Vieles bleibt unklar
Der Besuch des AA-Leiters bei der Arbeitslosenhilfe ließ viele Fragen offen
(noa) Wahrscheinlich sind die regelmäßigen BesucherInnen der ALI-Versammlungen die bestinformierten Menschen in Wilhelmshaven bezüglich Hartz IV und Alg II – was im Gesetz steht, haben sie in den letzten Monaten genauestens untersucht. Immer noch unklar ist jedoch auch ihnen, ob sie nächstes Jahr umziehen müssen.
„Wir erwarten nicht so sehr Neuigkeiten bezüglich der Leistungshöhe, die wir selbst aus dem Gesetz ablesen können, aber wir erwarten schon Informationen zur Auslegung der ‚angemessenen Unterkunftskosten’, die ja in der Arbeitsgemeinschaft zwischen Arbeitsagentur und Stadt Wilhelmshaven geregelt werden müssen“, erläuterte Günther Kraemmer, Vorsitzender der Arbeitsloseninitiative, in der Einladung zur September-Monatsversammlung der ALI, zu der der Leiter der Arbeitsagentur, Heinz-Wilhelm Müller, eingeladen war.
„Wir sind eine streitbare Initiative“, bereitete Kraemmer den Gast zu Beginn der Versammlung auf das vor, was er zu erwarten hatte: Im Saal war wohl niemand, der mit Hartz IV einverstanden wäre, und wenn sich Empörung äußern würde, dann wäre „es nicht persönlich gemeint“.
Auch Müller machte seine Position als Vertreter der Arbeitsverwaltung vorab deutlich: Eine politische Diskussion sei nicht möglich, denn Gesetz sei Gesetz – er könne nur erläutern, wie die Wilhelmshavener Arbeitsagentur mit dem Gesetz umzugehen plane.
Klar sei auf jeden Fall, dass es ab Januar 2005 Arbeitslosengeld II geben wird. Die Software-Probleme (die immer wieder zu Hoffnungen auf einen Aufschub des Gesetzes Anlass geben) werden im Oktober gelöst werden, und „wenn nicht, machen wir es anders“.
Im AA-Bezirk Wilhelmshaven ist der Rücklauf der Anträge gut: 22% der abgeschickten Fragebögen waren bis zum Morgen des 14. September abgegeben worden – bundesweit lag die Rücklaufquote darunter, und am 15. September wurden in den Radio-Nachrichten AA-Bezirke mit Quoten um die 5% genannt.
Nach diesen einleitenden Klarstellungen gab es dann aber jede Menge Unklares.
Vieles um das Arbeitslosengeld II herum ist Ermessenssache. Es heißt dort, dass die Kosten einer „angemessenen“ Unterkunft bezahlt werden. Kein Amt wird aber mitspielen, wenn die Miete für eine angemessen große Wohnung unangemessen hoch ist. Eine 90 m2-Wohnung zur ortsüblichen Miete für eine vierköpfige Familie werde von der Stadt übernommen, versicherte Müller. Die Höhe der hier ortüblichen Miete wusste er jedoch auch nicht. Seiner Meinung gäbe es im Bezirk aber kaum Langzeitarbeitslose, die unangemessen teuer wohnen.
Wirklich beruhigt waren die Zuhörer aber nicht. „Was ist, wenn wir jetzt zu viert 90 m2 haben, die Kinder aber später zur Ausbildung oder zum Studium die Stadt verlassen müssen?“ oder: „Ich wohne allein in einer größeren Wohnung, die aber sehr billig ist. Muss ich umziehen?“ Hier konnte Müller nur sagen, dass es da „wohl keine Probleme“ geben wird – sicher war er auch nicht. Hingegen war er jedoch sicher, dass es Einzelfälle geben wird, in denen Langzeitarbeitslose aus dem eigenen Haus, das noch nicht bezahlt ist, ausziehen müssen. In einem solchen Fall werden die Zinsen, nicht aber die Tilgungsbeträge als Unterkunftskosten gerechnet – irgendwie logisch, denn die Tilgung mehrt ja das eigene Vermögen – doch wie man vom Alg II noch die Tilgungsraten abzweigen soll, ist fraglich, und die bedauernde Bemerkung einer Teilnehmerin, dass wohl viele ihr Häuschen verlieren werden, wird zutreffen.
Wer kurz vor Eintritt seiner Arbeitslosigkeit einen Neuwagen gekauft hat, könnte außerdem auch diesen verlieren. Das „angemessene“ Auto aus Hartz IV, das nicht in das einzusetzende Vermögen eingerechnet wird, ist in seinem Wert nicht definiert, aber Müller sprach von „etwa 5000 Euro“. Ist das Auto mehr wert, wird der Mehrbetrag zum Vermögen und schmälert das Alg II. Da muss man schon Glück haben mit der Sachbearbeiterin und damit, wie sie mit ihrem Ermessensspielraum umgeht. Und was sie für plausibel hält. Denn: „Wie ermittle ich den Wert meines Pkw? Nach der Schwacke-Liste? Oder frage ich einen Gebrauchtwarenhändler?“, wollte ein Zuhörer wissen. Müller nannte den Plausibilitätsgrundsatz: Wenn man plausibel erklären kann, dass der Wagen nur 5000 Euro wert ist, schmälert er das Alg II nicht. – Offenbar sind unter den BesucherInnen der ALI-Versammlungen Leute, die sich noch einen Wagen leisten können, und solche, die das nicht mehr schaffen. Einem von der letzteren Art wurde es hier wohl zu dumm, und er vergaß auch, dass Müller nicht politisch diskutieren wollte: „Können Sie mir sagen, wie ich von 345 Euro einen Wagen unterhalten soll?“, fragte er ziemlich böse, und wie mehrere Male im Verlauf der Versammlung hatte Kraemmer alle Mühe, Herrn Müller, der ja nun wirklich nichts für das Gesetz kann, vor dem Volkszorn zu schützen.
