Eine Woche voller Information und Diskussion um die Schule
(noa) Das war eine strapaziöse Woche für den Stadtelternrat, für viele engagierte Eltern und für die schulpolitisch Interessierten. Gleich zwei wichtige Veranstaltungen mit nur einem freien Abend dazwischen – und viele Eltern waren an beiden Abenden da. Die beiden Themen waren eigentlich recht unterschiedlich. Am 19.Juni ging es um die „EiSchu“, die Eigenverantwortliche Schule also, und am 21. Juni wurde das Grundschulkonzept der Stadt vorgestellt und diskutiert.
Bei dem ersten Thema handelt es sich um eine von der Landespolitik vorgegebene Veränderung der Schulverfassung, das zweite ist eine Wilhelmshavener Angelegenheit und vordergründig eine Sache von Stein und Beton, Schulwegen und Geld. Doch einige Aspekte haben beide Themen gemeinsam.
Hebt die „Eigenverantwortliche Schule“ die Qualität der Bildung?
Vorweg: Man konnte auf der Veranstaltung am 19.06. in der Aula des GAM feststellen, dass eine pädagogische Ausbildung die Vortragsqualität enorm steigert. Sowohl Regierungsschuldirektor Reinhard Witte, der das Konzept „Eigenverantwortliche Schule“ vorstellte (und offensichtlich auch vertritt), als auch GAM-Leiter Rolf Schudnagis, der weniger begeistert davon ist, hielten Vorträge, denen man gut zuhören und folgen konnte.
Die „EiSchu“, diese jüngste „Reform“ des niedersächsischen Schulsystems (nach Zentralabitur, zentralen Überprüfungs- und Abschlussarbeiten und der Schulinspektion), ist die neueste Antwort von Kultusminister Busemann auf PISA. Mit ihr wird ab dem kommenden Schuljahr die Schulverfassung gründlich geändert. Viele Erlasse werden abgeschafft oder sind nicht mehr zwingend, und die Gesamtkonferenz verliert fast alle ihre Zuständigkeiten und bekommt den Schulvorstand zur Ergänzung, der weitreichende Aufgaben (und damit Verantwortung) hat: Er genehmigt den Finanzplan, bestimmt die Stundentafel, organisiert Schulpartnerschaften, bestimmt über die Namensgebung für die Schule, beantragt Schulversuche, kümmert sich um Werbung und Sponsoring, beschließt Grundsätze der Selbstüberprüfung und macht Vorschläge für das Schulprogramm und die Schulordnung. An dieser Aufzählung, in der Punkte vorkommen, die es an niedersächsischen Schulen bislang nicht gab, wird Weiteres deutlich: Die Schulen müssen sich künftig um vieles kümmern, was nicht direkt Unterricht und Bildung ist, so z.B. um die Beschaffung von Geld.
Dem Schulvorstand werden zur Hälfte Lehrkräfte (für je 2 Jahre) und je zu einem Viertel Eltern (ebenfalls für je zwei Jahre) und SchülerInnen (für je 1 Jahr) angehören (an Grundschulen zur Hälfte Eltern und dafür keine Kinder). Die Größe des Schulvorstandes hängt von der Größe der Schule ab, es sind mindestens 8 und (an Schulen mit mehr als 50 vollen Lehrerstellen) höchstens 16 Mitglieder. Der Schulleiter hat in Patt-Situationen bei Abstimmungen die Entscheidungsgewalt. Überhaupt verändert sich seine Stellung erheblich: Er wird Vorgesetzter des Schulpersonals und trägt die Verantwortung für die Qualität, für den Haushalt und für den Personaleinsatz und macht Unterrichtsbesuche.
Der Schulvorstand kann beratende Mitglieder dazuholen – immerhin sollen Menschen ohne entsprechende Ausbildung Entscheidungen fällen, die weitreichende Folgen haben können. Für die Zahl der Sitzungen gibt es keine Vorgabe, doch wenn all die Dinge sinnvoll geregelt werden sollen, muss man schon mit einem Termin alle ein bis zwei Monate oder sogar häufiger rechnen.
