Gespräch mit Norbert Schmidt (SPD)
Jun 271995
 

Notfalls gemeinsam aufstehen

Gegenwind-Gespräch mit dem Vorsitzenden der Wilhelmshavener SPD und Ratsherrn Norbert Schmidt

(ef/noa) Ganze sieben Minuten hatte Norbert Schmidt, um für die SPD im Rat der Stadt die Haushaltsrede zu halten. Nun ist das etwas wenig Zeit, um zu erklären, daß und warum Wilhelmshaven keinen Haushalt hat. Wir haben deshalb nachgefragt, was Schmidt im Rat nicht gesagt hat.

GEGENWIND: Norbert, in der letzten Ratssitzung hast du für die SPD-Ratsfraktion die Rede zum Haushalt 1995 gehalten. Aber es gibt doch keinen Haushalt 1995. Wie geht es nun weiter?
Schmidt: Richtig, wir haben in diesem Jahr keinen genehmigungsfähigen Haushalt. Das bedeutet, daß jetzt nach § 88 der Niedersächsischen Gemeindeordnung zu verfahren ist. Das heißt, daß dadurch der Rat in allen Finanzfragen machtlos ist.

Das kann doch nicht zum Dauerzustand werden. Wie will man verfahren, um für 1996 wieder einen Haushalt genehmigt zu bekommen?
Wir müssen 23 Mio. DM einsparen. Die von der Verwaltung aufgestellten sogenannten Prüfaufträge zum Zweck gewaltiger Einsparungen können wir als Sozialdemokraten nicht komplett mittragen. Das will die CDU. Wir Sozialdemokraten aber wollen nicht, daß wichtige Strukturen in unserer Stadt zerschlagen werden. Wenn wir Schwimmbäder schließen oder das Theater, die Kunsthalle oder das Pumpwerk, dann nimmt die Lebensqualität unserer Stadt erheblichen Schaden. Das wäre nicht im Sinne unserer Bürger.

Die SPD hat seit langem die Mehrheit im Rat der Stadt. Die Bürger sagen jetzt den alten Spruch daher, dass Sozialdemokraten nicht mit Geld umgehen können. Was kannst du dagegenhalten?
Daß wir das wohl können, könnte ich an vielen Beispielen belegen. Doch das bringt uns hier nicht weiter. Auf keinen Fall sind kommunale finanzpolitische Fehlentscheidungen die Ursache für die augenblickliche Situation. Die Stadt mit ihrer Monostruktur wird, wenn sich nichts Entscheidendes ändert, immer auf Hilfe von außen angewiesen sein. Wir brauchen Finanzzuweisungen von Land und Bund. Wer bestellt, soll auch bezahlen! Wir stellen für ganz Deutschland die Ölreserven sicher und können so dieses Areal nicht als Bauland nutzen. Wir haben den größten Marinestützpunkt hier und erhalten dafür keinen Pfennig Gewerbesteuer. Wir haben den einzigen Tiefwasserhafen, stellen die Infrastruktur und nehmen auch die mit dem Hafen verbundenen Gefahren auf uns, ohne dafür vom Bund honoriert zu werden.

whv_karikaturWie sieht es bei den Einnahmen aus? Wird es Gebühren-, Abgaben- und Gewerbesteuererhöhungen geben?
Neue Einnahmequellen sind leider nicht in Sicht. In der Besteuerung liegt Wilhelmshaven sowieso schon ganz oben. Von weiteren Erhöhungen darf nur im äußersten Notfall Gebrauch gemacht werden. Es kann doch nicht gerecht sein, daß man den Bürgern einer so finanzschwachen Kommune auch noch die höchsten Leistungen auferlegt. Schädlich wäre es auch, die Gewerbesteuern zu erhöhen. In diese Richtung zu denken, lehne ich von vorneherein ab. Unsere Wirtschaft müssen wir fördern und nicht durch Erhöhungen abwürgen.

Wo kann man überhaupt noch sparen?
Wir haben ja den Punkt Prüfaufträge schon gestreift. Bei der zweiten Haushaltsklausur haben wir sie genau auf die Sozialverträglichkeit hin durchleuchtet und es uns dabei nicht leicht gemacht. Die CDU wollte ja alle Prüfaufträge – wie von der Verwaltung vorgegeben – übernehmen. Prüfaufträge, das Wort macht es schon deutlich, bedeutet doch, daß die Verwaltung dem Rat Antworten auf Fragen gibt, d.h. Vorschläge macht und nicht Vorschriften erläßt. Bei einigen Vorschlägen wäre es hilfreich gewesen, hätte die Verwaltung unter der Rubrik „Konsequenzen“ nicht nur nichtssagende Formulierungen angeführt, sondern die Konsequenzen wirklich durchdacht und genannt.

