Rettet die Küste!
Mrz 012001
 

Trübungen

Ende März soll die Entscheidung bekannt gegeben werden, ob Wilhelmshaven Standort für einen Container-Tiefwasserhafen werden soll. Die Wachstumsfanatiker, die der Republik schon eine 50%-ige Stromüberproduktion bescherten, werden auch nicht davor zurückschrecken, einen ebenso hohen Containerhafen-Überschuss in die Tat umzusetzen. Schließlich ging und geht es immer um hehre Ziele: Die Lichter dürfen nicht ausgehen und Deutschland muss wieder die Nummer 1 werden. Und immer wieder folgen die Leute dem lieblichen Spiel der Rattenfänger, wie der folgende Rück- und Ausblick beweist.

Nach zwanzig Jahren Atempause geht es jetzt den Küstengewässern wieder an den Kragen

(jm) In den sechziger und siebziger Jahren gab es einen küstenweiten Widerstand gegen die Gigantomanie größenwahnsinniger Phantasten, die dabei waren, die Küste mit Großprojekten dicht zu betonieren. So plante man z.B., auf der Insel Neuwerk einen Tiefwasserhafen zu bauen, ein neues Hafengebiet im Dollart aufzuspülen, auf dem Hohe-Weg-Watt einen Großflugplatz anzulegen…

Mehrere Projekte – darunter die 160 Mio. DM teure Aufspülung des Voslapper Grodens – konnten verwirklicht werden. Doch bald stellte sich heraus, dass die öffentliche Hand ein Überangebot an Industriehafenflächen geschaffen hatte, die potenziellen Investoren nur mit großzügigen Beigaben feilgeboten werden konnten. So auch in Wilhelmshaven:

  • 1971: Eine Aluminiumfabrik (Alusuisse) sollte gebaut werden, in der 3.000 Menschen Beschäftigung finden sollten. Da ließ sich das Land Niedersachsen nicht lumpen und baute – neben weiteren Zuschüssen – für 100 Mio. DM eine Umschlagbrücke in die Jade. Am Ende entstand eine Chlor-/Natronlaugefabrik mit 120 Beschäftigten, die jahrelange Proteste von benachbarten Rüstersielern gegen wiederholte Chlorgasausbrüche auslöste.
  • Ende der 70er Jahre wurden die Wilhelmshavener mit angekündigten 3.000 Arbeitsplätzen auf ein PVC-Werk eingestimmt. Im Ansiedlungsvertrag mit der ICI wurde dann auf Wunsch der Niedersächsischen Landesregierung die Absichtserklärung abgegeben, innerhalb von 10 Jahren insgesamt 4 Milliarden DM zu investieren und 2.000 neue Dauerarbeitsplätze zu schaffen. Die Dörfchen Bohnenburg und Inhausersiel standen dem im Wege und wurden plattgemacht. 1981 nahm das Werk mit 380 Beschäftigten den Betrieb auf. Doch trotz schrittweise verdoppelter Produktion ist die Zahl der Arbeitsplätze seither nicht angestiegen, sondern geschrumpft. Zwischen 350 und 650 Mio. DM soll den Steuerzahler diese damals als Europäisches Ereignis gefeierte Ansiedlung gekostet haben.