Aus dem Publikum kamen kritische Fragen und Anmerkungen: „Wir zahlen unsere Steuern nicht, um die Arbeit der Pädagogen zu machen“ etwa, oder: „Sind die Schulleiter qualifiziert für Qualitätsmanagement?“ Und dass Busemann sich nicht ganz sicher ist, ob alles so klappt, wie er sich das ausgedacht hat, erwies sich nach der Frage eines Zuhörers, warum die Gesamtkonferenz nicht gleich ganz abgeschafft werde. Witte antwortete darauf, sie werde „zur Vorsicht beibehalten, solange man nicht weiß, wie es wird“. Immerhin kann ein Schulvorstand nach den Regelungen des Schulgesetzes auch gebildet werden und arbeiten, wenn gar keine Eltern und Schüler mitmachen wollen.
Für Wilhelmshavener Eltern, die sich in den Schulvorstand ihrer Schule wählen lassen wollen, gibt es eine Ausbildung, die von eigens dafür ausgebildeten Müttern durchgeführt wird und Geld kostet – was zu einer gewissen Unruhe im Publikum führte und vom Stadtelternratsvorsitzenden Bernd Rahlf mit der Bemerkung ergänzt wurde, dass der StER und hoffentlich der Schulträger (also die Stadt) etwas dazu beitragen wollen.
Rolf Schudnagis gab zu Beginn seines Beitrages gleich zu, dass er „kein Fan“ dieser Änderung der Schulstruktur ist. „Die EiSchu kam plötzlich über uns, sie hat zu hektischer Fortbildungs- und Vortragsaktivität geführt und überschwemmt uns täglich mit Katalogen der Verlage, die dazu etwas veröffentlicht haben.“ Ironisch vermerkte „Rolle“, wie seine Schüler ihn liebevoll nennen, dass er jetzt – 3 Jahre vor seiner Pensionierung – gelernt hat, dass man Mitarbeitergespräche nicht einfach führen kann, sondern lernen muss. Er soll jetzt lernen, seine KollegInnen dazu zu motivieren, guten Unterricht zu machen – als ob sie das bisher nicht getan hätten. Ein Gutes sieht er an der „Reform“ schon: Er freut sich auf ein kleineres Gremium als die Gesamtkonferenz, die doch recht schwerfällig war, doch er fragt sich, ob ein neues Gremium die zunehmende Lethargie der Gesellschaft beenden kann. Die Freiheit, die Stundentafel nach den jeweiligen Bedürfnissen der Klassen festzulegen, findet er hervorragend, und er kann sich vorstellen, dass eine 5. Klasse z.B. mal eine Zeitlang mehr Mathematikunterricht bekommen könnte – aber: Es herrscht im Land ein eklatanter Mangel an Mathematiklehrern, und um die Stundentafel erfüllen zu können, werden an den Gymnasien die MathematiklehrerInnen nur in Mathematik und nicht in ihrem zweiten Fach eingesetzt. Und da dieses bei Mathematikern häufig Physik ist, kann viel Physikunterricht nicht erteilt werden.
Und schließlich sprach Schudnagis etwas aus, was kaum noch jemand bei solchen Veranstaltungen sagt, weil man sich schon daran gewöhnt hat (oder resigniert hat): „Alles geht nur mit einer Reduzierung der Klassenfrequenzen“ (unter Busemann an den Gymnasium auf 32 erhöht) „und einer guten Versorgung mit Lehrern. Die Deregulation ist gut, aber die Fördermöglichkeiten bleiben in den Anfängen stecken, und die Probleme bleiben bestehen.“
Noch besser besucht als die Veranstaltung zur „Eischu“ war die zum Grundschulkonzept am 21. Juni in der Aula des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums. Stadtrat Jens Graul stellte den städtischen Vorschlag vor und nannte die Gründe für die Notwendigkeit der Schließung fast der Hälfte der Wilhelmshavener Grundschulen. Die zahlreich anwesenden Eltern von Grundschulkindern beweisen Disziplin und hörten geduldig zu, obwohl sie Sachen zu hören bekamen, von denen sie sicher waren, dass sie nicht stimmten.