Unsere Bürger monieren, daß die Verwaltung uneffizient arbeite und zudem arg aufgebläht sei. Verwaltungen anderer Städte gleicher Größe kämen mit wesentlich weniger Personal aus und seien trotzdem – z.B. bei der Bearbeitung von Anträgen – schneller. Du hast schon einmal von der „schlankeren Verwaltung“ gesprochen. Was für eine „Abmagerungskur“ schwebt dir vor?
Allheilmittel sind weder radikaler Abbau von Personal noch Privatisierung. Untersuchungen der Firmen KGST und S-Consult werden uns aufzeigen, wie man die Verwaltung umstrukturieren kann und sie zu einem effizienten, modernen Dienstleistungsunternehmen machen kann. Privatisierungen werden wir nur zustimmen, wenn die Bediensteten sozial abgesichert werden. Schlanker werden muß die Verwaltung, das ist unumstritten.

Nun wurde eine Beschäftigungsgesellschaft ins Leben gerufen. Was will man damit erreichen?
Der Gründung dieser „Gesellschaft für Arbeitsvermittlung und Qualifizierungsförderung e.V.“ stimmen wir im Grundsatz zu. Der Verein will Sozialhilfeempfänger wieder dem ersten Arbeitsmarkt zuführen. Damit könnten wir die enormen finanziellen Aufwendungen für diesen Personenkreis, die ja von der Stadt gezahlt werden, erheblich reduzieren.

Warum muß aber ausgerechnet der ohnehin stark ausgelastete Stadtdirektor, Kämmerer und zudem auch noch Kulturdezernent den Vorsitz dieses Vereins übernehmen? Wir könnten uns auch einen anderen Vorsitzenden vorstellen.
Dazu kann ich nichts sagen.

Fassen wir zusammen. Was muß aus deiner Sicht als Ratsherr und SPD-Vorsitzender nun geschehen?
Wir müssen mit aller Kraft auf einen genehmigungsfähigen Haushalt für das nächste Jahr zusteuern. Bei den Prüfaufträgen müssen Sparpotentiale auch zu Spareffekten führen. Land und Bund müssen endlich der besonderen Verantwortung für diese Stadt nachkommen. Auch politisch müssen wir in dieser Situation gemeinsam an einem Strang ziehen. Wir müssen uns kämpferischer für unsere Stadt einsetzen und dürfen nicht alles schönreden. Und, wenn man uns im Stich läßt, auch einmal gemeinsam aufstehen.

Wir danken Dir für dieses Gespräch.

 

Kommentar:

Es war immer, immer so..

(ef) Wer glaubt, die gegenwärtige finanzielle Misere Wilhelmshavens wäre neu oder einmalig, sei auf die „Denkschrift über die wirtschaftliche Lage der Jadestädte Wilhelmshaven-Rüstringen“ aus dem Jahre 1928 verwiesen. Aufgrund der ungünstigen Struktur Wilhelmshavens sind Geldsorgen hier schon immer vorprogrammiert gewesen.
„Infolge der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse sind auch die Wohlfahrtslasten der Jadestädte in erschreckendem Masse gestiegen … Daraus ergibt sich für Rüstringen eine Steigerung der Wohlfahrtslasten auf das 8-fache der Lasten vor dem Kriege … Angesichts dieser Tatsache können die Jadestädte nur mit ernster Sorge in die Zukunft sehen. Schon heute ist es den Jadestädten nicht möglich, ihre Ausgaben durch ihre Einnahmen zu decken … Eine Erhöhung der laufenden Einnahmen ist aussichtslos… Alle sonstigen indirekten Gemeindesteuern werden in dem zulässigen Höchstmasse erhoben. Auch die Preise für Gas…, Strom … und Wasser vertragen keine Erhöhung mehr. Die Stadt Rüstringen hat alle ihre Steuerquellen . .. in voller Höhe ausgeschöpft … Diese ungünstige finanzielle Lage der Jadestädte wird aber zur Katastrophe werden, wenn es uns nicht gelingt, wenigstens die heutige Wirtschaftsgrundlage zu erhalten. Leider müssen die Jadestädte angesichts der Verhältnisse befürchten, daß ihnen nicht mal die jetzige Wirtschaftsgrundlage erhalten bleibt.“

 

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