Wahlalternative
Apr 292005
 

Es rettet uns kein höh’res Wesen

Veranstaltung der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit über die neoliberale Wirtschaftstheorie und die Notwendigkeit einer anderen Politik

(noa) Die meisten Nobelpreisträger in den vergangenen 20 bis 30 Jahren im Fach Nationalökonomie waren Vertreter des Neoliberalismus. Ebenso lange ist diese Richtung der Wirtschaftswissenschaften in Mode. Was es mit diesem „neuen Geist“ auf sich hat, erläuterte Prof. Dr. Herbert Schui am 16. April im Dreimädelhaus Mitgliedern der WASG und anderen Interessierten aus dem nordwestlichen Niedersachsen.

Die gute Nachricht vorweg: Wirtschaftswissenschaft ist gar nicht so schwer zu verstehen, wie man denken sollte, wenn man Politiker reden hört und sich dabei denkt, dass das, was sie sagen, den tagtäglichen Erfahrungen der meisten Menschen ganz und gar nicht entspricht – wenn Schröder beispielsweise in der Neujahrsansprache und danach immer wieder behauptet, der Wirtschaftsaufschwung könne nur kommen, wenn wir endlich anfangen wollten zu vertrauen und Geld auszugeben, die meisten von uns aber kein Geld zum Ausgeben haben oder das bisschen Ersparte angesichts zu erwartender weiterer sozialer Einschnitte lieber noch ein Weilchen aufbewahren wollen. Und Schui, an dem zugunsten seiner Lehrtätigkeit an der Hamburger Hochschule für Politik und Wirtschaft ein Kabarettist verloren gegangen ist, machte es den ZuhörerInnen leicht, gut aufzupassen. Ansonsten gibt es aber fast nur schlechte Nachrichten.