Am 3. Mai brannte die Luft, und die Drähte summten. In der Zeitung stand, dass es ein Konzept über die künftigen Grundschulstandorte gibt und welche Schulen geschlossen werden sollen. Weder die Schulleitungen noch die Elternräte waren vorher informiert worden; auch der Schulausschuss wurde von der Nachricht überrascht.
„Zukunft für Grundschulen – sichere und attraktive Standorte in den Stadtteilen“, so heißt der Schulentwicklungsplan Grundschulen 2007 – 2013 der „Arbeitsgruppe Schulentwicklung des Schulausschusses/Schulverwaltung“. Sein Ziel sind „leistungsfähige, d.h. mindestens zweizügige, gut ausgestattete und langfristig struktursichere Standorte“, wobei die Schulwege maximal 2 km betragen sollen und die Hafenschule (Integrationsschule) und Rüstersiel (Ganztagsschule) gesetzt sind. Der Vorschlag der Arbeitsgruppe: Von den 19 Grundschulstandorten werden 12 bleiben; ein Grundschulzentrum an der Rheinstraße (im Gebäude der ehemaligen Helene-Lange-Schule) wird eingerichtet; zum Schuljahr 2008/09 werden die Grundschulen Allerstraße, Oldeooge und Kathrinenfeld aufgegeben; 2009/10 werden Ansgari- und Elisabethschule vereinigt und als neue katholische Grundschule ins Gebäude der ehemaligen Orientierungsstufe Altengroden verlegt und die Schulen Neuende und Neuengroden aufgelöst; 2010/11 schließen die Grundschulen Albrechtstraße und Sengwarden ihre Pforten. Die neue Grundschule Rheinstraße soll dreizügig betrieben werden und soll Kinder aufnehmen aus der Allerstraßen-, der Oldeooge-, der Hafenschule, aus Kathrinenfeld und der Kirchreihe und aus der Schule Siebethsburg. Die Schulen, die auf diesem Wege Kinder verlieren, aber nicht aufgegeben werden sollen, bekommen ihren Ersatz an SchülerInnen aus den Schulen, die geschlossen werden.
Uneingeschränkt erfreut über diesen Plan sind lediglich die Eltern der östlichen Südstadt, die zwar die Schule Allerstraße verlieren, aber dafür eine neue Schule im Stadtteil bekommen würden. In den letzten Jahren befürchteten sie, dass die fortgesetzte Diskussion über Erhalt oder Schließung der Allerschule zu einem Wegzug junger Familien aus der Südstadt und damit zu einem Ausbluten des ganzen Stadtteils führen wird.
Die Eltern der KathrinenfeldschülerInnen, die nicht in die Rheinstraße umziehen sollen, sehen entsetzt dem Umzug ihrer Kinder in die Schule Mühlenweg entgegen, die total marode ist, wo Schimmel an den Wänden schneller nachwächst, als er beseitigt werden kann, wo die Räume unfreundlich und feucht sind.
Die Eltern der Oldeoogeschule haben viel gearbeitet und eine Mappe vorgelegt, in der sie nachweisen, dass die Angaben, die die Schließung ihrer Schule nahe legen, unzutreffend sind, und in der sie zeigen, dass die Schule gut saniert, modern eingerichtet, freundlich gestaltet und verkehrssicher gelegen ist und Raum für Erweiterung bietet.
