Reformlüge
Okt 072004
 

Albrecht Müller im Pumpwerk

Wir brauchen keinen Reformwahn, sondern vernünftige Analysen

(noa) Am 18. Oktober wird Albrecht Müller im Pumpwerk aus seinem Buch „Die Reformlüge“ vortragen. Der Besuch dieser Veranstaltung sei allen ans Herz gelegt, die meinen, dass die gegenwärtige Reformpolitik falsch ist, und die Argumente brauchen, um nicht durch die öffentliche Meinungsmache manipuliert zu werden.

Müller_AlbrechtSeit dem Jahreswechsel 2002/2003 ist die Regierung, unterstützt von der Opposition und dem Großteil der Medien, begeistert gelobt von der Wirtschaft, in eine regelrechte „Reformorgie“ verfallen, und ein Jahr später hieß es: „Nach der Reform ist vor der Reform.“ Das Kernproblem, dass die Wirtschaft in Deutschland seit Jahren nicht ausgelastet ist, wird dabei aus den Augen verloren und nicht mehr berücksichtigt. In einem „kollektiven Wahn“ werden Errungenschaften, die fünfzig Jahre lang gut funktioniert haben, immer mehr abgebaut, wodurch das Problem weiter verschärft wird.
150 Milliarden Euro jährlich gehen verloren, weil die Wirtschaft nicht ausgelastet ist, so rechnet Müller vor. Mit einer Senkung der Löhne sinkt die Binnennachfrage, was die Unterauslastung der Wirtschaft weiter vorantreibt. Wir sehen in Wilhelmshaven und Umgebung die Wirkungen im Moment deutlich: Nach vielen kleineren Geschäften schließen nun auch große; Peek&Cloppenburg verlässt Wilhelmshaven zum Jahresende, und Karstadt will seine hiesige Filiale loswerden.
Müller zitiert den „Stern“, der den seit einiger Zeit laufenden Vorgang als „Revolution von oben“ bezeichnet. Im Grundgesetz ist Deutschland als „demokratischer und sozialer Rechtsstaat“ beschrieben, und der stattfindende Systemwechsel durch die rasche Folge von Reformen, die an allen sozialen Sicherungssystemen drastische Abstriche vornehmen, kommt tatsächlich einer Revolution von oben gleich. Dabei behaupten die Befürworter der Reformen, sie würden mehr Beschäftigung und damit eine Ankurbelung der Wirtschaft bringen. Wie genau diese oder jene Veränderung das vollbringen soll, erklären sie dazu nicht. Die bisherigen Reformen haben das Ziel denn auch verfehlt: Die Arbeitslosigkeit sinkt nicht.
„Nachplapperei statt Analyse“ nennt Albrecht Müller den publizistischen Vorgang, den wir seit dem Startschuss zur verschärften Reformitis beobachten können. Auf eine Auswertung von Daten verzichten diejenigen, die uns immer wieder sagen, dass eine höhere Beteiligung an den Gesundheitskosten, eine private Altersvorsorge, eine Senkung der Arbeitslosenunterstützung usw. nötig seien; sie sagen es, weil jemand anders es gesagt hat, weil es im Fernsehen gesagt wird, weil es in der Zeitung stand, und Politiker sagen dann „Wie wir alle wissen…“ oder „Es ist unbestritten…“
Im ersten Teil seines Buches hat Albrecht Müller die Hintergründe skizziert, vor denen seit einiger Zeit „eine Reformsau nach der anderen durchs Dorf getrieben wird“. Er erläutert hier die Wirkungslosigkeit der bisherigen Reformen, die Mechanismen, mit denen der kollektive Reformwahn funktioniert, die Methode, mit der die Bevölkerung dazu gebracht wird, etwas Unwahres zu glauben und gut zu heißen, was ihr schadet.
Im zweiten, umfangreicheren Teil des Buches nennt und erklärt der Autor die „40 Denkfehler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren“ – dass wir uns in einer völlig neuen Situation befänden, in der alle bisher funktionierenden Mittel nicht mehr greifen könnten, sondern schädlich seien; dass wir deswegen die permanente Reform bräuchten; dass wir vom Export lebten; dass eine längere Arbeitszeit notwendig sei; dass Arbeitsverhältnisse, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen, nicht mehr passend seien und mehr Selbständige nötig seien; dass Steuersenkungen zu Investitionen und zu mehr Arbeitsplätzen führen würden usw. usf. – und er widerlegt sie.
Natürlich leugnet auch Müller nicht, dass wir „ohne Zweifel wie jede moderne Gesellschaft zu jeder Zeit Reformbedarf haben“. Doch er bestreitet, dass für die Lösung unserer Probleme Sozialabbau und Einschnitte in unsere Rechte erforderlich seien. Im Gegenteil: Wenn es der großen Masse gut geht, geht es auch dem Land insgesamt und den zukünftigen Generationen gut.
Albrecht Müller ist bestimmt kein verträumter Spinner, der wehmütig den vergangenen guten Zeiten nachhängt: Geboren 1938 in Heidelberg, hat er nach einer Lehre Volkswirtschaft und Soziologie studiert. Danach arbeitete er zunächst am Institut für Internationale Wirtschaftsbeziehungen der Universität München. Ab 1968 war er der Ghostwriter des damaligen Wirtschaftministers Karl Schiller. Von 1970 bis 1972 war er als Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des SPD-Parteivorstandes maßgeblich am Wahlkampf Willy Brandts beteiligt. Von 1973 bis 1982 arbeitete er als Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt unter Willy Brandt und Helmut Schmidt, und von 1985 bis 1988 gehörte er der Wahlkampfmannschaft des niedersächsischen Spitzenkandidaten Gerhard Schröder an. Von 1987 bis 1994 war er Mitglied des Bundestages. Nach dieser Ausbildung und diesen Tätigkeiten weiß er, wovon er spricht!

ReformlügeEinladung
Albrecht Müller liest aus seinem Buch
Die Reformlüge
40 Denkfehler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren
am 18. Oktober 2004 um 19 Uhr im Pumpwerk
Es laden ein: der DGB, die IGM, die IG BAU und ver.di
Das Buch ist erschienen im Droemer Verlag und kostet 19,90 Euro.

 

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