Neoliberalismus

„Neoliberalismus“ heißt, der Zweck des Wirtschaftens bestehe nicht in der größtmöglichen Befriedigung der materiellen Bedürfnisse der Menschen (aller Menschen!), sondern darin, dass alle ihre wirtschaftlichen Kräfte frei entfalten können. Oder, um es mit einer Wahlkampfparole der CDU aus den 70er Jahren auszudrücken: „Freiheit statt Sozialismus“.
Der Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland brachte uns nach dem 2. Weltkrieg Vollbeschäftigung und nicht wenig soziale Gerechtigkeit – allerdings durch Beschränkung der Freiheit der Unternehmer, die sich mit Gesetzen, hohen Lohnabschlüssen und Tarifverträgen, die keine Ausnahmen zuließen, hohen Abgaben und allerlei Ärgernissen mehr herumschlagen mussten und in Kauf nehmen mussten, dass der freie Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt so frei nicht war, sondern durch starke Gewerkschaften und deren Einfluss auf Regierungen reguliert war. „Normalerweise“, also ohne Sozialgesetze und Tarife, würde der freie Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt das Lohnniveau früher oder später auf das Existenzminimum senken. Und je geringer der Lohn, desto größer der Profit der Unternehmer, und das ist schön – für die Unternehmer. Zunächst jedenfalls. Aber dazu, warum das auch für die Unternehmer nicht allzu lange schön ist, später. Erst einmal ist es eben schön, und deshalb wollen sie es und schreien danach und drohen allerhand Schlimmes an für den Fall, dass die Regulierung nicht endlich aufhört, z. B. dass sie dann mangels Rentabilität Arbeitskräfte entlassen oder den Standort Deutschland verlassen.
Die rot-grüne Regierung, die wir seit sieben Jahren haben, tut entgegen der sozialpolitischen Philosophie, von der viele Wähler und Wählerinnen glauben, die SPD und die Grünen hätten sie noch, nun alles, um das scheue Reh Kapital nicht zu verscheuchen.
Zurück zur reinen Wirtschaftswissenschaft: Bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen bleibt ein Mehrwert übrig, fällt gewissermaßen ab. Im klassischen Kapitalismus des 19. Jahrhunderts wurde dieser Mehrwert in Produktionsmittel umgewandelt, sprich: in neue Produktionsanlagen, modernere Maschinen usw. investiert. Dadurch wurde die Produktivität erhöht, mehr Mehrwert wurde erwirtschaftet und in den Wirtschaftskreislauf zurückgeleitet usw., und die Industrialisierung konnte voranschreiten.
Irgendwann einmal kann die Unternehmerschaft den Mehrwert nicht mehr rentabel verwenden, und dann wäre es sinnvoll, ihn stattdessen zu konsumieren. An dieser Stelle des geschichtlichen Ablaufes gibt es nun zwei Möglichkeiten: Entweder man konsumiert tatsächlich, die Beschäftigten bekommen hohen Lohn, können viel kaufen, sich eine schöne Altersvorsorge gönnen, ihre Kinder gut ausbilden usw., und der Kreislauf geht weiter. Wie Schui es in seinem Vortrag ausdrückte: Arbeitszeitverkürzung, Lohnsteigerung, Ausbau der Sozialsysteme und öffentlicher Konsum wie Gesundheitsfürsorge, Bildung und Kultur bringen mehr Massenwohlstand. Oder: Das Lohnniveau steigt nicht entsprechend, der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt wird