Garnisonkirche
Apr 292005
 

Gesellschaftsfähig

Der Militarismus breitet sich aus

(hk) Wer traut sich heute noch in Wilhelmshaven ein Wort gegen den Militarismus zu sagen? Im Marinemuseum wird bald der nach der Nazi-Kultfigur Oberst Werner Mölders benannte Zerstörer als Exponat die Menschen nach Wilhelmshaven locken. Der Journalist Klaus Dede fand Empörendes in der Wilhelmshavener Christus- und Garnisonkirche.

 In einem Brief an den Pastor Morgenstern schreibt Klaus Dede:
Sehr geehrter Herr Morgenstern,
bei meinen Recherchen zu der Datensammlung, an der ich arbeite, stieß ich auch auf das Kriegerdenkmal in der “Garnison- und Christuskirche” in Wilhelmshaven, das ja seinerzeit von dem Marinedekan Ronneberger eingeweiht wurde, der dazu die Großadmiräle Reader und Dönitz eingeladen und in der Kirche empfangen hatte. Nun gut – das ist Geschichte und nicht mehr zu ändern, obwohl der Vorgang deshalb besonders peinlich ist, weil R. am 1. Mai 1933, also zu einem Zeitpunkt, als die Judenverfolgung bereits angelaufen war, Hitler emphatisch gefeiert hat, aber das tat er gemeinsam mit 40.000 deutschen Pastoren aller Konfessionen, was weder ihn noch die anderen entschuldigt, aber doch sein Verhalten erklärt. Das alles werde ich registrieren, aber nicht kommentieren.
Mich beschäftigt ein anderer Punkt: Über dem Denkmal steht heute noch der Satz: „Sie starben alle für ihr Vaterland.“ Natürlich stellt sich die Frage, wer denn mit “alle” gemeint ist – nur die deutschen Matrosen oder auch diejenigen, die sie getötet haben, also die sog. Feinde? Und wenn das so ist, welchen Wert hat denn ein “Vaterland”, das Menschen zu einem solchen Handeln motiviert?Garnisonkirche
Und damit nicht genug: Herr Ronneberger, aber vor allem diejenigen, die die Jubiläumsschrift, in der auch das Denkmal gefeiert wird, zu verantworten haben, also zum Beispiel der frühere Landesbischof Harms und vor allem Sie selbst, wissen natürlich sehr gut, dass die Matrosen nicht für “ihr Vaterland” starben, sondern für eine Partei, die zugleich eine “Kirche” war, also eine Organisation, die sich durch ihre Ideologie definierte und zwar durch eine solche, die wir wohl zu Recht als die inhumanste bezeichnen können, die der menschliche Geist produziert hat, kurz gesagt: sie starben, damit in Auschwitz Juden vergast werden konnten – das wissen Sie und alle anderen Theologen, aber indem Sie das Denkmal so stehen lassen, wie es ist und es sogar noch in einer Jubiläumsbroschüre feiern, vertreten Sie eine Lüge, oder? Ich hätte gern Ihre Meinung dazu gewusst.
Noch ein Punkt: Der Schriftsteller Lothar Buchheim schildert irgendwo, ich glaube in einem Interview, was eine “Seeschlacht” bedeutet, nämlich dass die Männer, wenn ein Kriegsschiff zusammengeschossen wird, alles durchleben, was den Menschen an Schrecklichem begegnen kann: Sie werden verbrüht, verbrannt und zerstückelt – und schließlich saufen sie ab oder sie erfrieren. Aber danach deckt die See das Geschehen – es gibt keine Trümmer und keine Leichen, auch keine schreienden Verwundeten, wie auf einem Schlachtfeld, nichts dergleichen. Und genau das stellt sowohl das Denkmal als auch Ihr Altarbild dar: Der Schrecken des Krieges wird “ästhetisiert”, um mit Benjamin zu sprechen, indem der Maler ein Kreuz (ein Kreuz!) über einer friedlichen See schweben lässt – auch das ist also eine Lüge, die ebenfalls nicht vergangen, sondern gegenwärtig ist und die Sie also heute vertreten müssen, wie?
Was fühlen Sie, verehrter Herr Pfarrer, wenn Sie im Gottesdienst sagen: “Ich bin der Weg, die Wahrheit …?“ Wahrheit? – Meinen Sie, dass der Jesus, dessen Botschaft Sie zu verkünden haben, das wirklich gemeint hat?
Cura ut valeas!
Klaus Dede
Geboren 1935, Journalist aus Oldenburg, Als seine Arbeitsschwerpunkte bezeichnet Klaus Dede den Deutschen Nationalismus, die Geschichte der Temperenz- und Abstinenzbewegung und die Regionalgeschichte der Wesermündung.
Veröffentlichungen zu Themen wie Nationalismus und Traditionspflege. Viele ‚heimatbezogene’ Bücher über Norddeutschland zwischen Butjadingen und Worpswede.
Dedes Verhältnis zur Kirche wird seit Generationen durch die Familie geprägt: Großvater Pastor in Osternburg, Vater Pastor, Brüder, Neffen – alle in irgendeiner Form in der Kirche aktiv. Sich selbst bezeichnete Klaus Dede gegenüber dem Gegenwind als „bekennenden Atheisten“.

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