Bürger begehren auf
Bürgerinitiative „Zeche Rüstersieler Groden“ startet Unterschriftensammlung gegen das Kohlekraftwerk der Electrabel
(hk) Die Bürgerinitiative gegen Kohlekraftwerke und für Klimaschutz hat sich einen etwas seltsam anmutenden Namen gegeben: Zeche Rüstersieler Groden. Ob damit nun die befürchteten Kohlehalden auf den Grodenflächen gemeint sind oder ob gemeint ist, dass der Rüstersieler Groden die Zeche zu begleichen hat, war bisher nicht in Erfahrung zu bringen.
Es ist schon wieder einmal „typisch Wilhelmshaven“, dass man sich hier um den Bau mehrerer Kohlekraftwerke reißt, wo gerade die halbe Welt dabei ist, der umweltverschmutzenden und wenig effektiven Kohleverstromung den Garaus zu machen. Für die BI Zeche Rüstersieler Groden steht fest, dass die Verbrennung von Kohle zur Stromerzeugung ein Weg ist, der die bekannten Bedrohungen ignoriert. In Wilhelmshaven kümmert’s kaum jemanden, obwohl die Ablehnungsfront im Stadtrat diesmal größer und wirkungsvoller ist als bei all den anderen Ansiedlungen der letzten Jahrzehnte.
Die BI bezieht hier Stellung und fordert Alternativen:
- Ausbau sowie die forcierte Effizienzsteigerung bei der Nutzung von Sonnenstrahlen, Wind- und Wasserkraft, Erdwärme und Biomasse.
- Neben Sonnenkollektoren, Fotovoltaik, Windrädern, Wassermühlen und Biomassekonvertern gibt es weitere Möglichkeiten, den unendlichen Vorrat an Naturkräften anzuzapfen; z.B. durch Nutzung der Erdwärme, thermische Kraftwerke, Wellen-, Strömungs- und Osmosekraftwerke.
- Die Vielfalt der Möglichkeiten zur Nutzung erneuerbarer Energien ist heute schon sehr groß, und sie dürfte noch steigen, wenn auf diesem Gebiet noch intensiver geforscht würde.
Energiesparen:
- Durch die Verordnung strenger Effizienzvorschriften für Leuchtkörper und elektrische Geräte wie Fernseher, Kühlschränke, Waschmaschinen, Wäschetrockner. Auch bei der Gebäudeisolierung gibt es noch viel zu tun! (aus Infoblatt „Brauchen wir Kohlekraftwerke in Wilhelmshaven?“)
Der Gegenwind sprach mit dem Mitglied der Bürgerinitiative Jochen Martin über die nächsten Schritte gegen das Kohlekraftwerk.
Gegenwind: Die BI Zeche Rüstersieler Groden hat sich jetzt gegründet. Was steckt dahinter?
Jochen Martin: Zeche Rüstersieler Groden hat ja noch einen Untertitel, der mehr darüber aussagt, was wir wollen – wir nennen uns „Bürgerinitiative Wilhelmshaven – gegen Kohlekraftwerke, für Klimaschutz“. Das sagt eigentlich schon zum Einstieg aus, was wir wollen.
Die Frage, warum Kohlekraftwerke problematisch für die Umwelt sind, brauchen wir nicht mehr großartig zu debattieren – dazu steht täglich etwas in den Zeitungen, und die Aktivitäten der Bundesregierung im Bereich Klimaschutz sind ja eindeutig – das Zurückfahren der Verbrennung von Kohle ist ja ein erklärter Weg, um die Ziele der Reduzierung des CO2-Ausstoßes um bis zu 40% bis 2020 zu erreichen.
Was soll nun in Wilhelmshaven passieren von Seiten der Planung – was soll hier gebaut werden, worauf müssen sich die Wilhelmshavener Bürger und Bürgerinnen einstellen?
Zunächst hat die belgische Firma Electrabel – das ist eine Tochter des multinationalen französischen Konzerns SUEZ – den Antrag gestellt, hier ein Kohlekraftwerk zu bauen mit der Option eines zweiten Kraftwerks. Dann hat die e.on sich gemeldet, die ihre schon länger bestehende Option, ein zweites Kraftwerk zu bauen, hat aufleben lassen und erklärt, dass sie das bestehende Kraftwerk in einigen Jahren durch ein neues ersetzen will.
Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass auf dem Voslapper Groden die Wilhelmshavener Raffinerie, die jetzt ConocoPhillips gehört, ein eigenes Kraftwerk bauen will, und die Deutsche Flüssiggas Terminal Gesellschaft (DFTG) hat schon ein Kraftwerk genehmigt bekommen.
Warum setzen die Energieunternehmen denn noch auf Steinkohle? Man sollte doch meinen, dass die auch wissen, dass das nicht der Weisheit letzter Schluss ist.
Das hat natürlich ausschließlich wirtschaftliche Gründe. Die Gründe sind: Aus Kohle lässt sich zurzeit noch billig Strom herstellen, und Wilhelmshaven bietet sich für die Stromkonzerne an, weil zunehmend auf Importkohle umgestellt wird. Der deutsche Steinkohlebergbau wird ja immer mehr zurückgefahren und soll 2018 ganz eingestellt werden.
Außerdem festigen Großkraftwerke die Oligopolstellung (Oligopol: wenige Anbieter stehen vielen Nachfragern gegenüber, red) der großen Energiekonzerne, die uns mit ihrer Marktmacht im Moment mit arroganten Preissteigerungen überziehen. Das lässt die Aktienkurse steigen, bringt gute Dividende und exorbitante Gehälter für die Manager. Daher ist es nicht verwunderlich, dass dieser ideale Zustand so lange wie möglich aufrechterhalten werden soll.
Wenn ich an frühere Auseinandersetzungen bei Kraftwerksansiedlungen denke, da hieß es immer „die Lichter gehen aus“, wenn das Kraftwerk nicht gebaut wird. Sind die hier geplanten Kraftwerke zur Energieversorgung nötig – oder geht es da um die Konkurrenz auf dem Strommarkt?
Es wird immer wieder behauptet, dass die Kraftwerke, die hier geplant sind, zur Energieversorgung benötigt werden, dass sehr viele Altanlagen in Deutschland betrieben werden, die bald ersetzt werden müssten.
Also die legen welche still und bauen hier neu
.
Das ist nicht gesagt – es wird sehr allgemein von der Stilllegung von Altanlagen gesprochen – konkrete Zahlen kenne ich nicht. Es ist bekannt, dass jede Menge neue Kraftwerke gebaut werden sollen, die Zahlen schwanken zwischen 16 und 25, ich habe auch noch höhere Zahlen gehört. Und diese Kraftwerke sollen alle in ihrem Wirkungsgrad gesteigert werden; es sieht nicht danach aus, dass die geplanten Kraftwerke nur die alten ersetzen sollen. Zudem deuten die Bemühungen der Betreiber von Atomkraftwerken, die Restlaufzeiten ihrer Altanlagen zu verlängern, darauf hin, dass man weiter darauf setzt, dass eine schwarzgelbe Bundesregierung das rotgrüne Ausstiegsprogramm kippt. Dann blieben sogar atombetriebene Altanlagen bis zum „Geht-nicht-mehr“ in Betrieb.
Im Grunde genommen ist es eben so, dass die großen etablierten Stromkonzerne mit ihren neuen Kohlekraftwerken möglichst verhindern wollen, dass es zu einem echten Wettbewerb kommt. Diese Strategie behindert natürlich ganz erheblich die Entwicklung und Markteinführung alternativer Energieformen.
Wie soll die Kohle hier angelandet werden – alles über die Niedersachsenbrücke?
Ja. Die Kohle soll über die Niedersachsenbrücke angelandet werden. Diese Umschlagbrücke wird ja bekanntlich für die Aufstellung zusätzlicher Kräne „ertüchtigt“, um die Umschlagleistung zu verdreifachen. Aber im Stadtrat habe ich auch gehört – ich meine, Herr Kotteck hätte das gesagt – dass zukünftig dort Schiffe mit 18 Metern Tiefgang anlegen sollen, wofür erst einmal die Zufahrt und der Liegeplatz ausgebaggert werden müssten. Dann könnte man dort Schiffe mit 200.000 statt bisher 100.000 Tonnen Kohleladung abfertigen. Das ist denn auch wohl die wirtschaftliche Voraussetzung dafür, dass Kohlekraftwerke hier an die Jade gebaut werden. Offenbar lohnt es dadurch auch, die Importkohle nicht mehr über Hamburg ins Binnenland zu transportieren. Der Betreiberkonzern Rhenus Midgard plant nämlich, seinen jährlichen Kohleumschlag von derzeit 1,7 Mio. auf 8,0 Mio. Tonnen zu erhöhen. Dafür müssen mehrere Kohlehalden für die Zwischenlagerung angelegt und ein Teil von dort per Schiene ins Hinterland abtransportiert werden. Schon im nächsten Jahr möchte man die Kohleimportmenge um 800.000 Tonnen steigern.
