vom 13. April 2005
aufgekehrt von Imke Zwoch
Gerade mal einen halben Zentimeter maß der Stapel Ratsunterlagen, was Anlass zum Frohlocken gab, noch vor Anbruch der Dunkelheit den heimischen Schreibtisch zu erreichen. Denkste! Die Ratsfrauen und -herren pumpten das Häufchen auf gut 3 1/2 Stunden Sitzungszeit hoch. War denn da soviel Spannendes bei? Schauen wir mal.
Regionale Innovationsstrategie, kurz RIS, heißt ein Kommunalverbund, der Wachstum und Beschäftigung im Weser-Ems-Raum fördern soll. 1997 ins Leben gerufen, soll RIS künftig als e. V. die regionale Wirtschaft mit ins Boot nehmen. Alle Landkreise, kreisfreien Städte, Kammern, Hochschulen und bedeutenden Unternehmen der Region sollen dem Verein angehören.
Die FDP zeigte sich wenig geneigt, dem neuen Verein beizutreten. Dr. von Teichman ist „unklar, was RIS für das viele Geld erreicht hat, das bisher hineingesteckt wurde.“ Der WHVer Anteil wird wie gehabt 11.734 Euro betragen, das sind 2 Cent pro Einwohner/in und Jahr.
SPD-Adam hielt dagegen, es würde „großes Erstaunen auch bei der Landesregierung auslösen“, wenn unsere Stadt nicht beitreten wolle. Auch Oberbürgermeister (OB) Menzel warnte davor, als einzige kreisfreie Stadt „daneben zu stehen“, und betonte die zentrale Steuerungsfunktion des RIS e. V. für hiesige Projekte wie z. B. – na, was wohl? Richtig: den JadeWeserPort. Zudem sei die Mitgliedschaft auf 3 Jahre befristet und stehe unter der Voraussetzung, dass die Wirtschaft ihr Scherflein wie geplant beisteuert. Bei zwei Gegenstimmen (FDP) stimmte der Rat dem Beitritt zum RIS e. V. zu.
Jens Graul wurde für weitere 8 Jahre als Stadtrat für Sicherheit, Ordnung, Umwelt, Kultur, Sport und allerlei Buntes wiedergewählt. Auf eine Ausschreibung der Stelle konnte durch mehrheitlichen Beschluss verzichtet werden, vorab musste allerdings Frauenbeauftragte Ellen Wolbergs zustimmen. Was sie auch tat – wobei sie, wie der OB süffisant zitierte, „bedauert, dass Dr. Graul keine Frau ist“. Große Heiterkeit im Saal und pubertär geprustete Vermutungen, über die wir hier zur Wahrung der Würde des alten und neuen Amtsträgers den Mantel des Schweigens decken. Fragen wir lieber Frau Wolbergs, was sie zum Ausdruck bringen wollte: Nämlich, dass sie es begrüßen täte, wenn endlich mal eine Frau die Riege der durchweg männlichen Stadträte auflockern würde. Wo sie Recht hat, hat sie Recht.
Bei 3 Gegenstimmen und 7 Enthaltungen wurde Dr. Graul in geheimer Wahl gewählt. Denn gratulieren wir mal, unter der Voraussetzung, dass der Erwählte öfter mal bissig-witzige Beiträge liefert – das kann er ja, wenn er es nur will.
ist OB Menzel, dass wir ihm zu Großvater-Ehren eine Straße umbenannt haben, was wir in der letzten Ausgabe mit dem „Opa-Menzel-Weg“ fotografisch dokumentierten. „Ihrem Wunsch am Ende der Bildunterschrift werde ich aber nicht so schnell nachkommen“, griente er. Da stand geschrieben: „Jetzt fehlt dem OB nur noch der wohl verdiente Ruhestand.“ Denn eben nicht. Wir wollen doch nur sein Bestes.
Den charakteristischen mindestens-drei-Tage-Bart hat sich Menzel übrigens abnehmen lassen. Was tut man nicht alles, um nicht wie ein Opa auszusehen.
Derzeit ist in unserer Stadt ab 2, 3 Uhr morgens tote Hose. Das soll anders werden, findet CDU-Junior Felbier, der auf seinem Weg in den Bundestag zwischendurch die Sperrstunde in WHV abschaffen will. Sich mal für die Jugend einzusetzen, modernen Party-Gewohnheiten gerecht zu werden (wer zieht heute schon vor 23 Uhr los?), ist in Ordnung. Findet aber nicht jeder. Vor allem nicht SPD-Sprecher Neumann. Mit Anspielung auf eine Diskothek auf Siebethsburg bemerkte er, der Bauverein könne schon jetzt die Wohnhäuser ringsum abreißen lassen. Auch in Voslapp / F’Groden gäbe es ein paar „erstklassige Grundstücke“, die sich wegen einer dortigen Disco nicht vermarkten ließen.
Felbier versuchte es andersrum: Man wolle mit der Öffnung der Sperrzeiten auch „mehr Freiräume für die Unternehmen und neue Arbeitsplätze schaffen.“ Eine zusätzliche Lärmbelästigung sei nicht zu befürchten, die Lärmschutzverordnung besäße jetzt wie zukünftig Gültigkeit.
