingte Ablehnung der politischen Gegenparteien beiseite, auch das Misstrauen des von der Trögeler-Affäre (1995) gebrannten Bürgers und den Protest des latent sich gebeutelt fühlenden Mieters: So bleiben trotz oder erst recht nach der öffentlichen Veranstaltung Fragen und Widersprüche, ohne deren Klärung der Beschluss von SPD und Grünen ziemlich einsam dasteht.
Zum Beispiel: Was sind „Fachleute“? Die Gegner hätten das Konsolidierungsmodell gern Finanzexperten jenseits von Rat und Verwaltung überlassen. Der Oberstadtdirektor beruhigt einerseits die erhitzten Gemüter, bei der Entscheidung über dieses komplizierte Verfahren sei die Meinung von solchen Fachleuten ausschlaggebend gewesen – anderseits gehört zu den Grundprinzipien der Entscheidung, im Jade-Aufsichtsrat die Mehrheit über solche Fachleute zu wahren. Fachleute als Alibi? Kontrollierbare Fachleute? Im Hinterkopf der Wunsch, zu beweisen, dass Feierabendpolitiker und eine städtische Verwaltung mindestens ebenso sachkundig und kreativ sind wie die freie Wirtschaft?
Schreibers Ausspruch „Erst das Modell und dann sehen, wie’s weitergeht“ führt diesen Traum ad absurdum. Sinn und Erfolg des durchaus interessanten Modells hängen davon ab, ob die Leasingraten erwirtschaftet werden können. Das ist also erstens, und das Modell ist zweitens.
Sicher ist man – im Moment – nur, wie die Raten nicht erwirtschaftet werden sollen: nicht über Mieterhöhungen und nicht über Entlassungen bei der Jade. Die konkrete Antwort auf das „Wie“ blieb man schuldig.

Wilhelmshaven hat einen hohen Wohnungsleerstand, nicht nur bei Jadewohnungen. Da erfordert es viel Geschick, die „Karnickelställe“ (Zitat Mieter) gegen billige, schöne Altbauwohnungen und den Trend zum Eigenheim konkurrenzfähig zu machen. Nächster Widerspruch: Die bisherige Arbeit der Jade wurde mehrfach gelobt – jetzt soll sie wie durch Zauberhand so extrem viel professioneller werden, dass sie die Hauptrisiken des Finanzierungsmodells auffangen kann.
Angesichts der von den Gegnern zitierten nicht berücksichtigten Nebenbedingungen wie Arbeitslosigkeit werden vor allem junge arbeits- und perspektivlose Menschen weiterhin die Stadt verlassen; einkommensstärkere nutzen das Angebot zum schickeren oder gar eigenen Neubau am Stadtrand, wo sich die Jade in Eigenkonkurrenz z. B. durch Reihenhäuser bzw. als Erschließungsträger im Maadebogen engagiert.
Solche Trends müssen im Vorfeld einer solchen Entscheidung analysiert und über einen 30-jährigen Zahlungszeitraum einkalkuliert werden. Sie entstehen zwar, so Arno Schreiber, auch ohne das Finanzierungsmodell – aber mit haben sie erheblichen Einfluss auf die Erwirtschaftung der Leasingraten.
Kein Modellgegner wäre schadenfroh, wenn der Deal in die Hose ginge. Den Triumph, mal wieder berechtigt misstrauisch gewesen zu sein, würden viele teuer bezahlen – unter Umständen die Mieter der Jade und bei Inkrafttreten der Ausfallbürgschaft alle Bürger dieser Stadt.
Wie der Deal zu Ende gehen wird, steht heute noch in den Sternen. Gut und wichtig für die Stadt ist, dass sie mit der Bezirksregierung eine übergeordnete Instanz hat, die vielleicht durch ihre Fachleute verhindert, dass sich die Stadt Wilhelmshaven in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang stürzt.

Imke Zwoch / Hannes Klöpper


Jade Coup 2

Der Jade-Coup brachte die Mehrheitsgruppe um ihre Mehrheit: Michael von Teichmann stimmte gegen den geplanten Kauf/Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft Jade. Die Bündnisgrünen, bisher mit der CDU liiert, hofften, durch den finanziellen Vorteil aus dem Jade-Deal (ca. 7 Mio. jährlich) Geld für die Kindertagesstätten zur Verfügung zu haben. Werner Biehl und Gerhard Kläne: „Wir sind an einer Wegscheide und müssen uns entscheiden.“ Das taten sie dann auch. Die Mehrheitsgruppe ohne Mehrheit hatte wieder die Mehrheit. Mal sehen, wie’s weiter geht.

 

 

 

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