All diese unkoordinierten infrastrukturellen Vorleistungen und Investitionsbeihilfen für die Küstenindustrialisierung rissen tiefe Löcher in die öffentlichen Haushalte. Die hohe Verschuldung und der zunehmende Widerstand der Bevölkerung (in Wilhelmshaven hatte eine Protestbewegung namens „Bürgerschaft“ in den siebziger Jahren bei den Kommunalwahlen 12,8% der Stimmen erreicht) brachte die Verbauung der Küste Anfang der achtziger Jahre zum Erliegen.
Doch die Verschnaufpause ist seit der Zerstörung des Dorfes Altenwerder in Hamburg, den Emsvertiefungen und dem Bau des Emssperrwerkes vorüber. Schon werden Stimmen laut, die ein Elbesperrwerk bei Cuxhaven und eine Brücke über den Fehmarnsund haben wollen. Und in Wilhelmshaven phantasiert man gar von einer Tunnelverbindung mit Bremerhaven…
Just in diesem Augenblick fängt man damit an, das durch ein halbes Dutzend nationaler Gesetze, europäischer Schutzbestimmungen und UNO-Richtlinien geschützte Süßwasserwatt Mühlenberger Loch in Hamburg aufzuspülen. Es gibt Überlegungen, den dafür erforderlichen grobkörnigen Sand aus dem Gewässerbett der Jade zu kratzen…
Und in diesem Frühjahr soll auch die politische Entscheidung fallen, ob ein Container-Terminal in die Jade hinein gebaut wird oder nicht. Zu diesem Zweck fordert die Wilhelmshavener Hafenwirtschaftsvereinigung (WHV), zwischen der Umschlagbrücke der Raffinerie und der Niedersachsenbrücke einen Balkonvorbau vor den Voslapper Groden in die Jade zu bauen. Verluste an Lebensqualität und Schädigungen des Naturhaushaltes sind programmiert:

  • Der Geniusstrand würde wegfallen, die Anwohner in Voslapp hätten statt freier Sicht aufs Meer, Containerberge und Riesenkräne vor der Nase. Verkehrs- und Betriebslärm rund um die Uhr wandelten die sommerliche Ruhe von Wohlbefinden in Unbehagen. Richtig dunkel dürfte es bei den Anwohnern übrigens nachts nicht mehr werden, denn die gleißend hell ausgeleuchteten Anlagen würden – besonders bei niedriger Wolkendecke – eine weite Umgebung in einen Widerschein – heller als das hellste Mondlicht – tauchen.
  • Der für hafenindustrielle Anlagen im Jahre 1971 aufgespülte 2.000 ha große Voslapper Groden ist mangels gewerblicher Nachfrage weitgehend naturbelassen geblieben. Oben auf den Millionen von Kubikmetern Baggergut, unter denen das Voslapper Watt begraben wurde, hat sich die Natur erneut entfaltet und wiederum ein äußerst wertvolles Biotop geschaffen (siehe Gegenwind 165: „Alle Vögel sind schon da…“). 370 Hektar, das ist der gesamte südliche Teil des Voslapper Grodens, sollen unter Bahngleisen und Asphalt zu verschwinden…

Doch das Kernstück des Containerhafens soll dort gebaut werden, wo das Wasser jetzt noch bis zu sieben Meter tief geht. 460 Hektar Gewässerfläche gingen durch Aufspülung des Terminals verloren. Als Verlust wäre zudem noch eine Gewässerfläche von ungefähr 500 Hektar für die Terminalzufahrt und die Schiffsliegeplätze abzubuchen. Dort müsste nach der erforderlichen Vertiefung von etwa sieben auf sechzehn Meter wohl pausenlos gebaggert werden, um den Sand-/Schlickeintreibungen entgegenzuwirken.
Klärungsbedürftig wären zudem die großräumigen Auswirkungen des seeseitig vor den Voslapper Groden gebauten Terminals auf die Tideströmungen. Computersimulationen der Bundesanstalt für Wasserbau haben ergeben, dass der auf die Flanken des Bauwerks auftreffende Flut- und Ebbstrom reflektiert wird und sich Strömungsänderungen in Richtung und Stärke bis ins Hohe-Weg-Watt hinein bemerkbar machen. Nicht untersucht wurde bisher, wie weit die zweifellos damit verbundenen Sedimentumlagerungen in das Hohe-Weg-Watt hineinreichen würden bzw. ob sie sich auch im Jadebusen bemerkbar machen.
Sedimentumlagerungen finden in unseren Tidegewässern zwar ständig statt und das Biotop hat sich der dadurch bewirkten Wassertrübung und den Sedimentumlagerungen angepasst. Wasserbaumaßnahmen können aber das hydromorphologische Gleichgewicht des Tideregimes aus seiner Balance bringen. Zehn Jahre und länger kann es dauern, bis sich ein den künstlich veränderten Verhältnissen angepasstes neues labiles Gleichgewicht eingependelt hat.
Gutachter rechnen in spätestens zehn Jahren mit Schiffen, die 12.000 Container tragen können, 400 m lang und 54 m breit sind und 15,30 m Tiefgang haben.
Für die der Bemessung der Jadefahrrinne zu Grunde gelegten Schiffsabmessungen von 350 m Länge und 52 m Breite für 250.000 Tonnen tragende Supertanker wäre ein solcher Leviathan jedoch viel zu groß. Da müsste erst mal geklärt werden, ob eine Fahrgenehmigung auf der Jade für solche Schiffe noch mit den internationalen Sicherheitsnormen zu vereinbaren wäre.
Zumindest die Umfahrung der Strombauinsel Minsener Oog dürfte bei 400 Metern Schiffslänge nicht mehr hinnehmbare Risiken in sich bergen.
Doch das alles beeindruckt Befürworter eines JadeWeserPort trotz der gemachten Erfahrungen mit Großprojekten nicht. Dabei spricht folgende kurze Bilanzierung des mit einem Milliardenaufwand an Steuergeldern als Vorrangstandort für großindustrielle Anlagen am seeschifftiefen Fahrwasser gebauten Hafens Bände:

