Friedensbewegung
Mai 211990
 

Endlich richtig abrüsten!

Gegenwind-Interview mit Wolfgang Niemann-Fuhlbohm

(hh/noa) Um die Wilhelmshavener Friedensbewegung, die vor einigen Jahren Hunderte zu Demonstrationen und Kundgebungen mobilisieren konnte und ein fester Bestandteil des politischen Lebens war, ist es ruhig geworden. Der GEGENWIND wollte wissen, ob es die Friedensbewegung so noch gibt und wie sie heute arbeitet. Wir sprachen mit Wolfgang Niemann-Fuhlbohm.

Gegenwind: Es ist still geworden um die Friedensbewegung – nicht nur in Wilhelmshaven. Wurde euch durch die Veränderungen im Ostblock nicht nur der Geldhahn, sondern auch das Mundwerk abgedreht?gw93_atomfrei
Niemann-Fuhlbohm: Der Geldhahn mit Sicherheit nicht, denn wir wurden ja nicht vom Ostblock finanziert, sondern ausschließlich durch Spenden der mitarbeiten den Organisationen und Gruppen. Und das Mundwerk sicherlich auch nicht. Was eingetreten ist, ist eine gewisse Stagnation. Aber die ist schon seit einiger Zeit zu spüren, nicht erst seit der Veränderung im Ostblock.

Gegenwind: Hat die Friedensbewegung noch eine Existenzberechtigung? Gibt es heute noch eine reale Bedrohung des Friedens?
Niemann-Fuhlbohm: Dahinter steckt die Vermutung, es habe sich etwas geändert. Das ist nicht der Fall. Es wird zwar viel geredet, aber tatsächlich ist nichts passiert. Die Bedrohung des Friedens besteht nach wie vor. Wir sind z.B. immer noch das Land mit der größten Atomwaffendichte in der Welt. Es lagern in Westeuropa etwa 3600 Atomsprengköpfe, und der Bundestag hat für 1990 den größten Rüstungsetat seit Kriegsende beschlossen. Es besteht also weiterhin die Notwendigkeit von Friedensarbeit.

Gegenwind: Wie ist die Struktur der Friedensbewegung heute? Gibt es noch eine bundesweite Koordination?
Niemann-Fuhlbohm: Anfang der achtziger Jahre war sie ein bundesweites Bündnis, an dem Delegierte aus allen möglichen Parteien, Verbänden und Organisationen teilgenommen haben. Das hat sich inzwischen geändert. Es gibt jetzt ein weitaus offeneres, basisdemokratischeres Forum, das sich „Friedenskooperative Netzwerk“ nennt. Dies Netzwerk bringt regelmäßig die Publikation „Friedensforum“ heraus, in der jeder veröffentlichen kann.
Diese neue Struktur hat jedoch den Nachteil, daß man damit nicht mehr, wie noch in den achtziger Jahren, Hunderttausende mobilisieren kann.

Gegenwind: Die Militärstrategen, aber auch der Friedensbewegung nahestehende Institute, bezeichneten immer das Vorhandensein eines „militärischen Gleichgewichts“ als Garant für den Frieden. Jetzt hat der Warschauer Pakt beträchtlich abgespeckt. Wird dadurch ein Krieg wieder führbar und gewinnbar, oder ist der Frieden sicherer geworden?
Niemann-Fuhlbohm: Diese Abschreckungstheorie, daß man zwei gleich starke Blöcke haben muß, um einen Krieg zu verhindern, ist ja nicht mehr als eine These. Tatsache ist, daß einseitige Abrüstungsschritte bislang lediglich von östlicher Seite eingeleitet wurden. Solange nicht bei uns weitgehende Maßnahmen wie z.B. Kürzung des Militärhaushaltes um 50% und der Verzicht auf die NATO-Strategie der Vorwärtsverteidigung beschlossen werden, ist der Frieden nicht sicherer.
Zur Frage der Gewinnbarkeit eines Krieges kann ich nur sagen, dass mit den Waffenpotentialen, die angehäuft wurden, Kriege grundsätzlich nicht gewonnen werden können. Auch den NATO-Strategen ist klar, daß ein Krieg nur verloren werden kann, selbst nach den in Wirklichkeit minimalen Abrüstungsschritten des Warschauer Paktes. Was da an Waffen verringert wurde, ist tatsächlich nur der Unterschied zwischen dem 75fachen und dem 74fachen Over-Kill.