Rein gesetzlich ist nur eine Sperrzeit (Schließung von Gastronomiebetrieben) von einer Stunde täglich vorgeschrieben, die so genannte Putzstunde; alles Weitere regeln die Kommunen.
Ratsherr Ender reichen die bisherigen Öffnungszeiten aus. SPD-Adam findet sie pädagogisch wertvoll: „Können Sie ruhig schlafen, wenn Ihre 16jährige Tochter nicht um 2 nach Hause kommt, sondern die ganze Nacht unterwegs ist?“ Dazu Felbier: Das sei keine Frage von Sperrzeiten, sondern der Aufsichtspflicht der Eltern. Von Teichman stimmte dem im Grundsatz zu: „Die Sperrzeit soll Menschen erziehen – das klappt aber nicht.“ (In der Tat: Wenn die Tanztempel schließen, macht man halt anderswo weiter – irgendein Kumpel hat immer sturmfreie Bude.) Den FDP-Mann interessierte der Aspekt, „die Bürokratie zurückzufahren“. In diesem Sinne schlug er vor, einer Öffnung der Sperrzeiten für ein halbes Jahr als Versuch zuzustimmen und dann zu schauen, ob sich das bewährt: „Vertrauen in die Jugend investieren!“ Wozu gehört, dass man mit Rücksicht auf die Anwohner den Rückzug aus der Gaststätte, inkl. des Schließens von Autotüren, dezent gestaltet.
An diesem Punkt trat der alte und neue Stadtrat für Sicherheit und Ordnung in Aktion: „Ich will der Diskussion nicht die kommunalpolitische Würze nehmen“ (sag ich doch: er KANN bissig sein), „aber kehren wir zurück zur Realität.“ Nämlich: Es gibt bereits niedersachsenweit einen Modellversuch, an dem sich WHV aber nicht beteiligt. Weil: 12 Betriebe hier bereits eine Ausnahmegenehmigung haben, „und die halten wir trotz zahlreicher Beschwerden der Anwohner aufrecht, um ein erweitertes gastronomisches Angebot zu garantieren.“
Felbier freundete sich derweil mit von Teichmans Beschlussvorschlag für einen Modellversuch an – in Nordrhein-Westfalen gäbe es unter diesen Voraussetzungen „keine signifikant größere Lärmbelästigung“. Auch CDU-Sprecher Reuter arbeitete auf eine Oppositionsallianz hin: Man müsse exemplarisch mal Vorschriften zurückschrauben, „so was wie ‘Betreten des Rasens verboten!’ gibt es nur in Deutschland“. Endlich klinkte sich Menzel ein: Junge Leute gibt es immer weniger in der Stadt, man müsse das Ruhebedürfnis der Mehrheit berücksichtigen. (Da spricht er doch voll mit unserer Theda: Wir versuchen nicht mehr (vergebens), junge Menschen in der Stadt zu halten oder her zu ziehen, sondern konzentrieren uns voll auf den Alterungsprozess). Im Übrigen, so Menzel, würde durch die Öffnung von Sperrzeiten die Bürokratie eher verstärkt als abgebaut, weil man allen Beschwerden von Anwohnern nachgehen müsse, Messungen durchführen müsse etc.
Als ich bereits die ersten Spinnweben zwischen Pressetisch und Kniekehlen abzupfte, sprach Ratsvorsitzender Schmidt, nicht das einzige Mal an diesem Nachmittag, ein Machtwort: Nun sei alles gesagt und man könne zur Abstimmung gelangen. Die sah dann so aus, dass der von Felbier resp. FDP eingebrachte Änderungsantrag (Modellversuch) wie auch der ursprüngliche CDU-Antrag auf generelle Aufhebung der Sperrzeit durch die SPD-Grüne-Mehrheit abgelehnt wurden.
Baden ging der Antrag von WALLI-Ratsherr Tjaden, den Geniusstrand in der Saison 2005 noch einmal zu öffnen. Nach offiziellen Verlautbarungen sollen die Baumaßnahmen für den Containerhafen nicht vor Jahresende beginnen. Noch bevor Tjaden sein Anliegen vortragen und begründen konnte, verließ SPD-Neumann den Saal, mit Blick auf Menzel („du sagst was dazu, ne?“) ??? Menzel sagte was dazu: 40.000 Euro für DLRG, Strandaufsicht, Versicherungen, Wasseranschlüsse etc. „haben wir nicht, die wären in den Sand gesetzt. Citybad, Freibad Nord und Banter See sind über Sommer geöffnet und reichen aus“. Man könne aber am Geniusstrand „auf eigene Gefahr“ baden, dafür würden auch keine Parkgebühren erhoben.
FDP-Schadewaldt hält die verbleibenden Badeplätze nicht für ausreichend, zumal der Banter See erfahrungsgemäß wegen giftiger Algen im Sommer regelmäßig gesperrt werden muss. „Wir sollten heilfroh sein, so lange der Geniusstrand noch zur Verfügung steht.“ Viel Geld will er dort auch nicht investieren, aber man könne zumindest Toiletten aufstellen.
