Das Abbild der großen, grauen Stadt
Steht der Abriss der Südzentrale kurz bevor?
Ausgerechnet im Jubiläumsjahr „150 Jahre Jadevertrag“ wollen jene, die am lautesten feiern, das bedeutendste Denkmal der Stadtgeschichte abreißen lassen: Das ehemalige Marinekraftwerk „Südzentrale“. Geschichtsbewusste Bürger wollen es erhalten. Wir sind dem Streitobjekt im wahrsten Sinne des Wortes noch mal auf den Grund gegangen.
Die Südzentrale ist seit Jahren bundesweit Thema der Medien von GEGENWIND bis FAZ. Viele Fakten und Zusammenhänge wurden noch nicht benannt. Vermutungen und Befürchtungen lassen sich schwer belegen, weil die Informanten, wie so oft, anonym bleiben wollen. Wie also sollte ich mich jetzt, wo es „brennt“, dem Thema nochmals annähern, um zu zeigen, dass die Südzentrale über jede hafenwirtschaftliche Spekulation erhaben ist? Ganz direkt. Ich habe dem Gebäude einen intensiven Besuch abgestattet, damit es mir hilft, seine Geschichte aufzuarbeiten.
Ergriffen stehe ich an diesem heißen Sommertag in der 60 Meter langen Maschinenhalle. Die andächtige Atmosphäre ergreift Besitz von mir und reißt mich mit sich fort. Ich schließe die Augen. Plötzlich höre ich einen Zug heranfahren, stählerne Reifen, Bremsen quietschen. Ich rieche Kohlenstaub und Schweiß. Dröhnend setzt sich der Laufkran über mir in Bewegung, dessen Führung die ganze Halle überspannt. Umgewandelte Energie fließt in die Marineanlagen und umliegenden Wohnhäuser.
Für die Ewigkeit
Ich öffne die Augen. Ich bin fast allein in der stillen, kühlen, leeren Halle. Mein Fotograf ist im Irrgarten der Trakte, Treppen und Ebenen untergetaucht, verschlungen vom Sog der Details, die festgehalten werden wollen. Ich schaue mich um. Mächtige Stahlträger wachsen tief aus dem weichen Baugrund heraus, ragen durchs Untergeschoss, tragen das Fundament der Maschinenhalle im Obergeschoss. Mein Blick folgt den Trägern hinauf, vorbei an Graffitis, an den Jugendstilfenstern, bis sie 20 Meter über meinem Kopf die hölzernen Dachträger aufnehmen. Dies ist für die Ewigkeit gebaut.
Die Ästhetik der Südzentrale ist zwiespältig, sie erzählt auch dunkle Geschichten. Sie wurde gebaut, um den Kriegshafen und seine Werkstätten mit Strom zu speisen. Sie hat die Tötungsmaschinerie zweier Weltkriege in Gang gehalten und beide überlebt. Sie ist mit der Entstehungsgeschichte der Stadt untrennbar verbunden. Beide hätte es ohne Kriegsabsichten nicht gegeben.
In Wilhelmshaven schönt man eifrig die dunklen Seiten der Stadtgeschichte. Die Tafel an der Jahnhalle, des Inhalts, dass hier die männlichen Juden zusammengetrieben wurden, hat man rechtzeitig vor der EXPO abgebaut. Die Herren der Stadt stellten den Kaiser in Bronze wieder auf, der Despot ist zum Gutmenschen rehabilitiert und hat von seinem Sockel aus erneut die Herrschaft über seine Kriegshafenstadt übernommen. Fragwürdige Geschichte mutiert zum Symbol für Kraft und Aufbau, man darf sie wieder zeigen, solange man die dunkle Seite verlügt und keine verräterische Plakette anbringt.