Gegenwind: Wie verhaltet ihr euch zu den Veränderungen im Ostblock?
Niemann-Fuhlbohm: Die Veränderungen schätzen wir grundsätzlich positiv ein. In welche Richtung das gehen wird, ist aber derzeit noch nicht vorhersehbar. Zu befürchten ist, daß der DDR im Eiltempo unser System aufgezwungen wird, und das ist sehr negativ einzuschätzen. Es sieht so aus, als werde sich der Kapitalismus nach Osten ausbreiten, um neue Märkte zu schaffen. Das wird nicht ohne Konflikte ablaufen. Die Bevölkerung dort wird sich noch umgucken.

Gegenwind: BRD und DDR – einig Vaterland. Was kommt da auf uns zu – das Vierte Reich? Die Bedrohung der Nachbarn durch ein „Großdeutsches Reich“?
Niemann-Fuhlbohm: Die Gefahr besteht mit Sicherheit. Was sich militärpolitisch tun wird, läßt sich noch nicht absehen. Ökonomisch wird es sich so entwickeln, daß ein Großdeutschland die wirtschaftlich führende Macht in Europa sein wird.
Es gibt Visionen, die besagen, dass sich drei ökonomisch potente Mächte entwickeln, nämlich die EG unter Führung von „Großdeutschland“, Japan mit den pazifischen Randstaaten und die USA. Und durch den Wegfall der Polarisierung zwischen UdSSR und USA, die so einiges in Schach gehalten hat, werden sich möglicherweise ganz andere Konflikte auftun, die friedensgefährdend ablaufen können.

Gegenwind: Nochmals die Entwicklung in Osteuropa. Die Atomraketen in der BRD sind auf Ziele in der DDR, in Polen und in der CSFR gerichtet. Sind diese Raketen auch Beispiele für die militärische Unbeweglichkeit der NATO, oder haben diese Waffen noch einen militärischen Sinn?
Niemann-Fuhlbohm: Die atomaren Kurzstreckenraketen haben nach Öffnung der Grenzen natürlich keinen Sinn mehr. Es ist tatsächlich ein Beispiel für die Unbeweglichkeit der NATO, der es doch ein leichtes gewesen sein müßte, während der letzten Konferenz vor drei Wochen in Kanada die Abrüstung dieser Scheißdinger zu beschließen. Stattdessen wurde lediglich auf ihre Modernisierung verzichtet.
Gegenwind: Hat die Entwicklung im Ostblock überhaupt schon Niederschlag im Konzept der NATO gefunden? Und anders herum: Was bewegt sich an Konzeptionsänderungen im Osten?
gw93_panzerNiemann-Fuhlbohm: Im Konzept der NATO hat sich nichts geändert. Es wurde beschlossen, auf dem NATO-Gipfel Anfang Juli in London eine Änderung der NATO- Strategie zu diskutieren.
Zu Konzeptionsänderungen im Osten wissen wir noch nichts außer der bekannten Tatsache, daß die UdSSR nicht an einer Beibehaltung dieses riesigen Rüstungshaushaltes interessiert ist.

Gegenwind: Wie schätzt ihr die sich abzeichnenden Veränderungen innerhalb der Bundeswehr ein: Tiefflugverbot, Verkürzung der Wehrdienstzeit?
Niemann-Fuhlbohm: Grundsätzlich sind dies Schritte in die richtige Richtung, wenn sie denn beschlossen werden. Solche Diskussionen haben allerdings im Moment nur die Funktion, der Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen. Wir sollen glauben, daß etwas getan werde, und der Forderung nach einschneidenden Maßnahmen soll vorgebeugt werden. Tatsächlich ändert sich nichts, was man ja auch am schon erwähnten Militärhaushalt für 1990 sehen kann, der übrigens nach Öffnung der Grenzen beschlossen wurde.