gefördert, die Löhne sinken oder halten nicht Schritt mit dem Wachstum der Arbeitsproduktivität, und dann können die Unternehmer ihre Waren nicht mehr absetzen. Und hier sind wir an der oben angekündigten Stelle des wirtschaftlichen Prozesses, wo die Profitsteigerung für die Unternehmer auch nicht mehr schön ist. Diese zweite, für alle schlechte Möglichkeit werden die Unternehmer nun nicht selber verhindern. Sie sind den Marktgesetzen unterworfen, befinden sich in Konkurrenz zueinander, müssen bestrebt sein, ihren Gewinn zu sichern oder gar zu vergrößern, damit ihnen nicht ein anderer ihren Teil vom Kuchen wegnimmt.
Den Massenwohlstand sichert der Markt nicht. Dazu ist die Politik notwendig, die mit Gesetzen und Vorschriften dafür sorgt, dass das Kapital einen Teil des Mehrwertes abgibt und öffentlichen Aufgaben zuführt und Raum schafft und erhält, in dem Gewerkschaften die Interessen und Forderungen der Lohnabhängigen vertreten und durchsetzen. Und Gewerkschaften sind notwendig, die mit Schuis Worten ein „Angebotskartell für Arbeit“ bilden und damit die Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung sichern und verbessern, gleichzeitig aber auch die Freiheit des Arbeitsmarktes beschneiden. Doch, so Schui im Dreimädelhaus: Man muss sich marktwidrig verhalten, um den Massenwohlstand zu sichern.
Dass das ein ständiger Kampf ist, ist klar. Ende der 70er Jahre begann die massive Propaganda der Unternehmer gegen die Regulierung. Laut und machtvoll begannen sie zu rufen, dass der Zweck des Wirtschaftens nicht im Massenwohlstand, sondern in der Freiheit des Menschen liege. „Man wird die Menschen nicht dafür begeistern können, für ihre eigene Entrechtung zu kämpfen“, so Schui. Um sie dazu zu kriegen, das mitzumachen, dazu ist ziemlich viel Augenwischerei notwendig. So ist der Neoliberalismus eine Rechtfertigungslehre für die Unternehmer, dass sie schalten und walten können, wie sie wollen.
Die CDU stellte sich mit der oben schon zitierten Parole „Freiheit statt Sozialismus“ an die Seite des Kapitals, damals noch gegen die SPD, die seinerzeit noch relativ sozialdemokratisch war, und redete den Unternehmern das Wort, indem sie behauptete, freie Märkte sicherten den Wohlstand, und wenn nicht, dann sei man lieber frei. Das wird gegenwärtig fortgeführt mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft – diese bringe Chancen (wohlgemerkt: Chancen, nicht Wohlstand!) für alle. Mit Bezug auf diese Bestimmung („Chancen“) sagt Schui: „Wirtschaft ist somit ein Geschicklichkeits- und ein Glücksspiel.“
Die SPD unter Schröder ist voll auf diesen Zug gesprungen. Schröders Wort vom „Überleben in der Globalisierung“ erinnert stark an Wilhelm II., der für Deutschland einen „Platz an der Sonne“ reklamierte – „Schröder hat etwas Wilhelminisches an sich“, sagt Schui in exakt dem Tonfall, in dem Dieter Hildebrandt das sagen würde.
Alle Parteien, außer vielleicht noch der PDS, die aber in Westdeutschland keinen Fuß an den Boden kriegt, hängen der neoliberalen Wirtschaftslehre an, und „deshalb brauchen wir einen neuen Club“, wie Schui die Notwendigkeit der WASG flapsig begründet.