Die Frage nach den 1-Euro-Jobs wurde nicht sofort beantwortet. Heinz-Wilhelm Müller erklärte erst einmal, dass die „Eingliederungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose“ in Wirklichkeit 6,50 Euro-Jobs sind: Alg II plus Miete plus Strom plus anrechnungsfreier Zuverdienst in Höhe von 1 Euro/Stunde dividiert durch die Anzahl der Arbeitsstunden ergibt (je nach ortsüblicher Vergleichsmiete) 6,50 Euro oder mehr – „und es gibt viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, die weniger verdienen!“
Angesichts dieser Rechnung machte Ernst Taux, ehemaliger Sozialberater der ALI, die Gegenwind-Schreiberin flüsternd darauf aufmerksam, dass folglich ein Arbeitsloser ohne 1-Euro-Job einen unendlich hohen Stundenlohn hat. (Stimmt: Die Division jeder beliebigen Zahl durch Null ergibt die Lösung „unendlich“.)
Und Müller betonte, dass dieser Aspekt des Hartz IV-Gesetzes doch eine Verbesserung für viele darstelle, da die (jetzt noch) Sozialhilfeempfänger dann im Vermittlungs- und Fortbildungsgeschäft drin sein werden.
Die folgende Diskussion zu diesem Punkt war gewürzt von Einschüben wie „… ich nenne sie jetzt doch mal 1-Euro-Jobs…“ oder „… ich sage aber weiterhin 1-Euro-Jobs…“ u.ä.
Wie viele dieser 1-Euro-Jobs die Wilhelmshavener Arbeitsagentur anbieten wird, wollte eine Teilnehmerin wissen. Alle Arbeitslosen bis zu 25 Jahren haben einen Rechtsanspruch, doch bezüglich der Betroffenen über 25 Jahre heißt es, dass sie „umfänglich berücksichtigt werden“ sollen – auf Deutsch: Sie können eine solche Zuverdienstmöglichkeit angeboten bekommen oder auch nicht. Eher nicht, denn 1000 bis 1500 solcher „Stellen“ für 6000 oder 7000 Arbeitslose sind etwas knapp.
Auch hier brach wieder Zorn durch: „Man fördert uns nicht – man nimmt uns nur das Geld weg“, schimpfte ein (über 25-jähriger) Teilnehmer. Und ein anderer bemerkte – etwas gemäßigter – dass ein großer Teil der ab Januar gebotenen Jobs in diesen Tagen und bis zum Januar (rechnerisch) schon entfällt: WAL MART Jever, Sykes Enterprises, Peek%Cloppenburg werfen schon eine Menge Beschäftigte auf den Markt, und durch den Wegfall von ABM und SAM sind auch schon viele Stellen entfallen.
Was für Arbeit es sein wird, die man für einen zusätzlichen Euro/Stunde verrichten darf oder muss, wollte jemand wissen. Hier versprach Müller, dass bestimmt kein Langzeitarbeitsloser beim reichen Nachbarn das Unkraut wird jäten müssen – zusätzliche, bis jetzt nicht verrichtete Arbeit in der Kinderbetreuung, der Altenarbeit, im Breitensport sei geplant, und die Arbeitsagentur werde ganz genau aufpassen, dass die nachfragenden Institutionen und Organisationen nicht gleichzeitig oder vorher andere Beschäftigte entlassen. So etwas ist tatsächlich weitgehend kontrollierbar, denn die Liste der Betriebe, der solche Arbeitsmöglichkeiten anbieten wollen, kann verglichen werden mit den Angaben aus Arbeitslosmeldungen.
Schon in vorherigen ALI-Monatsversammlungen kam immer wieder die Frage nach der „58er-Regelung“ auf und konnte nicht beantwortet werden. Die Hoffnung, dass Herr Müller als Vertreter der Arbeitsagentur endlich Aufschluss geben könnte, zerschlug sich allerdings: „Diese Frage muss von Berlin beantwortet werden; das ist im Gesetz nicht geklärt.“ Die über 58-jährigen Arbeitslosen, die für die Garantie auf Arbeitslosenhilfe bis zum Renteneintritt auf die Vermittlungsdienste des Arbeitsamtes verzichtet haben, wissen also weiterhin nicht, ob sie – bedingt durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe – ihrer Verarmung per Unterschrift zugestimmt haben.
Am selben Tag, an dem die ALI ihre Versammlung abhielt, veröffentlichte die „WZ“ die Informationen von Oberbürgermeister Eberhard Menzel zur Frage der Kosten einer „angemessenen Unterkunft“. „Die Stadt … werde ihr seit Jahren bewährtes und verwaltungsgerichtlich abgesichertes Verfahren zur Feststellung der Angemessenheit von Unterkunftskosten auch auf die Berechnung des Arbeitslosengeldes II anwenden. Dabei werden die anerkannten Höchstmieten (Kaltmiete einschließlich der Umlagen und ausschließlich Heizung) durch die fortlaufende Auswertung der Vermietungsangebote in der Tageszeitung ermittelt und fortgeschrieben.“ Alles klar?
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