  • Erreichte die Beschäftigtenzahl dort Anfang der achtziger Jahre gerade mal 1.300 Arbeitsplätze, so dürften es jetzt – trotz fulminanter Produktions- und Umschlagsteigerungen – kaum noch mehr als 1.000 sein.
  • Die Industrialisierung der Jadeküste hat weder das Stadtsäckel sanieren noch das Blatt auf dem hiesigen Arbeitsmarkt wenden können.
  • Mehr als 10.000 Wilhelmshavener haben ihrer Stadt bisher die Hacken gezeigt. Trotz dieses Aderlasses bleibt die Stadt mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit geschlagen.
Jetzt soll alles besser werden:

JadeWeserPort als Initialzündung für eine Flut von Investitionen im Wirtschaftsraum an der Jade – Erhebliche Chancen für ein Jahrtausendprojekt lockt es mit superlativem Sirenengesang. Richtig daran ist, dass das Projekt erneut Milliarden verschlingen wird. Führt dies aber zu einer angemessenen Anzahl von Arbeitsplätzen? Danach sieht es bei dem neuen Megaprojekt leider auch diesmal nicht aus:
Der Gedanke, dass für den Volllastbetrieb eines JadeWeserPorts im Jahre 2015 nur noch einige Dutzend Leute – ein Bereitschaftsdienst für Betriebsstörungen, eine Wareneingangs- und Ausgangskontrolle sowie ein Team von EDV-Betriebslogistikern mit IT-Anschluss an die auswärtige Zentrale – benötigt werden, ist keineswegs im Reich der Utopie anzusiedeln.
Und die so genannte indirekte hafenabhängige Beschäftigung (Packstationen, Containerreparatur, Spedition, Handel, Banken usw.) ist nicht an den Umschlagplatz gebunden. Insoweit ist es auch nicht verwunderlich, dass Bremerhaven – trotz traumhafter Umschlagzuwächse mit Überrundung des Stammhafens Bremen – eine ähnlich hohe Arbeitslosenrate aufweist wie der zweitgrößte deutsche Umschlagplatz Wilhelmshaven.
Der offensichtliche Standortnachteil Bremerhavens würde auch Wilhelmshaven treffen, weil man ausschließlich an reinen Containerschleusen interessiert ist. Die dafür erforderliche wertschöpfende Hafenstruktur ist leider schon in Bremen (und Hamburg) vorhanden. Von dort aus wird der Containertransport im Weltmaßstab gesteuert. Ein JadeWeserPort wäre darin nur ein kleiner austauschbarer Baustein.

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