Psychiatrie
Sep 012003
 

Das Elend der Psychiatrie

Die ambulante psychiatrische Versorgung in Wilhelmshaven wird knapper

(noa) Direkt vor der Sommerpause sorgte Dr. E. P. Müller noch für einen kleinen Eklat. Er verabschiedete sich in seinen Ruhestand mit einem Inserat in der „Wilhelmshavener Zeitung“, in dem er die Krankenkassen und die Politik der Bundesregierung heftig angriff. Sie seien dafür verantwortlich, dass niemand seine Praxis für Neurologie und Psychiatrie in der Bismarckstraße weiterführen will.

An die drei Jahre lang hatte Dr. Müller versucht, für seine Praxis einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden. Am Ende hat er sogar im Ärzteblatt seine Praxis umsonst angeboten – umsonst im doppelten Sinne: Umsonst = geschenkt wollte er sie demjenigen überlassen, der seine Arbeit weiterführen würde, umsonst = vergebens war der Versuch, einen Facharzt/eine Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie nach Wilhelmshaven zu locken. In seinem Abschiedsinserat nun machte Dr. Müller die Gesundheitspolitik der Bundesregierung dafür verantwortlich, die den Fachärzten das Leben und Arbeiten zurzeit noch schwerer macht, als es schon ist.
Im Punkt Gesundheitsreform gibt es bekanntlich eine Große Koalition. Schmidt/Seehofer wollen die FachärztInnen an die Kliniken binden. Den niedergelassenen FachärztInnen soll das Leben so sauer wie möglich gemacht werden. Alle fünf Jahre sollen sie sich fortbilden und prüfen lassen; wenn sie es nicht tun, wird ihnen die Zulassung entzogen. Viele PatientInnen werden zu diesem Punkt sagen, dass das ganz in Ordnung ist. Sie übersehen dabei, dass verantwortungsbewusste Ärzte sich durchaus auch ohne diesen Zertifizierungszwang fortbilden, aber halt am Wochenende – für einen Präsenzkursus an einem Institut müssten sie die Praxis für eine Weile schließen und würden nichts verdienen können, während ihre Kosten weiterlaufen.
PatientInnen, die ohne Umweg über den Hausarzt eine fachärztliche Praxis aufsuchen, sollen „Eintritt zahlen“; die entsprechenden Ärzte haben dann den Verwaltungsaufwand.
Was FachärztInnen verdienen, ist – auch das entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil – nicht alle Welt. Wir erfuhren in einer psychiatrischen Praxis in Wilhelmshaven, dass 1250 Punkte à 2,5 Cent pro Patient, also 31,25 Euro im Quartal abgerechnet werden können, egal wie häufig der Arzt den Patienten in diesem Zeitraum sieht, spricht und behandelt. Lt. Nds. Ärzteblatt nahmen Neurologen/Psychiater im 1. Quartal 2003 29442 Euro, im 2. Quartal 27785 Euro ein. Von unter 10000 Euro im Monat sich selber und das Personal ernähren und die Praxiskosten bestreiten müssen, lässt nicht viel Spielraum. Da ist es vielleicht doch interessanter, sich eine Festanstellung in einem Krankenhaus zu suchen und ein Festgehalt und vielleicht einigermaßen regelmäßige Arbeitszeiten zu haben (und die Möglichkeit, sich ohne Verdienstausfall fortzubilden). Die psychiatrische Klinik am RNK betreibt seit etwa einem Jahr eine Institutsambulanz, und nach den Plänen der Bundesregierung sollen auch für andere Fachrichtungen ab dem 1. Januar 2004 Institutsambulanzen eingerichtet werden.
Dr. Müller hat nun also aufgehört, und seine Praxis wird nicht weitergeführt. Die übrigen FachärztInnen teilen sich notgedrungen seine Patienten und Patientinnen auf. Wenn in nächster Zeit noch jemand aufhören sollte (was in unmittelbarer Zukunft nicht ansteht, aber angesichts der Altersstruktur der hier niedergelassenen Ärzte für Neurologie und Psychiatrie in den nächsten Jahren zu erwarten ist), wird die ambulante psychiatrische Versorgung noch knapper. Schon jetzt müssen Patienten, die einen Termin wollen, Wartezeiten von mehreren Wochen in Kauf nehmen.
Für PatientInnen, die dringend einen Facharzt brauchen, gibt es nur die Möglichkeit, einfach mit viel Wartezeit in einem Wartezimmer Platz zu nehmen und „renitent zu warten“ (Rolf Eskuchen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Wilhelmshaven und Facharzt für Chirurgie). Diese Situation verschlechtert die Stimmung sowohl bei Patienten als auch bei Ärzten, aber so ist das dann halt.
Dr. E. P. Müller hat schon in anderen Fragen kein Blatt vor den Mund genommen und (damals zum Thema Arzneimittelbudget) einen Leserbrief geschrieben, mit dem er sich bei den Krankenkassen nicht gerade beliebt gemacht hat. Hätte er für sein kritisches Abschiedsinserat einen früheren Termin gewählt, dann hätte ihn die Kassenärztliche Vereinigung rügen müssen – allerdings sehen die in ihr zusammengeschlossenen Ärzte die Situation wahrscheinlich mehrheitlich genau wie er.

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