Vollziehbar ausreisepflichtig
Für Empörung sorgte eine Abschiebung der besonderen Art in Wilhelmshaven
(hk) Während sich die bundesdeutsche Politik Gedanken macht, die Einwanderung nach Deutschland zu erleichtern, um dem sich ankündigenden Aderlass der Bevölkerungszahl entgegenwirken zu können, und Green-Cards ausgibt, um ausländische Spezialisten nach Deutschland zu locken, werden in Wilhelmshaven zwei Familien auseinandergerissen, indem man einen Teil der Familie ins Flugzeug nach Aleppo (Syrien) setzt.
Die Herren des Morgengrauens klingelten Sonntag (7. Januar) morgens um 6:30 Uhr bei Samir Ramadan und bei Ismail Bachir: Sachen packen und ab zum Flughafen. Abschiebung! Samir Ramadan musste mit seiner erwachsenen Tochter und deren vierzehn- und siebenjährigen Kindern in den wartenden Polizeiwagen einsteigen. Seine Ehefrau blieb zurück. Obwohl Ismail Bachir eine Aufenthaltserlaubnis hat, nahm die Polizei seine Frau und die beiden 18 bzw. 4 Monate alten Kleinkinder mit.
Am Abend desselben Tages ging’s vom Flughafen Hannover in die Heimat, die für alle keine Heimat ist.
Die Abschiebung sorgte sogar für Schlagzeilen in der sonst mit dieser Thematik nicht gerade befassten Wilhelmshavener Zeitung.
In Syrien stünden die Abgeschobenen mittellos und ohne eigene Bleibe da. Die Grenzkontrolle passierten die Kinder und Erwachsenen mit sogenannten Pass-Ersatzpapieren, die ihnen von der Ausländerbehörde in Wilhelmshaven mitgegeben worden waren.
Ob nach nächtlicher Ankunft auf dem Flughafen Aleppo die 20-jährige Ranija Ramadan für sich, den Säugling und das Kleinkind etwas zu essen oder einen Platz zum Schlafen findet – niemand weiß es.
Der unter Schock stehende Vater Ismail Bachir: „Wir haben in Syrien keine Angehörigen, keine Adresse. Der 34-jährige Palästinenser aus dem Libanon konnte als Staatenloser nicht mit abgeschoben werden. Er besitzt eine Aufenthaltsbefugnis für Deutschland, arbeitet hier.
Frau Khan-Ramadan wiederum durfte als Libanesin ohne Pass nicht nach Syrien geschickt werden. Die Kinder, größtenteils in Wilhelmshaven geboren, sind aus Sicht der Ausländerbehörde aufgrund der Abstammung syrische, eventuell zusätzlich libanesische Staatsangehörige.
Die nach islamischem Recht geschlossene Ehe zwischen Ismail Bachir und Ranija Ramadan erkennt das deutsche Recht nicht an. Deshalb hatten beide den Antrag gestellt, die standesamtliche Trauung nachzuholen. Ein Papierkrieg mit vielen Hindernissen.
Doch selbst die Eheschließung nach deutschen Regeln hätte für die Ehefrau kein Bleiberecht begründet, erklärt Ralf Janßen vom Bürgeramt. Dazu sei ein deutscher Pass des Ehepartners erforderlich. Ob man allerdings eine nach deutschem Recht verheiratete Familie durch Abschiebung getrennt hätte, würde man sich eventuell überlegt haben.
So jedoch könne Ismail Bachir ja versuchen, einen libanesischen Pass zu beantragen, um damit nach Syrien reisen zu können. Auch Frau Khan-Ramadan sei mehrfach aufgefordert worden, sich um einen gültigen libanesischen Pass zu bemühen, um ihre Abschiebung zu ermöglichen. Tue sie dies nicht, müsse sie mit einer Trennung von ihrem Mann und den Kindern rechnen.
Nach über sechsjährigem Verfahren waren 1998 die Asylanträge für die Familie Ramadan endgültig abgelehnt worden. Seitdem sei die Familie, so die Ausländerbehörde, „vollziehbar ausreisepflichtig“. Die letzte Abreiseverfügung erging am 28. November 2000. Als die Frist zur freiwilligen Ausreise abgelaufen sei, habe man auf Basis der gesetzlichen Bestimmungen gehandelt.
Fachbereichsleiter Peter Gniech: „Die kreisfreien Städte und Landkreise sind in der misslichen Lage, als letzte in der Reihe für die Durchsetzung der Abschiebung nach geltendem Gesetz sorgen zu müssen.“ Generell sei das Ausländerrecht als Abwehrrecht konzipiert, der Asylrechtsgedanke des Grundgesetzes immer weiter beschnitten worden.
Stellt sich am Ende die Frage, wo die zulässige Schnittstelle zwischen Buchstaben des Gesetzes und menschlichem Einzelfall verläuft – im Zweifelsfall mitten durch Familien mit Kindern?(Foto: Ranija Ramadan mit Tochter)
Mitte Februar erhält die Vorsitzende des Kinderschutzbundes, Frau Tabbach, per Fax einen Brief des abgeschobenen Sohnes von Samir Ramadan:
,,Liebe Mama, wie geht es dir? Uns geht es nicht so gut. Ich vermisse dich sehr. Einen ganzen Monat haben wir uns nicht gesehen, außer im Traum. Ich habe dich im Traum gesehen, dass du uns in Deutschland vom Flughafen abgeholt hast und meine Freunde waren auch dabei. Ich hoffe, dieser Traum geht in Erfüllung.
Ich kann mir hier mein Leben nicht mehr weiter vorstellen, Mama. Bitte gib nicht auf und hol uns zurück! Die Leute hier sagen zu mir: ‚Da dein Vater im Gefängnis sitzt, musst du jetzt arbeiten gehen.‘ Sie haben mir angeboten, von 9 Uhr morgens bis 4 Uhr schwere Sachen zu schleppen. Aber ich kann es nicht machen.
Meine kleine Schwester Sherihan und ich sind bei meiner Oma, Manal und Ranija und ihre Kinder sind bei einem Onkel. Sherihan weint ständig. Sie fragt nach dir und Papa und meinen Geschwistern. Sie hat sehr viel Angst hier vor allen Leuten, weil sie glaubt, wir sind entführt worden. Ich hoffe, dass ich bald wieder in Deutschland bei dir bin und die ganze Familie wieder zusammen ist.
Du hast immer gesagt, dass es gute und schlechte Zeiten gibt. Jetzt haben wir die schlechten Zeiten. Ich wünsche mir, dass das alles bald wieder vorbei ist. Ich habe dich doll lieb.“
Samir Ramadan sitzt inzwischen in Syrien im Gefängnis. Er wurde festgenommen, als er versuchte, gültige Personalpapiere zu beantragen. Ob er nun von der Polizei oder vom Geheimdienst in Gewahrsam genommen wurde, ist, genau wie sein derzeitiger Aufenthaltsort, unbekannt.
Die hier gebliebene Frau von Samir Ramadan, Naval Khan, befindet sich inzwischen in einer gesundheitlich besorgniserregenden Lage und ist stark selbstmordgefährdet.
„Wir, die Anwesenden der Informationsveranstaltung über die Abschiebung der Familien Ramadan und Bachir fordern die Stadt Wilhelmshaven und die Bezirksregierung Weser-Ems auf, die Rückführung der abgeschobenen Familienmitglieder sowie des inzwischen inhaftierten Vaters Samir Ramadan nach Wilhelmshaven zu ermöglichen und zu unterstützen.“
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