An der Südzentrale ist keine Plakette, die informiert, dass sie die Kriegsmaschinerie gespeist hat. Nicht mal eine, die auf das technisch-architektonische Wunder hinweist. Ihre dunkle Geschichte ist nicht der Grund, warum sie abgerissen werden soll. Sie steht auf wertvollem Gelände am Hafen, der expandieren soll. Kühlhäuser für Fisch und Fleisch sollen da gebaut werden, für die Firma FRIGO, die Herrn Bartels gehört. Der hat vor ein paar Jahren seine alte Firma gegen die Wand gefahren und ist, einen herzzerreißenden Abschiedsbrief an seine Mitarbeiter hinterlassend, ins Exil geflohen. Nach Gran Canaria. Er ist zurückgekehrt nach Wilhelmshaven, in die Stadt der Stehaufmännchen, zu denen auch Kaiser und Oberstadtdirektoren gehören. Bartels ist nicht allein. Die Hafenbetriebsgesellschaft, eine Tochter der städtischen Holding, hat sich mit 25,1% in die FRIGO eingekauft. Herr Adam, den die Wähler nicht mehr im Landtag haben wollten, und Herr Neumann vom Aufsichtsrat begutachten mit Herrn Bartels das Gelände der Südzentrale und lassen sich mitreißen von der Idee mit den Kühlhäusern. Vor allem, weil Bartels Druck macht: Entweder er darf hier wachsen oder er wird weichen. Nach Bremerhaven. Beschimpft hat er die beiden Sozialdemokraten als „kleinkariert“, weil sie sich nicht frühzeitig mit seiner Expansion beschäftigt haben. Diese Sprache verstehen sie. Seine „Philosophie“, alles müsse in einer Hand bleiben, hat ihnen „zugesagt“. Sie versprechen, die „vorgetragenen Probleme“ zu bearbeiten. Damit alles in seiner Hand bleibt. In Norddeutschland kontrolliert Bartels bereits 60% des Kühlhausangebots. Das ist nicht genug. (Zitate aus WZ vom 24.6.2002)
Gran Canaria ist vergessen. Bartels ist wieder Nabel der naiven kleinen Wilhelmshavener Welt. Nur, dass er seine Gewerbesteuer an seinem Firmensitz in Schortens zahlt.
Gebäude und Gelände gehören bisher weder Stadt noch Bartels. Seit der Stilllegung hat die Südzentrale mehrfach die Eigentümer gewechselt. Die jetzigen kommen aus Ibbenbüren. Die konnten keinen Druck machen wie Bartels, weil sie nicht Marktführer der deutschen Kühlunternehmen sind.
Viele Ideen hat es gegeben, um die Südzentrale mit neuem Leben zu erfüllen: Wohnungen, Dienstleistungen, Kultur: Ateliers, ein Musicaltheater, die große Halle hat eine perfekte Akustik, Museen. Keine dieser Ideen wurde von den Verantwortlichen unterstützt, obwohl die öffentliche Hand – hier vor allem: das Bauordnungsamt – verpflichtet ist, den Eigentümern denkmalgeschützter Gebäude unter die Arme zu greifen.
Bis November 1998 wohnte im ehemaligen Bürotrakt noch ein Hausmeister. Weil nach seinem Auszug keiner mehr aufpasste, wurde bald das ganze Gebäude Opfer des Vandalismus. Kaum eine Scheibe ist noch heil, Dachziegel sind herausgerissen. Antiquitätensammler haben sämtliche Türklinken abgebaut, Mosaike aus dem Boden gemeißelt und 10 Meter des Treppengeländers in der großen Halle herausgetrennt. Die Graffiti-Künstler sind das geringste Problem. Gelegentlich pönen sie sogar die Wände neu. Das konserviert.
Bartels und Co. zuliebe wirft man sanierungswilligen Eigentümern Knüppel zwischen die Beine. Wenn man denen die Neunutzung verwehrt, nimmt man den Verfall des Gebäudes billigend in Kauf. Um es dann abzureißen, muss der Denkmalbehörde ein Gutachten vorliegen, das die Unzumutbarkeit der Sanierung begründet.