Möglichkeiten

Und nun wieder ein bisschen Wirtschaftswissenschaft: Es kann doch nicht sein, sagt der Professor der Nationalökonomie, dass wir bei verdoppelter Produktivität im Vergleich zu vor 30 Jahren heute wirtschaftlich schlechter dran sind als vor 30 Jahren. Der Reallohn sollte – grundsätzlich wenigstens – im gleichen Maß steigen wie die Produktivität, und auch die Renten sollten dann sicher sein. Wenn dies künftig der Fall wäre, dann würden sich in den kommenden 30 Jahren – bei erneuter Verdoppelung der Arbeitsproduktivität – die Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherer ebenenfalls bei konstanten Beitragsätzen verdoppeln. In derselben Zeit wird die Anzahl der Leute, die über 60 Jahre alt sind, um etwa 35 Prozent steigen. Folglich ließen sich alle Leute, die Altersrente beziehen, um 65 Prozent besser stellen. Soll sich ihr Einkommen bei dynamischer Rentenanpassung wie die Bruttolöhne verdoppeln, dann sind Beitragserhöhungen in der Größenordnung von zehn Prozent nötig. Das aber ist zu verschmerzen: Die Nettolöhne würden nun, ebenso wie die Nettogewinne, nicht um 100, sondern nur um 90 Prozent steigen.
Warum das angeblich nicht geht – dafür ist das letzte Argument der Wirtschaft und der SPDGrünenCDUCSUFDP die Globalisierung.

Zahlen zum Weinen

Wegen der Globalisierung, so wird unser Wirtschaftsminister Clement nicht müde zu erklären, müssen die Steuern für die Unternehmen sinken, dann bleiben sie hier. Soso, sagt man sich, wenn man im Dreimädelhaus die Zahlen gehört hat, die Prof. Schui zusammengestellt hat:
1980 zahlten die Unternehmer in Deutschland 22 % Gewinnsteuern, 1991 waren es nur noch 10 %, und 2003 (die aktuellste Zahl, weil es immer ein bisschen dauert, das auszurechnen) nur noch 5,6 %. Und sie haben immer noch nicht genug!
Wenn man mal ein bisschen rechnet, was dem Fiskus durch diese bisher schon gewährte Steuersenkung an Geld entgangen ist, treibt es einem die Tränen in die Augen: 129 Milliarden Euro hat das Finanzministerium verschenkt, wenn man den Satz von 1980 zugrund legt. Gemessen am Satz von 1991 sind es immerhin noch 39 Milliarden verschenkte Euro!
Und während der Staat so großzügig zu den Wirtschaftsgrößen war, hat er sich heftig verschuldet.
Neben den Gewinnsteuern sind die Lohnnebenkosten auch so ein arbeitsplatzfressendes Ungeheuer, sagt uns der Wirtschaftsminister. Doch schaut man sich die tatsächliche Entwicklung an, so muss man feststellen, dass mit der Senkung der Gewinnsteuern und der Lohnkosten je Produkteinheit das Arbeitsvolumen nicht wie versprochen gestiegen, sondern gesunken ist.
Das Arbeitsvolumen ist für den Wirtschaftswissenschaftler eine bessere Maßeinheit für die Ermittlung des Beschäftigungsstandes als die Zahl der besetzten Stellen. Von 1980 bis 1991 sank es in der BRD (alt) von 47 auf 46 Milliarden Arbeitsstunden. 1991 (nach der Vereinigung) betrug es in Deutschland (gesamt) 59 Milliarden Arbeitsstunden und sank bis 2003 auf 55. Und noch ein paar Zahlen, die einen schwermütig machen könnten: Stieg die Produktivität in Deutschland von 1991 bis 2003 um 24 %, so stieg im selben Zeitraum der Lohn lediglich um 14 %. Bei konstantem Anteil der Löhne am Nationaleinkommen, wenn also die Löhne mit der Produktivität gestiegen wären, wäre die Lohnsumme um 78 Milliarden Euro höher, als sie es tatsächlich ist.
Entsprechend den Beiträgen zur Sozialversicherung (die 78 Mrd. enthalten auch die Beiträge der Unternehmen zur Sozialversicherung) hätte diese zusätzliche Lohnsumme die Versicherungskassen gefüllt und obendrein Arbeitsplätze geschaffen, denn von den 78 Mrd. Lohn und Sozialeinkommen wäre mehr ausgegeben worden als von 78 Mrd. Gewinneinkommen. Mehr Ausgaben aber sind mehr Nachfrage und sorgen für mehr Beschäftigung – man könnte weinen!
All dies zu wissen, bringt nun leider gar keine Veränderung. Man muss etwas tun. In diesem Sinne zitierte Schui die „Internationale“: „Es rettet und kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun“, und begründete damit noch einmal die Notwendigkeit eines „neuen Clubs“.

