Ein schwerer Schritt
Bernd Kühler gab sein SPD-Parteibuch und sein Vorstandsamt zurück
(ef/noa) 31 Jahre lang – fast sein ganzes Leben als Arbeiter – war Bernd Kühler in der SPD. Jetzt kann er die Bundes- und die Kommunalpolitik nicht mehr verantworten und mit seinem sozialdemokratischen Gewissen vereinbaren. Am 23. April hat er seinen Rücktritt als Vorsitzender des Ortsvereins Neuengroden und seinen Austritt aus der Partei erklärt.
Der letzte Anlass war eigentlich kein Grund für einen solchen Schritt: Er hatte auf dem Unterbezirksparteitag die Rede von Sigmar Gabriel gehört, der sagte, die SPD müsse sich wieder den Benachteiligten in der Gesellschaft, den Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern, den Arbeitern und Arbeiterinnen zuwenden. Die seien der Partei davongelaufen. Dem stimmte Bernd Kühler zu. Aber – diese Erkenntnis kam für ihn zu spät.
Das Präsidium hatte vergeblich versucht, die Versammlung zu Gabriels Einzug zu standing ovations zu bewegen; erst nach seiner Rede gelang es ihnen, die Versammelten von den Stühlen zu winken und zum Klatschen zu veranlassen, und da dachte Bernd Kühler, eine so verspätete Einsicht nach einer verlorenen Landtagswahl sei eigentlich kein Anlass für Beifall. Er gab sich noch eine Woche Zeit zum Nachdenken, und dann stand sein Entschluss fest. Mit seiner schriftlichen Erklärung wartete er noch das Ende der Osterferien ab, damit der Unterbezirksvorsitzende Norbert Schmidt es nicht als Letzter erfahren sollte.
Waren die Gabriel-Rede und die alberne Geste des Präsidiums danach eigentlich nicht der Grund für Kühlers Schritt, so waren sie aber die letzten zwei Tropfen, die für ihn das Fass zum Überlaufen brachten.
Als stellvertretender Vorsitzender des Personalsrats der Stadt motiviert er die Kolleginnen Putzfrauen, sich gegen die Privatisierung des städtischen Reinigungsdienstes zu wehren – als SPD-Mitglied und –Funktionär wäre er mit verantwortlich für die Privatisierungspläne. Das passt nicht zusammen. Ein „drittletzter Tropfen“ war die Ratssitzung, bei der die städtischen Putzfrauen und Auszubildenden vor dem Ratssaal demonstrierten. Da schlichen sich die meisten sozialdemokratischen Ratsherren durch einen Nebeneingang in die Sitzung, statt sich den Folgen ihrer Beschlüsse zu stellen (eine Ausnahme war Norbert Schmidt, der durch die demonstrierende Gruppe ging und das Gespräch suchte). Und Eberhard Menzel sagte, die, die jetzt demonstrierten, seien wegen ihrer Lohnforderungen selber verantwortlich für das, wogegen sie nun protestierten.
Bernd Kühler ist 1972 als junger Arbeiter in der SPD beigetreten, weil er dachte, das sei „die Partei, die diejenigen unterstützt, die benachteiligt sind.“ Anfangs war er nur „Karteileiche“, aber dann begann er, Parteiversammlungen zu besuchen. Der „Bootshaus-Kreis“, dem er angehörte, machte eine linke Politik, und da hatte er noch das Gefühl, etwas bewirken zu können. Die heutigen Spitzen der Wilhelmshavener Kommunalpolitik waren damals auch dabei, aber die haben, so Kühler, „ihre ideologischen Wurzeln verloren“.
Damals in den 70ern wurde Kühler Ersatzdelegierter, dann Delegierter („man kennt ja die Ochsentour“). Er war Beisitzer im Ortsvereinsvorstand Mitte, dann stellvertretender Ortsvereinsvorsitzender; er stieg auf zum Beisitzer im Unterbezirksvorstand und wurde schließlich stellvertretender Unterbezirksvorsitzender. In dieser Zeit kandidierte er auch einmal (auf einem aussichtslosen Platz, nur zum Füllen der Liste) für den Rat der Stadt.
Sein Umzug nach Neuengroden ging einher mit einer Pause von den Ämtern und Funktionen, und eine Zeitlang beschränkte sich seine politische Aktivität auf den Besuch von Versammlungen. Dann wurde er zunächst stellvertretender Vorsitzender und vor einem Jahr Vorsitzender des Ortsvereins Neuengroden.
„Damals nach dem Jugoslawienkrieg, als ein Genosse aus der SPD austrat, dachte ich, ja, das stimmt, man müsste eigentlich austreten. Doch so etwas verdrängt man dann ja nach einiger Zeit wieder. Jetzt ist aber das Maß voll“, so Kühler zum Gegenwind. Es war eine schwere Entscheidung, und sein Austritt tut ihm auch weh. Seine Frau, auch sie (noch) SPD-Mitglied, versuchte, ihn von diesem Schritt abzuhalten. Sie wollte, so sagt uns Bernd Kühler, noch den Parteitag zur Agenda 2010 am 1. Juni abwarten. Mag sein, dass die Wilhelmshavener SPD beim Erscheinen dieser Gegenwind-Ausgabe schon ein Mitglied weniger hat.
Unterdessen hat der Ortsverein Neuengroden wieder einen neuen Vorsitzenden. Hajo Stolze, ein Genosse, der dem linken Lager der Partei zuzurechnen ist, erhielt von der Versammlung zehn Stimmen – mehr Mitglieder waren der Einladung nicht gefolgt. Ein Beisitzer (als Nachfolger für Stolze in diesem Amt) konnte nicht gewählt werden, da nahezu alle Versammelten schon einen Vorstandsposten haben und der einzige Parteisoldat ohne Funktion aus Altersgründen abwinkte.
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