Doch die Südzentrale denkt auch nach 10 Jahren Leerstand nicht daran, baufällig zu werden. Denkmalexperten und Statiker halten das Objekt immer noch für sanierungswürdig, die Gründung des Gebäudes ist nach wie vor intakt und hält wohl noch 200 Jahre. Die Stahlträger, die während der Betriebszeit stets konserviert wurden, bleiben stur. Die zu bezwingen, würde einem Abrissunternehmen viel Arbeit und Geld verschaffen. Doch ohne die „richtigen“ Unterlagen gibt es keine Abrissgenehmigung. Auch ein Gutachten, das vor einigen Jahren vom Staatshochbauamt erstellt wurde, spricht für den Erhalt und hebt die Bedeutung als Denkmal und für das Ortsbild hervor.
Das Hochbauamt stellte Instandsetzungskosten (Substanzsicherung) von 1,2 Mio. DM Abbruchkosten von 1,5 Mio. DM gegenüber. 10 Jahre später hofft die Frostlobby, mit nur 585.000 DM für den Abbruch zurechtzukommen, Experten schätzen das 8fache.
Die Stadt hätte das Gebäude übrigens mal für etwa 300.000 DM erwerben können, einschließlich Gelände, das ein Vielfaches wert ist. Damals wollte sie nicht, und jetzt versucht sie, den Eigentümer, dem sie die geplante Nutzung untersagte, ins Boot zu kriegen. Nur der ist berechtigt, den Antrag auf Abbruch zu stellen. Er soll auch den Abriss vorfinanzieren, und die Stadt, also der Bürger, und nicht Bartels zahlt dann auf Jahre den Vorschuss zurück, zuzüglich Zinsen, versteht sich.
Abgesehen davon, dass der Abbruch nicht vertretbar, noch nicht genehmigt und kaum finanzierbar ist, gibt es planerische Probleme. Für das Gelände der Südzentrale, das als Gewerbefläche ausgewiesen ist, sei eine Änderung des Flächennutzungsplans für andere Nutzungen nicht möglich, teilte die Stadt den Eigentümern mit. Erst recht nicht für Wohnzwecke, weil viel zu nah am Schüttgutkai nordöstlich der KW-Brücke gelegen. Zu Laut. Komisch, dass die Wohnungen im „Brückenhaus“ direkt am Kai genehmigungsfähig waren. Hängt es gar davon ab, wer den Antrag stellt?
Besonders komisch, dass nach dem Abriss das Hafengewerbe noch dichter an die derzeitige Wohnbevölkerung heranrücken soll. Statt der friedlichen Oase Südzentrale lärmt zuerst eine Riesenbaustelle und dann tagein tagaus der LKW-Verkehr von und zu den Kühlhäusern. Wenn die Kühlanlagen so brummen wie die Belüftung von „Oceanis“, haben die Anwohner auch nachts keine Ruhe mehr.
Jetzt ist es noch still in der Südzentrale. Nur unterm Dach gurrt eine Taube. Ich laufe wieder und wieder umher, die Treppen hoch und runter. Am Aufgang sind die Jugendstilgeländer noch größtenteils erhalten.
Eine Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Neben mir steht Corinna Janssen. Die junge Wilhelmshavenerin studiert in Hildesheim die Fachrichtung “Historisches Kulturgut”. Seit sie das erste Mal hier war, hat sie die Südzentrale zu ihrem Anliegen gemacht. Zur Herzensangelegenheit und zum Diplomthema – wenn ihr die Abrissbirne nicht zuvorkommt. Sie schaut hier regelmäßig nach dem Rechten. Mit Jürgen Engel hat sie die Bürgerinitiative zur Rettung der Südzentrale initiiert.
