Zustand der Jade
Nov 042009
 

Schadstoffsenke Weltnaturerbe

Die Gesamtdosis der Schadstoffeinleitungen in die Jade wird Schritt für Schritt erhöht – der Beipackzettel über Risiken und Nebenwirkungen fehlt derweil

(jm) Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich in der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) dazu verpflichtet, spätestens bis zum Jahr 2015 einen „guten ökologischen Zustand“ für alle Oberflächengewässer zu erreichen. Ziel ist die Bewahrung der Vielfältigkeit vorhandener Pflanzen- und Tierarten.

Das Küstengewässer Jade wird auf der WRRL-Werteskala schon heute formal auf der untersten – mit „schlecht“ bezeichneten – Stufe eingeordnet. Damit ist nicht nur der Westteil der Innenjade mit seinem hafenindustriellen Besatz gemeint, sondern auch die Nationalparkteile Jadebusen und Hohe-Weg-Watt. Wie man den rechtsverbindlich anzustrebenden guten ökologischen Zustand erreichen will, ist nicht bekannt. Es kann zwar auch hierzu eine Ausnahme mit weniger strengen Umweltschutzzielen gemacht werden – doch auch im Falle einer solchen Zulassung behält das Verschlechterungsverbot seine Gültigkeit. Ist denn dieses Verbot für die Jade bei all den Wasserbaumaßnahmen, zusätzlich genehmigten Schornsteinemissionen und erlaubten Abwassereinleitungen überhaupt einzuhalten? Aus Sicht  der Genehmigungsbehörden ja! Denn sie müssen sich darauf beschränken, jeden eingehenden Verschmutzungsantrag einzeln zu prüfen. Und jedes Mal wird in dem vom jeweiligen Vorhabensträger beigefügten Gutachten prognostiziert, dass sich seine in die Jade entsorgten Schadstoffkonzentrationen schnell im Wasserkörper verdünnen und sich nach wenigen Metern kaum noch vom vorbelasteten Wasserkörper abheben würden. Und so kommt man in jedem neuen Genehmigungsverfahren abschließend zu dem Ergebnis, dass mit einer Schädigung des Wasserkörpers nicht zu rechnen sei. Durch diese gängige Praxis kann die Vorbelastung der Jade immer weiter ansteigen.
Diese Erfahrung haben die Umweltverbände bei den Immissions- und Gewässerschutzverfahren – ob JadeWeserPort, Electrabel, WRG /(Wilhelmshavener Raffinerie), INEOS oder E.ON-Ruhrgas – immer wieder machen müssen. Um den Gesetzen Genüge zu tun, kommen – zerlegt in ungezählte Einzelverfahren – stereotyp die Irrelevanzkriterien ins Spiel. Der schon eingetretene schlechte Gewässerzustand (an dem die in den letzten vierzig Jahren erteilten Genehmigungen nicht ganz unbeteiligt sein dürften) wird als „Altlast“ abgetan. Und aus der daraus folgenden Artenverarmung und den Populationsrückgängen wird in den Umweltverträglichkeitsprüfungen dann abgeleitet, dass die Jade weniger schützenswert sei. Und wo etwas weniger schützenswert ist, kann man umso mehr einleiten.

Doch noch gilt es hier vieles zu bewahren.
Neben den für die gesamte Nahrungskette unersetzlichen Bausteinen des Lebens, angefangen beim Plankton und der Kieselalge über das Makrozoobenthos
und den Fischen zu den Endverbrauchern – Meeressäuger, Vögel und Menschen – leben in der Jade – trotz ihres schlechten Zustandes – noch immer bedrohte Arten – auch solche, die auf der ‚Roten Liste’ stehen: So wurden hier etwa 20 bedrohte Makrozoobenthosarten – darunter die Sandkoralle (Sabellaria Spinulosa) und die Wellhornschnecke (Buccinum undatum) festgestellt. Doch allein schon die Tatsache, dass sich die Anzahl dieser Individuen vermindert hat, sollte als Alarmzeichen verstanden werden.

Vertreter von Umweltverbänden haben in verschiedenen Verfahren denn auch darauf hingewiesen, dass der von Gutachtern postulierte komplette Wasseraustausch zwischen Jade und Nordsee nicht auf die im Wasserkörper enthaltenen Feststoffe zutrifft. Diese würden zum Teil mit den daran anhaftenden Schadstoffen so lange im Tidestrom hin- und hergeschwemmt, bis sie in den strömungsarmen Flachwasserzonen angelangt seien, wo sie sich dann dauerhaft ablagern könnten.
Durch den ständigen Nachschub von langlebigen Schadstoffen aus der steigenden Anzahl von Industrieschloten und Abwasserrohren an der Jade besteht die akute Gefahr, dass die vom Meeresboden lebenden Organismen die permanent zunehmenden Schadstoffdosen aufnehmen und diese sich exponentiell auf den Stufen der Nahrungskette bis hin zu den „Endverbrauchern“ (Seehunde, Vögel und Menschen) anreichern.
Darauf reagieren die Behörden ratlos, wie z.B. in der Immissionsschutzrechtlichen Genehmigung der WRG-Raffinerieerweiterung des Gewerbeaufsichtsamts Oldenburg vom 03.07.09: Eine Verteilung der an Schwebstoffe gebundenen Schadstoffe lässt sich aufgrund grundsätzlich fehlender Systemkenntnis von den Gutachtern nicht prognostizieren. Eine Prognose zum letztlichen Verbleib der persistenten Schadstoffe und damit der Anreicherung in Sedimenten und Biota konnten die Gutachter nicht leisten. (…) Für die Stoffe Arsen, Chrom und Kupfer ist ein erhebliches Akkumulationspotential im Sediment anzunehmen. Aus diesem Grund werden in der Niedersächsischen Verordnung zum wasserrechtlichen Ordnungsrahmen, Anlage 4, als UQN Werte für die Konzentration im Sediment (mg/kg) angegeben. Die Fachgutachter führen (…) übereinstimmend aus, dass für die Transport- und Depositionspfade der teils an Schwebstoffen adsorbierten Schadstoffe im Jadesystem keine Basisdaten und keine belastbaren Rechenmodelle verfügbar sind. Auch überschlägige Abschätzungen für mögliche Anreicherungen der eingeleiteten Schadstoffe im Sediment können daher nicht vorgenommen werden. Das gilt für andere persistente Stoffe.
Doch trotz dieser Unkenntnis wurden und werden ständig neue Emissions- und Einleitgenehmigungen erteilt. Zu den Abwässern hat sich die zuständige Wasserwirtschaftsbehörde – der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) – in seiner der WRG erteilten erweiterten Einleiterlaubnis vom 22.07.09 Folgendes einfallen lassen: „Bei Beachtung der in der Änderungserlaubnis formulierten Nebenbestimmungen ist nicht zu befürchten, dass das Jadesystem in seinem ökologischen und chemischen Zustand nachteilig verändert wird sowie ein guter ökologischer und chemischer Zustand nicht erhalten oder erreicht wird. Daher stehen der beantragten Änderungserlaubnis aus Bewirtschaftungsgesichtspunkten keine Bedenken entgegen.“