Globalisierung

Und nun kam er endlich zur Globalisierung. „Wir müssen den USA helfen, ihr Handelsbilanzdefizit zu senken. Das schaffen wir durch eine Stärkung der Binnennachfrage. Das sind wir der Globalisierung schuldig“, sagte er im Dreimädelhaus, schon wieder sehr kabarettverdächtig. Was meinte er damit?
1991 verfügten die deutschen Unternehmer als Ergebnis ihrer Direktinvestitionen über 56 Mrd. Euro Auslandsvermögen in Form des Eigentums oder der Beteiligung an ausländischen Unternehmen. Jetzt (2002) sind es 204 Mrd. Euro. Eine satte Steigerung. Aber nicht nur der Bestand dieses Auslandsvermögens der deutschen Unternehmen ist gestiegen: Auch die deutschen Exporte und überdies die deutschen Handelsbilanzüberschüsse (2004 waren es rd. 135 Mrd. Euro) nehmen im Trend gewaltig zu. Wenn aber die Direktinvestitionen die Exporte ersetzen würden (Produktion im Ausland statt im Inland), dann könnten weder die Exporte noch der Handelsbilanzüberschuss zunehmen. Mittlerweile hat Deutschland mit 10 Prozent den größten Anteil an den weltweiten Exporten. Zum Vergleich: Die USA bringen es da nur auf 9 %, und China als drittplatzierte Nation auf 6,5 %.
Woher haben die Kapitalisten dieses viele Geld, das sie im Ausland anlegen können? Es stammt aus dem Verzicht des Fiskus und der ArbeitnehmerInnen. „Löhne um 2 % gesunken, heißt es im Wehrmachtsbericht in der Tagesschau – es erinnert an: Eriwan ist gefallen“ – Schui steigerte seine satirischen Fähigkeiten im Lauf des Nachmittags beträchtlich und hielt seine schätzungsweise 60 ZuhörerInnen damit bei dem schwierigen Thema bei Laune. Angesichts des Ernstes der Thematik blieben sie aufmerksam. Denn: „Die Senkung der Lohnkosten führt zu einer Senkung der Binnennachfrage. Die Unternehmen investieren trotz hoher Gewinne nur zurückhaltend im Land. Es fehlt an Nachfrage, um die Kapazitäten auszulasten, deren Aufbau sich leicht mit den hohen Gewinnen finanzieren ließe. Stattdessen investieren sie sie im Ausland. Und da alle Konzerne weltweit gut verdienen, wollen alle Konzerne alle Konzerne übernehmen. Das führt zu Gedränge.“ Und es geht nicht immer gut, wie das Beispiel Daimler (Schui: „Weltmeister im Milliardenverdenken“) zeigt.
Nun ist dieser unwiderstehliche Drang der Unternehmer auf den Weltmarkt keine Produktionsverlagerung. Wäre das der Fall, so würde sich die Handelsbilanz Deutschlands verschlechtern, und das tut sie nicht. „Die Unternehmen übernehmen lieber andere Unternehmen, als neue Produktionsstätten zu errichten“, erläutert Schui. Und die „neue slawische Gefahr“ ist längst nicht so gefährlich, wie es scheint: Die neu der EU beigetretenen Länder haben von den 204 Mrd. Euro nur 5 % an Direktinvestitionen aus Deutschland bekommen, und in Polen und Tschechien ist das schon wieder rückläufig. „Was uns arbeitslos macht, sind nicht die Direktinvestitionen im Ausland, sondern das ist die sinkende Binnennachfrage“, stellte Schui klar. Mit Lohnverzicht, folgerte er, graben wir uns unser eigenes Grab.
Warum aber glauben so viele Arbeiter und Angestellte in Deutschland, dass sie mit Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung ihre Arbeitsplätze sichern könnten? Die Medien berichten ausführlicher über die Investitionen im Ausland als über die sinkende Binnennachfrage. Wenn man sich die jüngste Stilllegung in Wilhelmshaven anschaut (Torde-Möbel schließt sein Werk in Wilhelmshaven und verlegt die Produktion nach Polen), bestätigt das vordergründig diese Behauptung und macht uns glauben, die Unternehmer gingen wegen unserer angeblich zu hohen Löhne weg in Billiglohnländer. Doch: Von den 204 Mrd. Euro Direktinvestitionen gingen 108 Mrd. in EU-Länder, 55 Mrd. in Industrieländer außerhalb der EU, und nur der Rest verteilt sich zu etwa gleichen Teilen auf Schwellen- und auf Entwicklungsländer. Und die Direktinvestitionen gehen in die hoch entwickelten Industrieländer nicht etwa wegen geringerer Lohnkosten oder günstigerer Gewinnsteuern (sind sie da nämlich nicht), sondern wegen der expandierenden Märkte. „Wenn ich ein Kapitalist bin, dann kaufe ich ein Unternehmen da auf, wo ein Wirtschaftswachstum stattfindet“, erklärt Schui sehr einleuchtend diesen Sachverhalt – z.B. in den USA, die derzeit ein Wirtschaftswachstum von 3,5 % haben, gegenüber 1,6 Prozent in Deutschland im vergangenen Jahr und mageren 0,8 Prozent, die in diesem Jahr zu erwarten sind.
Weitere Zahlen bestätigen, dass es nicht unsere hohen Löhne sind, die unsere Unternehmer ins Ausland treiben: Nur 17,5 % der Auslandinvestitionen stecken im verarbeitenden Gewerbe und 6,3 % im Handel. Der Löwenanteil des Geldes, das die Unternehmen ins Ausland schaffen, geht in den Bereich Finanzdienstleistungen – sprich: Die deutschen Unternehmen kaufen ausländische Banken.

Helft den USA!

