vom 15. März 2017
Ein schöner Tag für die Bauwirtschaft! Die Einkaufsmeile an der nördlichen Gökerstraße, Bismarckplatz und gleich zwei Rathausplätze – der große und auch der ehemalige in der Südstadt: überall soll nach dem Willen der Ratsmehrheit gebuddelt, gepflastert und gemauert werden.
Stadtplanung für Spottpreise
Außer Lebensmitteln gibt’s bei ALDI mittlerweile viele weitere Waren und Dienstleistungen, von deren Verkauf früher lokale Fachgeschäfte gelebt haben: Reisen, Fotos, Blumen, Elektronik, Telefon und Internet und auf wöchentlich wechselnden „Aktionsflächen“ Büro- und Schulbedarf, Wäsche und Kleidung, Werkzeuge, Spielzeug und mehr. Zum Nulltarif liefern ALDI und andere Discounter kommunale Dienstleistungen: Sie geben vor, wie ihre Ladengebäude und das Umfeld zu gestalten sind. Kommunalpolitiker müssen sich da keinen Kopp mehr drum machen und nur noch zustimmen, dass sonstige kommunale Belange gegenüber den Interessen der global agierenden Marktriesen nachrangig sind.
Wer Langeweile hat, kann mal die Stichworte „Discounter“ und „Baumfällung“ googeln. Ein ausgefüllter Abend mit Lektüre etlicher Treffer aus ganz Deutschland und darüber hinaus ist garantiert. Je nach Standortwunsch muss auch mal ein ganzes Stück Stadtwald oder ein historisches Gebäude mit einer gut besuchten Gaststätte weichen. In einer fränkischen Gemeinde wurden im Auftrag von LIDL in einer Nacht- und Nebelaktion alle Bäume rund um den Parkplatz abgesägt. „Die vorderen Bäume wurden bewusst weggenommen, um eine bessere Sicht auf den Lidl-Markt zu gewährleisten.“[1]
Angesichts solcher „Sachzwänge“ will auch Wilhelmshaven Flagge zeigen. Mit der Stimmenmehrheit von SPD, CDU und WBV wurde der Bebauungsplan verabschiedet, der es ALDI (und Combi) ermöglicht, an der nördlichen Gökerstraße ihre Ladengeschäfte zu vergrößern. Für die zusätzlichen ALDI-Parkplätze wird der teilweise baumbestandene Grünstreifen zwischen der Gewerbefläche und dem Rad- und Fußweg an der Gökerstraße beseitigt.
„Durch Wegfall des Grünstreifens würde eine riesige Pflaster- beziehungsweise Asphaltdecke zwischen der Geschäftsreihe auf der einen und den Reihenhäusern auf der gegenüberliegenden Seite der Gökerstraße entstehen! Einen solchen Anblick kann ich mir an Trostlosigkeit kaum ausmalen.“ (aus einem WZ-Leserbrief vom 16.3.2017)
Auto-gerecht, ALDI-gerecht
Die FDP hatte vorab einen Änderungsantrag gestellt, der von den VertreterInnen der GUS (Grüne, Die Partei, BASU, UWG) und der LINKEn unterstützt wurde und zum Ziel hatte, den Grünstreifen mit den Bäumen trotz ALDI-Erweiterung zu erhalten. Dies hatte auch das Umweltamt in seiner Stellungnahme zum B-Plan gefordert und die FDP fand die Abwägung des Planungsamtes, dass „zur Sicherstellung der Nahversorgung … die Grünflächen benötigt werden“, fehlerhaft. FDP-Vertreter Dr. Günther Schulte bezweifelte, ob ALDI tatsächlich nicht bauen würde, wenn die Nutzung des Grünstreifens versagt würde. „Ich habe das so oft gehört – aber der Rat hat doch die Hoheit, nicht die Unternehmen“. Da müsse man „klar Kante zeigen“. „Es geht immer nur um Autos – begreifen Sie endlich, in welcher Zeit wir leben!“ CDU-Sprecher Stephan Hellwig fand das „erheiternd“. „Wir leben in einer Zeit, wo die Mobilität, das Autofahren für die meisten das Wichtigste ist, das ist unsere Zeit.“ Hellwig glaubt, dass ALDI keine Profitinteressen verfolgt: „Auslöser, sich zu vergrößern, ist nicht, mehr Waren zu verkaufen, sondern die Geschäftsräume behindertengerecht zu gestalten.“ Rührend. SPD-Sprecher Howard Jacques legte nach: „In Amerika ist der Einkauf mit dem Auto gang und gäbe.“ Amerika – unser großes Vorbild! „Die Kunden sollen direkt mit dem Auto vorfahren, die Läden wollen so mehr Umsatz machen“. Ja, wie denn nun? Geht es doch nicht um Behinderte, sondern um den Profit?
„Eine immer noch autogerechtere Stadt ist eine fatale Sackgasse. Wer es nicht glaubt, dem empfehle ich den kürzlich ausgestrahlten, von Radio Bremen produzierten Zweiteiler „Unsere Städte nach 45“.[2] Danach weiß man, warum in Zukunft ein „ortsbildprägender“ Grünstreifen mehr Ertrag erbringt als 93 weitere Parkplätze.“ (aus einem weiteren WZ-Leserbrief vom 16.3.2017)
Falsche Antwort
Andreas Tönjes (Die PARTEI) wunderte sich, warum für die NAHversorgung der Akzent auf die Anfahrt der Kunden mit dem Auto gelegt wird. Es ginge doch gerade darum, fußläufig erreichbare Einkaufsmöglichkeiten zu schaffen.
OB Andreas Wagner belehrte ihn: ALDI sei kein Nahversorger, sondern ein Discounter. Ein Nahversorger sei der benachbarte Combi-Markt.
Wir belehren OB Wagner eines Besseren: „Nahversorger“ ist ein Fachbegriff aus dem Städtebau, der verschiedene Anbieter aus dem Bereich Handel und Dienstleistungen einschließt. Definiert wird hier die Entfernung vom Wohngebiet der Kunden zum Standort der Geschäfte, als „nah“ gilt eine (fußläufig machbare) Entfernung von maximal 500-1000m. „Discounter“ beschreibt einen Typ von Handelsketten (eingeschränktes Sortiment, Niedrigstpreise, wie ALDI, LIDL, Netto), das Pendant dazu ist der Lebensmittel-Vollsortimenter (landläufig: Supermarkt), dazu zählen zum Beispiel COMBI oder REWE.
Haben das jetzt ALLE verstanden?
[1] http://www.nordbayern.de/region/forchheim/rabiater-kahlschlag-bei-lidl-in-gossweinstein-1.5551755
[2] Unsere Städte nach 45“, nachzuschauen in der Mediathek bis August 2017, hier: Teil 1, Teil 2
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