Vor allem aber zeigen sie, dass die Arbeitsgruppe sich verrechnet hat: In deren Vorschlag wird nämlich gesagt, dass die Gelder, die nun nicht mehr in die Sanierung von Gebäuden gesteckt werden müssen, die teure Sanierung der ehemaligen Helene-Lange-Schule abdecken, das Modell also etwa kostenneutral sei. Aber: Dieses Gebäude gehört nicht mehr der Stadt, und egal, ob sie es zurückkaufen oder mieten muss – dieses Geld taucht im Grundschulkonzept nicht auf. An der Oldeoogeschule dagegen ist in den letzten Jahren viel Geld investiert worden, sie ist sehr schön geworden, und ihr Ausbau zur künftigen Südstadtschule wäre erheblich billiger.
Nicht nur die Oldeoogeeltern, sondern auch die aus anderen Schulen, die in der Rheinstraße aufgeben sollen, haben heftige Bedenken wegen der Verkehrslage des HLS-Gebäudes zwischen Rhein-, Virchow- und Ebertstraße. Die Rheinstraße kann zur Spielstraße erklärt und damit beruhigt werden, doch durch die Virchowstraße donnern ständig auch schwere LKW. Und der Schulhof, der durch den Abriss eines nicht benötigten Nebengebäudes vergrößert werden kann, liegt nördlich der Schule und damit ständig im Schatten.
Nach der Vorstellung des Konzepts durch Jens Graul und den Stellungnahmen der schulpolitischen Sprecher der Ratsfraktionen (Jamaika befürwortet das Konzept, die SPD weiß noch nicht, die BASU und die LAW sind dagegen) machten die Eltern im Zuhörerraum dem Stadtrat und den Politikern „Feuer unterm Hintern“. Jetzt und hier erzähle Helmut Möhle, die Mühlenwegschule sei mit 469.000 € zu sanieren – vor drei Wochen habe er noch gesagt, in dieser Kaschemme wolle er keine Kinder wissen! Und was ausgerechnet in der Südstadt, die doch als sozialer Brennpunkt gelte, eine große Schule Gutes ausrichten solle, solle Michael von Teichman mal erklären. Der ist den Eltern wahrscheinlich nach seiner Stellungnahme gegen ermäßigte Schwimmbad-Eintrittspreise für Arme von neulich sowieso verdächtig. Vielleicht vermuten sie, er wolle alle sozial Schwachen zusammenpferchen und ihrem Schicksal überlassen, damit sie aus seinem Blickfeld verschwinden. Er sorgte dann auch noch mit einer Deutsch-Nachhilfestunde für Erheiterung, indem er auf die Frage nach den Kosten für Kauf oder Miete des Helene-Lange-Gebäudes erklärte: „Es gibt ja die ppp-Modelle – public private partnership heißt das auf gut Deutsch“, nannte die Kosten aber trotzdem nicht.
Die interessantesten Informationen gibt es oft erst nach der Informationsveranstaltung. So auch diesmal.
Der Vorstand des Stadtelternrates wird am Dienstag seinen Mitgliedern empfehlen, dem Konzept zuzustimmen, und wenn die wider Erwarten nicht mitmachen, will der StER-Vorsitzende zurücktreten. (Wenn diese GEGENWIND-Ausgabe erscheint, war diese Sitzung schon, so dass wir hier nichts vorzeitig ausplaudern.)
Und Werner Biehl (Bündnis 90/Die Grünen) erzählte auch erst nach der Veranstaltung, dass Deutschlands beste Grundschule eine mit Kombiklassen ist, aus pädagogischen Gründen also keinerlei Notwendigkeit besteht, unbedingt auf Zweizügigigkeit von Grundschulen zu bestehen. Und er erzählte, dass in Finnland zahlreiche Grundschulen – und dort heißt Grundschule: 1. bis 9. Klasse! – nur 50 SchülerInnen haben und trotzdem über ausreichendes und gut ausgebildetes Lehrpersonal verfügen. Aber dort gibt man auch Geld für die Bildung aus.
Und hier schließt sich der Kreis, und der Zusammenhang der beiden dicken schulpolitischen Brocken der letzten Woche wird deutlich: In Deutschland wird viel geplant, geredet, geändert, „reformiert“, kontrolliert, saniert…, aber es wird zu wenig Geld in die Bildung gesteckt.
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