Zurück zur Bürgerinitiative. Was fordert die BI, und wie will sie die Ansiedlungen vermeiden, verhindern, was will sie dagegen tun?
Die BI fordert, dass hier keine Kohlekraftwerke für die Einspeisung ins europaweit gespannte Stromnetz gebaut werden, sondern dass Strom möglichst nahe am Verbraucher produziert sowie bundesweit die Umstellung auf alternative Energien forciert wird – und zwar als Maßnahme für den Klimaschutz und als Zukunftsvorsorge vor steigenden Primärenergiepreisen. Deshalb gehen wir neben den uns vor Ort zugemuteten Belastungen gegen die hier geplanten Kohlekraftwerke mit einem Bürgerbegehren vor, das gerade eben anläuft. Die Unterlagen sind der Stadt schon überreicht worden.
Was heißt nun Bürgerbegehren? Stimmen jetzt die Bürger darüber ab, ob sie das Kraftwerk wollen oder nicht?
Das Bürgerbegehren ist möglich laut Niedersächsischer Gemeindeordnung (NGO). Danach können Bürger an den Rat der Stadt das Begehren richten, einen Bürgerentscheid durchzuführen. Wir sammeln jetzt Unterschriften dafür, dass die Stadt einen Bürgerentscheid darüber durchführt, ob die hiesigen BürgerInnen und Bürger für oder gegen die Durchführung einer Bürgerbefragung sind, die dazu dient, ein Meinungsbild zum Neubau von Kohlekraftwerken in Wilhelmshaven zu erhalten.
Also noch mal von vorne. Die BI muss jetzt Unterschriften sammeln und diese Unterschriften sind dafür da, dass die Stadt einen Bürgerentscheid durchführt. Das ist dann so eine Art Volksabstimmung?
Richtig. Der Bürgerentscheid ersetzt sogar einen Ratsbeschluss.
Was ist jetzt notwendig, um so ein Bürgerbegehren durchzuführen? Wie viele Unterschriften braucht ihr? Was muss passieren, damit der Stadtrat im Sinne des Bürgerbegehrens aktiv wird?
Der Antrag ist gestellt – die Stadt prüft jetzt, ob die Voraussetzungen für ein Bürgerbegehren nach der NGO erfüllt sind und erklärt das Begehren dann für zulässig oder unzulässig. Ist es für zulässig erklärt, dann wird das Bürgerbegehren in Gang gesetzt und es werden Unterschriften gesammelt. Das Bürgerbegehren muss von 10% der wahlberechtigten Bevölkerung Wilhelmshavens unterstützt werden. Wahlberechtigt sind Personen ab 16 Jahren, die Wilhelmshaven wohnen und aus einem EU-Mitgliedsstaat kommen. Das sind die Voraussetzungen.
Wie viele wahlberechtigte WilhelmshavenerInnen müssen das Bürgerbegehren unterstützen?
Ungefähr 6.000 – aber das werden wir natürlich noch genauestens unter die Lupe nehmen.
Und wenn jetzt diese 6.000 Leute unterschrieben haben, gebt ihr die Listen an den Oberbürgermeister, und das Kraftwerk wird nicht gebaut?
So weit ist es dann lange noch nicht. Die Stadt kann sich die Durchführung eines Bürgerentscheids natürlich sparen, indem sie die von uns verlangte Bürgerbefragung durchführt. Wenn nicht, dann muss sie zuvor eben einen Bürgerentscheid durchführen. Daran müssen sich mindestens 25% der in Wilhelmshaven ansässigen Bürger beteiligen, und von denen muss mehr als die Hälfte dem Bürgerentscheid zustimmen.
Wie lautet denn das Bürgerbegehren?
Das Bürgerbegehren lautet: „Sind Sie dafür, dass der Rat der Stadt Wilhelmshaven eine Bürgerbefragung nach § 22 d NGO durchführt, um ein Meinungsbild der Bürger zum Neubau von Kohlekraftwerken in Wilhelmshaven zu erhalten?“
Was soll das denn? Warum macht ihr nicht einfach ein Bürgerbegehren: Wir wollen keine Kohlekraftwerke?
