Partei neuen Typs
Die Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit stellt sich in Wilhelmshaven vor
(noa/ub) Der bundesweit gegründete Verein „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ (WAsG) hat sich am 6. September auch in Wilhelmshaven präsentiert. Mit gut 30 Besucherinnen diskutierten das Bundesvorstandsmitglied Axel Troost, Uwe Liebe von der Gewerkschaft ver.di, Hinrich Albert (VW-Betriebsrat) und Werner Dalichow (ehemals SPD) im „Orange“ (Pumpwerk) über die aktuelle politische Lage und stellten die alternative Sichtweise der WAsG vor.
Der Zeitpunkt – an einem Montag um 19.00 Uhr – war wohl nicht ganz glücklich gewählt für diese Infoveranstaltung. Waren doch die meisten derjenigen, die gerade in der WAsG zukünftig wieder eine Möglichkeit sehen, ihre Stimme auf dem Wahlzettel sinnvoll zu vergeben, noch auf der Montagsdemonstration gegen das Hartz IV-Gesetz. Der Beginn der Veranstaltung wurde etwas verschoben, und die Podiumsteilnehmer beklagten sich zwischenzeitlich über die örtliche Presse, denn diese hatte die erste öffentliche Veranstaltung der WAsG mit keinem Wort erwähnt. Ein Lob ging dagegen an den Gegenwind: Wir hatten in unserer Septemberausgabe die programmatischen Eckpunkte des Vereins ausführlich vorgestellt und Axel Troost nach den Motiven der Vereins- und möglicherweise Parteigründer befragt.
Noch sind sie nur ein eingetragener Verein, die Männer und (die wenigen) Frauen der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit. Doch die Aktivisten der ersten Stunde sind sich sehr sicher: Am 27. November 2004 auf der Bundesdelegiertenkonferenz wird die Parteigründung beschlossen. Und allerspätestens 2006 bei der Bundestagswahl wird sich die „Wahlalternative“ auf dem Stimmzettel wiederfinden.
Bewusst hat man diesen Weg zur Parteigründung gewählt. „Erst sollen im Verein möglichst viele Menschen gesammelt werden“, so Axel Troost, und: „Die Parteigründung soll nicht im Hinterzimmer erfolgen.“ Derzeit zählt der Verein rund 4400 Mitglieder bundesweit, und schon bis November dieses Jahres soll diese Zahl annähernd verdoppelt werden. Die Bundesdelegiertenkonferenz wird zwar erst im November 2004 über die Zukunft des Vereins beschließen. Glaubt man aber den Prognosen der Meinungsforscher, so steht schon jetzt fest, dass diese neue Partei sicher die Fünf-Prozent-Hürde überspringt. Als drittstärkste Kraft im Bundesparlament wird die WAsG bisweilen gehandelt. Einen Stimmenanteil von 11 Prozent wurde ihr unlängst bei einer Umfrage im n-tv zugesprochen. Optimistischere Stimmen sprachen auf der Pumpwerkveranstaltung von möglichen 15 bis 20 Prozent.
Blind in eine neue Partei reinstolpern, nur weil sie neu ist, will wohl niemand. Die BesucherInnen stellten den Vertretern der WAsG einige kritische Fragen.
Zum Beispiel: „Wie haltet ihr’s mit der PDS?“ – Die Gründung der WAsG, so Liebe, beruht u.a. auf der Einsicht, dass aus der PDS im Westen nichts werden wird. Für die Bundesbürger in den alten Bundesländern ist die PDS als SED-Nachfolgepartei „verbrannt“ und wird deshalb bundesweit nicht stark genug werden, um der großen Koalition aus „Reform“parteien etwas entgegensetzen zu können. Außerdem, so Troost, tritt die PDS zwar als Gegner des Sozialabbaus auf, doch wo sie an der Regierung beteiligt ist, trägt sie den Sozialabbau mit.
Zum Beispiel: „Wie haltet ihr’s mit Oskar Lafontaine?“ – Es gibt Gespräche mit Oskar Lafontaine. Wenn er der WAsG beitreten sollte, dann als normales Mitglied. Seine prominente Stellung würde ihm keine besondere Position in der WAsG sichern. Sein Sachverstand wäre willkommen, aber „es stimmt nicht, dass wir ihn brauchten“. Außerdem: Wer so schnell die Brocken hinschmeißt, sich aber scheut, konsequent die Partei zu verlassen, wird auch als „Wackelkandidat“ in einer neuen Partei gefürchtet. Vielen, die in der neuen Partei die ehemals bei den Grünen stark entwickelten basisdemokratischen Ansätze begrüßen, ist Lafontaine schlichtweg zu machtversessen.