Also: Dixi-Klos vom Banter See an den Geniusstrand schaffen und alle Probleme sind gelöst!
Im letzten GEGENWIND berichteten wir über den Vorschlag der Stadtverwaltung, die Zahl der Ratsmitglieder zu reduzieren. SPD und CDU hatten auf diese Sparidee mit heftiger, unsachlich vorgetragener Ablehnung reagiert.
Menzel hatte die Fraktionen im Februar über einen entsprechenden Passus in der Nds. Gemeindeordnung informiert.
„§ 32 Zahl der Ratsfrauen oder Ratsherren
(1) Die Zahl der Ratsfrauen oder Ratsherren beträgt in Gemeinden … mit 75 001 bis 100 000 Einwohnerinnen und Einwohnern 44 …
(2) Durch Satzung kann in Gemeinden mit mehr als 8000 Einwohnerinnen und Einwohnern bis spätestens 18 Monate vor dem Ende der Wahlperiode die Zahl der zu wählenden Ratsfrauen und Ratsherren um 2, 4 oder 6 verringert werden … Der Beschluss bedarf der Mehrheit der Mitglieder des Rates.“
Menzel rechnete die mögliche jährliche Ersparnis vor: Für Aufwandsentschädigungen, Fahrt- und Sachkosten 19.536 Euro bei 6 Ratsmitgliedern (4: 13.024 Euro, 2: 6.512 Euro), dazu ca. 4.000 Euro für Sitzungsgeld, Verdienstausfall, Fraktionszuschüsse.
Auch die grüne Bürgermeisterin Marianne Fröhling unterstützt den Sparvorschlag und grenzt sich damit deutlich von den aufgeregten Protesten ihrer SPD-geführten Ratsgruppe ab. „Wohin ist der Rat mit 45 Ratsfrauen und -herren gekommen?“, fragte sie provokativ. Immer nur an der Verwaltung zu sparen, entspräche dem „Sankt-Florians-Prinzip“. Mal bei sich selbst anzufangen, sei auch eine „symbolische Geste“ des Rates, und was im Landesparlament gilt, müsse man auch in den Kommunen diskutieren. Ratsherr Weerda (CDU) hielt Fröhling entgegen, sie solle doch gleich heute zurücktreten, um einen Bürgermeister-Posten zu sparen. Voll daneben:
Ratsherr Ender widersprach der Behauptung des CDU-Sprechers Reuter, kleinere Gruppen im Rat würden durch die Schrumpfung bevorzugt; wegen des Höchstzahlprinzips sei genau das Gegenteil der Fall. SPD-Neumann blieb bei seiner Sichtweise: „Wir sind alle Ideengeber – Demokratie kostet nun mal Geld“, auch wenn theoretisch „ich und Herr Reuter das auch alles allein machen könnten“. Glückwunsch auch.
Von Teichman nahm Fröhling wie den OB in Schutz, dessen Vorschlag sei keine Polemik. „Der Bürger soll immer sparen – warum nicht wir?“ Sein Kompromissvorschlag: den Rat um 4 auf 40 Mitglieder verkleinern.
Ratsherr Tjaden verstand nicht, warum 40.000 Euro fehlen, um den Geniusstrand noch einmal zu öffnen, Ersparnismöglichkeiten von über 20.000 Euro jährlich aber einfach vom Tisch gewischt werden.
Menzel stellte sich vor seine MitarbeiterInnen: Es seien bereits 144 Stellen eingespart worden, nun sei es ein symbolischer Schritt, wenn der Rat nachzöge. „Der Vorschlag, lieber einen Sachbearbeiter oder Hausmeister einzusparen, kam bei meinen Mitarbeitern nicht so gut an!“ Ebenso wenig die Behauptung, die wären froh, weniger Nachfragen von weniger Ratsleuten zu bekommen: „Das kann man so nicht im Raume stehen lassen. Meine Mitarbeiter warten auf Ihre Nachfragen!“
Der auf Initiative von Fröhling und von Teichman eingebrachte Antrag, den Rat auf 40 Mitglieder zu reduzieren, wurde bei 4 Ja-Stimmen abgelehnt.
Üblicherweise, wenn ein Artikel aus der lokalen Presse im Rat kritisch diskutiert wird, richten sich alle Blicke auf den Platz der Gegenwind-Redaktion. Diesmal wanderten die vielen Augenpaare ein ganzes Stück weiter nach rechts und hefteten sich auf den WZ-Kollegen Max Schmid. Der hatte sich in einem Kommentar kritisch zur WTF-Geschäftsführerin Aida Kleinschmidt geäußert, was die FDP zum Anlass für eine „Große Anfrage“ nahm. Man wunderte sich, wer da geplaudert hatte, und warum Kleinschmidt nicht die gleiche Fürsorgepflicht genießt wie der OB, dem mal anlässlich einer verunglimpfenden Karikatur voller Rechtsbeistand zugesagt wurde.
Seine lust- wie inhaltslose Antwort ließ Menzel in Großschrift abtippen. Wollte er die 3 Seiten voll kriegen oder war das bereits ein erster Schritt auf dem Weg zur seniorenfreundlichen Stadt?
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