Gegenwind: Ist die Wilhelmshavener Friedensbewegung noch das breite Bündnis quer durch die Parteien, Bürgerinitiativen, Vereine und Verbände?gw93_schiff
Niemann-Fuhlbohm: Sie ist es – wie auch bundesweit – schon lange nicht mehr. Heute arbeiten nur noch Einzelpersonen mit. Wir sind jetzt eigentlich eine Friedensinitiative. Wir tagen zusammen mit der DFG/VK (Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner), bei Wahrung der Eigenständigkeit beider Gruppen.

Gegenwind: Mit welcher Stoßrichtung arbeitet ihr heute?
Niemann-Fuhlbohm: Leider stagniert die Arbeit etwas. Wir sind nur noch ein Kern von wenigen Leuten. Wir beobachten die Entwicklung sehr sorgfältig, und wir arbeiten jetzt mehr auf der kommunalen Ebene. Z.B. haben wir im Februar ein Seminar zum Thema Rüstungskonversion, das bedeutet Umstellung der Rüstungsproduktion auf Friedensproduktion, durchgeführt. Dieses Problem wird nämlich schon bald auf Wilhelmshaven zukommen.

Gegenwind: Die Abrüstung, so scheint es jedenfalls, ist heute aktueller auf der Tagesordnung denn je. Abrüstung heißt aber ja nicht nur Verschrottung von Waffen und Material, da werden ja auch Menschen im Rüstungsapparat überflüssig. Wilhelmshavens Politiker von Maaß bis Adam setzen sich ja vehement für den Erhalt des Militärs in Wilhelmshaven ein. Habt ihr da schon Strategien oder Forderungen erarbeitet?
Niemann-Fuhlbohm: Wir begrüßen die Einrichtung eines Runden Tisches, wie ihn OB Menzel und die Grünen gefordert haben. Mit allen in Frage kommenden Gruppen muß dringend ein Konzept zu alternativer Produktion vor allem beim Marinearsenal, das ja über beträchtliches technisches Know-how verfügt, erarbeitet werden. Dafür sind dann Bundeszuschüsse notwendig.
Teile der SPD und die Grünen setzen sich immerhin mit diesen Fragen auseinander, während Herr Maaß absolut engstirnig verbreitet, dass überall abgerüstet werden müsse, nur in Wilhelmshaven nicht. Die SPD hingegen fährt da zweigleisig. Sie versucht, die Einheiten, die nach Emden verlegt werden sollen, erstmal hierzubehalten, überlegt aber andererseits schon Alternativen.

Gegenwind: Wilhelmshaven ist ja nicht nur selbst hochgerüsteter Standort, sondern in der Umgebung stehen die Atomraketen, die Militärflugplätze. Wie sieht die Arbeit der Friedensbewegung in der Region aus? Welche konkreten Ziele habt ihr in der Region?
Niemann-Fuhlbohm: Ganz konkret unterstützen wir die Gesellschaft „Osterfeld“, über die ihr ja in eurer letzten Ausgabe berichtet habt. Um den Ausbau des Flughafens Wittmundhafen zu verhindern, hat diese Gesellschaft Land aufgekauft, und wir werden uns daran beteiligen.

Gegenwind: Wilhelmshavens Existenz ist seit Kaisers Zeiten vom Militär abhängig. Gibt es für diese Stadt überhaupt eine zivile Zukunft?
Niemann-Fuhlbohm: Man soll auch utopische Vorstellungen nicht gleich vom Tisch wischen. Unter bestimmten Voraussetzungen würde ich diese Frage bejahen. Wenn der Runde Tisch zustande kommt und Maßnahmen realisieren kann, wenn dazu finanzielle Hilfe aus Bonn kommt, dann könnte ich mir schon eine zivile Zukunft in Wilhelmshaven vorstellen. Das Geld dafür ist da, ohne weiteres.

Gegenwind: Wir danken für das Gespräch.

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top