Und was war das nun mit den USA, denen wir hier helfen sollten, ihr Handelsbilanzdefizit zu senken, damit es ihnen und uns besser geht?
617 Mrd. US-Dollar, das sind 467 Mrd. Euro, beträgt dieses US-amerikanische Handelsbilanzdefizit. Das wirkt für die EU-Länder und für Deutschland wie ein Konjunkturprogramm. Der Grund für dieses hohe Defizit in der US-Handelsbilanz ist, dass das Wirtschaftwachstum in den USA höher ist als beispielsweise in Europa. (Das Land mit dem höheren Wachstum importiert mehr als das Land mit niedrigem Wachstum.) Die Frage ist nun, ob die USA ihr Wachstum und damit ihre Außenhandelsdefizite weiter durchhalten können. Ursachen des hohen Wachstums in den USA sind das hohe Staatsdefizit und die niedrige Sparquote der privaten Haushalte (derzeit vier Prozent gegenüber 11 Prozent in Deutschland). Der US-Notenbankchef Greenspan sagt, dass dieses Haushaltsdefizit halbiert und der Zins wegen Inflationsgefahr erhöht werden müsse. Diese Politik würde die Binnennachfrage und damit das Wachstum in den USA senken. Die Folge wären niedrigere Importe und eine Verringerung des Handelsbilanzdefizits. Dies wiederum würde die Konjunktur in den EU-Ländern dämpfen. (Es fehlt nun der Handelsbilanzüberschuss als Konjunkturimpuls.) Es gibt nur einen Weg, die USA von dieser Politik der Wachstumsabschwächung abzubringen, und das sind höhere Importe aus den USA in die EU und nach Deutschland. Dies lässt sich nur erreichen mit einem höheren Wachstum in den EU-Ländern, vor allem aber in Deutschland als dem wichtigsten Land. Zu mehr Wachstum aber kommt es nur durch mehr Binnennachfrage. Deswegen müssen in Deutschland die Löhne steigen, und deswegen muss der Staat die Gewinnsteuern anheben, damit auch seine Nachfrage ansteigen kann. Gegenwärtig hat sich die Regierung nur freie Hand verschafft bei den Staatsdefiziten, indem Maastricht neu interpretiert worden ist. Aber solange sie damit nur die Steuergeschenke an die Unternehmen finanziert, wird sich nichts zum Guten ändern.
Das ist, so Schui, ein wesentlicher Aspekt der Globalisierung: Die intensiveren Außenhandelsbeziehungen zwingen uns im eigenen Interesse dazu, alles dafür zu tun, dass die USA ihre Importe nicht durch eine Verlangsamung ihres Wirtschaftswachstums senken. Die Politik muss sich gerade wegen der Globalisierung mehr denn je um eine deutliche Verbesserung der Binnenkonjunktur kümmern.

Was tun?

Die anschließende Diskussion zeigte die unterschiedlichen Strömungen, die in der WASG zusammenkommen. Die eher sozialistische „Fraktion“ wies darauf hin, dass in Deutschland nicht die Politik, sondern die Wirtschaft regiert. Es wurde die skeptische Frage danach aufgeworfen, ob der Kapitalismus überhaupt reformierbar ist. – Ja, meint der Professor, fragt sich nur, ob Reformen ausreichen. Eine Verbesserung der Lebensverhältnisse ist bestimmt möglich – und sie ist bestimmt nötig.
Die eher gewerkschaftliche „Fraktion“ wehrte sich gegen die Vorwürfe, die den Gewerkschaften gemacht werden: Dass Betriebsräte in Großunternehmen Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerungen zustimmen, hat auch damit zu tun, dass ihnen der Rückhalt der Belegschaften fehlt – wenn auf der einen Seite die Chefs Einschränkungen fordern und auf der anderen Seite die Beschäftigten dazu bereit sind und große Ängste entwickeln für den Fall, dass sie sich nichts nehmen lassen, können auch Gewerkschaften nichts mehr tun.
Und zur Frage eines Teilnehmers, ob die Aussicht besteht, wirtschaftspolitische Positionen wie die von Prof. Schui auch mal bei Sabine Christiansen zu hören, wurde Schui wieder satirisch: „Frau Christiansen – und das mach ihren Erfolg aus – versteht sehr wenig von den Sachen.“
Fazit der Veranstaltung: Es wächst in der Bevölkerung die Einsicht, dass sie verarscht wird. Nun muss sie darüber informiert werden, wie es anders laufen kann. Mit dem Einzug in den Bundestag wird sich die WASG dafür eine Bühne schaffen.

Namensänderung zurück
Im Gespräch mit dem Gegenwind erläuterte Werner Dalichow die Änderung des Namens WASG in ASG (sh. Gegenwind 206). Da das Kürzel ASG schon von einer anderen Gruppierung verwendet wird, musste die WASG diese Änderung rückgängig machen.

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