Etwas weiter im Text ist es dann vorbei mit dem guten ökologischen und chemischen Zustand: „Da bereits eine hohe Vorbelastung dokumentiert ist, ist eine besondere Betrachtung zusätzlicher Frachten geboten. Hierzu dient das unter Nr. 7 (Änderung der bestehenden Nebenbestimmung Nr. V.3) festgelegte Beweissicherungsverfahren, mit dem eine effektive Wirkungskontrolle zur Akkumulation von Schadstoffen in den Sedimenten und in Biota (Miesmuscheln) durchgeführt werden kann.“

Zu begrüßen ist, dass jetzt – reichlich spät und hoffentlich nicht zu spät – ein Beweissicherungsverfahren durchgeführt werden soll bzw. muss, weil dies die EU-WRRL erfordert. Doch das bedeutet nicht, dass ein einstweiliger Genehmigungsstopp für weitere Emissionen und Einleitungen erfolgt, bis Klarheit herrscht: „Ein großräumiges Umweltmonitoring im Zusammenhang mit den Schadstoffeinleitungen und -emissionen des WUP erscheint nicht sinnvoll, da der Erkenntnisgewinn einer flächendeckenden Untersuchung sehr eingeschränkt sein wird. Direkte Messungen sollten sich auf Bereiche nahe der Einleitungsstelle beschränken. Angesichts der hohen Investitionssumme stellt dagegen das Vorhaben für den Raum Wilhelmshaven ein bedeutendes Projekt dar, mit dem zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden und der Raffineriestandort Wilhelmshaven gesichert bleibt.“ (aus der WRG-Einleiterlaubnis)

Die Schlagzahl der steten Tropfen, die den Stein höhlen, kann also weiter erhöht werden, solange jeder neue Antragsteller mit seinen vorgelegten Prognosen glaubhaft machen kann, dass seine Schornstein- und Abwasserfrachten so weit verdünnt werden, bis mit keinen direkten Schädigungen mehr zu rechnen ist. Doch der Zustand des Jadesystems inkl. seiner dem Weltnaturerbe zugehörigen Gewässerteile Jadebusen und Hohe-Weg-Watt erfordert neben dem anstehenden Beweissicherungsverfahren auch das Ergreifen von Maßnahmen, wie sie die Umweltverbände BUND und LBU in den Antragsverfahren u.a. vorgebracht haben:

  • Die Gesamtbelastung der Jade darf auf keinen Fall weiter steigen, sondern muss, soweit irgend möglich, zurückgefahren werden. Möglichkeiten dazu gibt es, z.B. die
  • an den Kais in Wilhelmshaven liegenden Schiffe mit el. Strom von Land aus zu versorgen,
  • Abwasserfrachten aus der Wilhelmshavener Zentralkläranlage zu reduzieren, z.B. durch Denitrifizierung und Vermeidung von ungeklärten Overflows,
  • Altanlage zur Chlor-/Natronlaugeproduktion durch eine moderne Anlage mit quecksilberfreien Emissionen auf dem Luft- und Wasserpfade zu ersetzen. Die Anzahl der Möglichkeiten lässt sich sicher noch erheblich ausweiten.“

Das Wattenmeer mit dem jüngst von der Unesco verliehenen (!!) Prädikat des Weltnaturerbes ist ein unschätzbarer Wert an sich. Es ist mehr als ein vor unserer Haustür gelegenes „…international wirksames Marketinginstrument, das der Wattenmeerregion eine herausragende Marktposition im naturnahen Tourismus verschafft.“


  Als Makrozoobenthos oder Makroinvertebraten bezeichnet man die wirbellosen Tiere der Gewässersohle, die mit bloßem Auge sichtbar sind. Es handelt sich dabei vor allem um Larvenstadien von Insekten, um Krebse, Milben, Schnecken und Muscheln, Egel und Würmer. Diese Kleinlebewesen nehmen wichtige ökologische Funktionen im Gewässer wahr: Sie weiden Algen ab oder wirken beim Abbau abgestorbener Pflanzen mit, andererseits dienen sie als Nahrung für die Fische.

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