Und dann noch: „Was würdet ihr tun, wenn ihr bei der Bundestagswahl genug Stimmen bekämt, um eine Koalition bilden zu müssen? Mit wem würdet ihr koalieren?“ – Mit einem Wahlergebnis, das sie vor diese Situation stellen würde, rechnet die WAsG nicht. Dafür wäre erforderlich, dass sie stärkste oder wenigstens zweitstärkste Partei würde und die anderen Parteien so schwach, dass sie keine Regierung bilden könnten, und so radikal ändert sich in Deutschland das Wahlverhalten nicht. Außerdem ist man nicht unbedingt auf Regierungsbeteiligung scharf. „Wir wollen eine andere Wirtschaftspolitik. In den anderen Parteien sind viele, die das auch wollen, aber es nicht mehr wagen, sie zu fordern. Im Bundestag darüber zu sprechen und zu zeigen, dass sie möglich und nötig ist, wird schon viel bewirken.“
Ob denn diese Parteigründung nicht die linke Bewegung spalten würde, war eine Frage aus dem Publikum. Ein von der eigenen Organisation enttäuschtes langjähriges Mitglied der Sozialdemokratischen Partei gab, ebenfalls aus dem Publikum, die Antwort: „Die wirklichen Spalter sitzen in der ‚Schröder-Partei’ und treiben mit ihrer arbeitnehmerfeindlichen Politik die Genossen tausendfach aus der SPD.“ Außerdem will man mit dieser neuen Organisation „eine Partei neuen Typs schaffen“ (Uwe Liebe), die sich als Teil der gesamten sozialen Bewegung versteht und möglicherweise auch Mitglieder aus anderen Parteien integriert.
Besonders zahlreich waren auch Vertreter der Wilhelmshavener Wahlalternative Walli auf der Veranstaltung vertreten und an der Diskussion beteiligt. Man habe, so Joachim Tjaden (Walli) beim Vergleich der programmatischen Aussagen beider Organisationen „mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede“ festgestellt. Ob die zukünftige Partei überhaupt an Wahlen auf kommunaler oder Landesebene teilnehmen wird, vermochten die Podiumsteilnehmer nicht abschließend einzuschätzen. Denkbar ist, dass die WAsG zumindest auf kommunaler Ebene den schon etablierten Wählergemeinschaften das Feld überlässt und dann auch kommunale Vertreter dieser Parteien den Bundeswahlkampf der WAsG unterstützen.
Das Podium war zu 100 Prozent männlich besetzt. Auf Nachfrage aus dem Publikum teilte Axel Troost mit, „dass der Frauenanteil bei den Vereinsmitgliedern bundesweit derzeit bei 20 Prozent liegt“. „Der politische Gegner schafft und verschärft die Bedingungen, die es Frauen schwer machen, sich politisch zu betätigen!“, sagte Uwe Liebe. Ziel sei es jedoch, diesen Anteil deutlich – „auf 50 Prozent“ – zu erhöhen. „Aber bitte keine Quotenfrauen“, stöhnte daraufhin eine bei ver.di engagierte Betriebsrätin der Post.
Ähnlich unterrepräsentiert wie die Frauen sind in der WAsG derzeit auch junge Menschen. Allenfalls 20 Prozent der TeilnehmerInnen der Pumpwerkveranstaltung konnte man denn auch bei wohlwollender Betrachtungsweise dieser Zielgruppe zuordnen.
„Ich möchte in Berlin wieder Volksvertreter haben“, bekennt ein junger Mann, der bislang noch nie politisch aktiv war. „Ich bin so alt wie Methusalem und war immer politisch aktiv“, outet sich eine 86-jährige Frau, die in jungen Jahren Kommunistin war, mangels Partei seit Jahren ihr politisches Bewusstsein und Interesse auf kleine, aber deshalb nicht weniger wichtige Einzelfragen des Alttags richtet. Sie hofft auf eine Partei, die sich wieder basisdemokratisch entwickeln kann. Und darauf, dass diese Partei Schulungen anbietet und die Menschen wieder politisiert werden.
„Die SPD hat mich verlassen“, sagen mehrere ehemalige SPD-Mitglieder, die entweder erst jetzt oder schon länger ihrer Partei den Rücken gekehrt haben, weil sie nicht mehr sozialdemokratisch ist.
Die Wut und Empörung aller Beteiligten über die derzeitige politische Entwicklung machte sich auch auf dieser Veranstaltung der WAsG an Hartz IV fest. Uwe Liebe: „Hartz IV ist der grausame Endpunkt einer Entwicklung, die schon mit der Renten- und Gesundheitsreform begonnen hat.“ Alle Podiumsteilnehmer betonten in ihren Auftaktstatements unisono, dass die Ungerechtigkeiten, die durch Hartz IV entstehen, und die besondere Benachteiligung der sozial schlechter gestellten Menschen sie persönlich (wieder) zum politischen Handeln aktiviert hat. Die Grundgedanken der Wahlalternative zielen denn auch auf den Schutz und Ausbau noch vorhandener Arbeitnehmerrechte ab. Die Gründer der WAsG haben sich die Erneuerung des Sozialstaats statt des sozialen Kahlschlags auf die Fahnen geschrieben (siehe hierzu auch Gegenwind Nr. 201). – Kritische Anmerkung von Eckard K., einem Urgestein des linken SPD-Flügels: „Wer eine wirkliche Alternative zum Kapitalismus entwickeln will, darf sich nicht nur mit der sozialen Frage beschäftigen.“
Die Wahlalternative im Internet: www.wahlalternative-whv.de.tc
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