Ihre Gegner sollten die zierliche Person nicht unterschätzen. Sie ist weich, einerseits, zwar wütend auf vandalierende Eindringlinge, hat aber gleichzeitig Angst, sie könnten sich verletzen beim Umherklettern in den Stahlkonstruktionen. Versteht, dass Menschen schöne Dinge mitgehen lassen, ehe diese beim Abriss verschüttet werden. Sie will Kontakt zu den Graffitisprayern, hat ihnen eine Nachricht an die Wand geklebt, Diskretion garantiert. Will die Kids kennen lernen, die ständig hier sind. Die sind auf ihre Art von dem Gebäude fasziniert, sagt sie, die müsste man in ein Projekt einbinden, um das Ganze wieder herzurichten.
Corinna ist stark, andererseits, ein Energiebündel, sie kennt die Materie und Schlüsselfiguren, hat Verbindungen zu Fachleuten, die mit ihr die Südzentrale retten wollen. Damit ist sie gefährlich für die Abrisslobby. Wir waren zum letzten Mal offiziell hier drin. Die Eigentümer sind weichgeklopft. Das Objekt ist ohne Nutzungserlaubnis für sie totes Kapital. Sie haben den Antrag auf Abriss gestellt. Und Corinna Hausverbot erteilt, eine Woche nach unserem Besuch hier.
Statt dessen, denke ich, sollte sie hier täglich öffentliche Führungen machen dürfen. Damit alle, die hier waren, so andächtig dastehen wie ich, und begreifen, wie intensiv Stadtgeschichte sein kann. Und damit aus den Spenden ein Grundstock für den Erhalt der Südzentrale wächst. Der Rest aus öffentlichen Töpfen, geht doch auch bei Hafenprojekten, wenn man nur will. Wollen die aber nicht, die hier das Sagen haben, nicht für die Südzentrale. Die von Corinna stellvertretend für die meisten BürgerInnen vorgetragenen Probleme werden Adam und Neumann nicht bearbeiten.
Corinna und Jürgen haben, als Sprecher des Forums zum Erhalt der Südzentrale, Widerspruch eingelegt gegen den Abriss-Antrag. Das geht nicht, sagt die Stadt, das sei im Verfahren nicht vorgesehen. Corinna weiß, was noch geht, denn noch immer gibt es für sie Möglichkeiten, den Abbruch zu verhindern. Aber diese Möglichkeiten kosten Geld. Sie arbeitet dran. Muss. Die Zeit läuft ihr weg.
Wir stehen am Stamm der alten Kastanie, versuchen sie gemeinsam zu umfassen. Unsere Fingerspitzen berühren sich kaum. Ein Moment Ewigkeit, der an einem Tag fallen soll. Wenn der Baum erzählen könnte, was er alles schon gesehen hat…
Was machst du, wenn es wirklich so weit kommt? frage ich Corinna. Ich werde hier stehen, sagt sie, bis der letzte Stein abgetragen ist. Sie wird nicht ohne Gefühle zuschauen, wie das schönste und wichtigste Denkmal der Stadtgeschichte in Schutt und Asche gestampft wird. Und vermutlich stehe nicht nur ich daneben und trauere mit.
Imke Zwoch
Die Bürgerinitiative „ Erhaltet die Südzentrale!“ braucht dringend Unterstützung. Helfen Sie mit, dieses einmalige Geschichts- und Kulturdenkmal zu erhalten. Legen Sie beim Bauordnungsamt Wilhelmshaven Widerspruch ein gegen den Abriss, auch wenn dies formal nicht vorgesehen ist. Gerade Anwohner der Südzentrale haben dieses Recht auf Widerspruch, sie müssen nicht hinnehmen, das hier ein unwiederbringliches Stück Wilhelmshavener Geschichte verloren geht und dann dafür bald Staub und Lärm der Hafenanlagen ungehindert in ihre Wohnungen gelangen.
Nehmen Sie Kontakt auf zu:
Corinna Janßen, Tel. 0160/97365903, corinnajanssen@web.de, oder Jürgen Engel, Tel. 04421/772588 info@mce-engel.de.
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