Ein Bürgerbegehren ist ein kompliziertes Verfahren mit vielen rechtlichen Stolpersteinen. Begehren z.B. gegen Planfeststellungsverfahren und Bauleitpläne sind unzulässig. Es muss eine Kostendeckung für evtl. Einnahmeausfälle der Stadt erstellt werden.
Wir haben mehrere Denkmodelle eines Bürgerbegehrens durchgespielt, gegen
- Kohlekraftwerke
- den Kühlwasseraustausch
- eine weitere 380 kV-Leitung
- den Verkauf die Verpachtung von Gelände an Kraftwerksbetreiber.
Wir haben alle diese Ansätze verworfen, weil wir dadurch Gefahr laufen würden, an den gesetzlichen Einschränkungen zu scheitern (Unzuständigkeit des Rates, mangelnde Kostendeckung).
Die Möglichkeit, ein Bürgerbegehren für die Ausweisung der schützenswerten Flächen des Rüstersieler Grodens als Naturschutzgebiet durchzuführen, fanden wir beachtenswert. Wir haben uns dann aber doch – um auf der sicheren Seite zu sein – für den bereits genannten Text entschieden.
Also diese Unterschriftenaktion ist jetzt angelaufen. Wie lange habt ihr Zeit, die erforderlichen Unterschriften zu erbringen?
Wir hoffen natürlich, diese ca. 6.000 Unterschriften so schnell wie möglich zusammenzukriegen. Zeit dafür haben wir 6 Monate, wenn dem kein Ratsbeschluss entgegensteht. Dann verringert sich die Zeit auf 3 Monate. Am 8. Dezember haben wir mit der Unterschriftensammlung begonnen.
Wie sollen die Unterschriften jetzt gesammelt werden? Wollt ihr von Haustür zu Haustür gehen?
Als erstes präsentieren wir uns an verschiedenen Standorten der Öffentlichkeit. Zunächst in F’groden, auf dem Rathausplatz, in der Marktstraße, in Altengroden. Wir werden alles tun, was in unseren Kräften steht: Sammlung bei Nachbarn, im Bekanntenkreis, in Vereinen, in Geschäften, Gastronomien, Beilagen in Zeitschriften usw. usf.
Dass ihr jetzt das Bürgerbegehren in Gang gesetzt hat, hat aber keinerlei Auswirkungen auf die Aktivitäten der Electrabel bzw. der Stadt Wilhelmshaven, das läuft alles so weiter; wie wir es im letzten Gegenwind dargestellt haben?
Unser Bürgerbegehren hat da keine aufschiebende Wirkung, das ist ein anderer Zweig. Die Antragsunterlagen der Electrabel werden zurzeit noch von der Gewerbeaufsicht geprüft.
Der Entwurf für die Bauleitplanung auf dem Rüstersieler Groden seitens der Stadt ist ja schon ausgelegt. Damit müssen wir uns natürlich auch befassen und unsere Einwendungen geltend machen, weil die Bauleitplanung ja die Grundlage für den Bau der Kraftwerke und der Schüttgutlager darstellt. Doch das geht alle Bürgerinnen und Bürger an. Jeder Einwand muss geprüft und erwidert werden. Die Bürgerinitiative nimmt Einwendungen auch gerne anonym entgegen und wird der Stadt eine Zusammenfassung zustellen. Es gibt ja auch die Möglichkeit, sich an Sammeleinwendungen mit Unterschrift zu beteiligen. Viele Unterschriften machen auch Eindruck.
Die Unterlagen der Stadt liegen im Technischen Rathaus aus. Bei der Beschaffung können wir auch behilflich sein.
Was macht die BI denn noch außer dem Bürgerbegehren?
Neben der Unterschriftensammlung, die schon eine gewisse Mobilisierung erzeugt, werden wir natürlich weitere Kommunikationsmöglichkeiten nutzen, um unsere Positionen zu verbreiten: Flugblätter, Zeitungen, den Rundfunk und das Fernsehen, das Internet usw.
Die Kraftwerksprotagonisten haben sich wohl schon damit abgefunden, dass sie uns nicht totschweigen können. Erste Anzeichen lassen darauf schließen, dass sie uns mit einer Diffamierungskampagne kleinzuhalten suchen. Einige von uns haben im Rahmen der Informationsveranstaltung von Electrabel in der Stadthalle schon Bewertungen aus der untersten Schublade über sich ergehen lassen müssen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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