Höchstgrenzen vor Gericht
Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen will allerhand von der Stadt Wilhelmshaven wissen
(noa) Ziemlich besorgt wirkte Werner Ahrens auf der September-Versammlung der ALI, als er über das Urteil des Bundessozialgerichts zu den Kosten der Unterkunft sprach.
BSG-Urteile werden immer erst viele Wochen nach ihrer Verkündigung veröffentlicht, und so ist es für die, die auf ein solches Urteil hoffen, immer etwas nervenaufreibend, bis es endlich schriftlich vorliegt. Am 18. Juni schon ist dieses Urteil ergangen, aber erst im September geschrieben worden. Und für alle, die sich auf die Beschlüsse und Urteile des Sozialgerichts Oldenburg – Kosten der Unterkunft werden bis zur Höhe der Werte aus der rechten Spalte der Wohngeldtabelle plus 10 % zugesprochen – mittlerweile fest eingerichtet hatten, beinhaltet es zunächst mal eine Enttäuschung:
Die Wohngeldtabelle ist, so steht es jetzt fest, nicht der Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft für Menschen, die Leistungen nach Hartz IV beziehen. Wenn kein qualifizierter Mietspiegel vorliegt, so der Spruch des BSG, dann tun es auch andere Ermittlungen der zahlungspflichtigen Kommune.
Wahrscheinlich hat Wilhelmshavens Stadtverwaltung erst einmal frohlockt, als sie von diesem Urteil hörte, hat sie doch aufgrund ihrer eigenen Ermittlungen Mietobergrenzen festgelegt, die weit unter dem liegen, was das Sozialgericht denen, die geklagt haben, als Anspruch zuerkannte.
Wie im letzten Gegenwind angekündigt, hat LAW-Ratsherr Johann Janssen in der Ratssitzung am 17. September den Antrag gestellt, dass diese Miethöchstgrenze ersatzlos aufgegeben wird. Zahlreiche Langzeitarbeitslose, die ihre Miete eben nur bis zu dieser Höchstgrenze erstattet bekommen und deshalb ihren Regelsatz nicht voll für den Lebensunterhalt einsetzen können, beweisen nach Ansicht der LAW, dass die in Wilhelmshaven geltenden Höchstwerte unangemessen sind.
Wie erwartet, ist Janssens Antrag nicht angenommen worden. Mit überwältigender Mehrheit hat der Rat das Thema mal wieder an den Sozialausschuss verwiesen, der sich schon einmal damit befasst hatte, damals aber beschlossen hatte, zwei Ereignisse abzuwarten: Die Empfehlungen der Bund-Länder-Kommission, die am 30. September tagen sollte und sich mit den Kosten der Unterkunft befassen wollte, und eine Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, von der noch niemand wusste, wie lange sie noch auf sich warten lassen würde.
Eingedenk der bekanntermaßen angespannten Finanzlage Wilhelmshavens und ihrer sattsam bekannten Vorliebe, das knappe Geld in die Anbahnung von industriellen Großprojekten zu stecken, hatte in der LAW niemand damit gerechnet, dass Janssens Antrag breite Zustimmung finden würde. So heftig, wie es dann aber kam, hatte man es bei der LAW dann doch nicht erwartet. Uwe Reese (SPD) sprach davon, dass bei einem Verzicht auf Miethöchstgrenzen die Arbeitslosen in Luxuswohnungen ziehen würden, und Werner Biehl (Bündnis 90/Die Grünen) sagte seinem Ratskollegen sogar, dass er zwar einerseits dessen „Lobbyarbeit für seine Klientel“ bewundere, andererseits aber wütend auf ihn sei, dass er den Rat zwinge, sich immer wieder damit auseinanderzusetzen.
Ob und mit welchem Ergebnis die Bund-Länder-Kommission am 30.09. tatsächlich getagt hat, konnten wir nicht herausfinden. Das Landessozialgericht aber war tätig. Es hat einen Brief nach Wilhelmshaven geschickt, bei dessen Lektüre das (mutmaßliche) Frohlocken der Stadtverwaltung wohl sofort wieder aufhörte.
In diesem Brief bezog das LSG sich zunächst auf das BSG-Urteil vom 16.06.08 und bekräftigte, dass beim Fehlen eines amtlichen Mietspiegels eigene kommunale Ermittlungen zur durchschnittlichen Miethöhe maßgeblich sind und nicht etwa die Wohngeldtabelle. Danach aber kommen Fragen, die die Stadt Wilhelmshaven bis zum 1. November beantworten muss, damit die Verhandlung beim LSG im Dezember stattfinden kann.
„Weshalb geht der Beklagte davon aus, dass die gewählte Datenbasis ausreichend ist?“, will das Gericht z.B. wissen. Bekanntlich wertet die Stadtverwaltung Wohnungsangebote in den Zeitungen aus, fragt Wohnungsbaugesellschaften und das Grundsicherungsamt, und damit hat sie 3,9 % der Wohnungen (und nicht 10 %, wie das Bundessozialgericht es für angemessen hält) erfasst.
Einiges deutet darauf hin, dass die Stadtverwaltung bei der Betrachtung des möglichen Wohnungsmarktes für Arbeitslosengeld II-EmpfängerInnen nur darauf geachtet hat, dass die Miete billig sein soll. Dabei könnte auch Wohnungen, die nach jahrelangem Leerstand nicht mehr bewohnbar sind, in ihre Berechnungen eingeflossen sein. Und so muss die Stadt nun die Frage beantworten: „Soweit einzelne Faktoren, insbesondere der Standard der Wohnungen – nicht berücksichtigt wurden: Weshalb wurde auf die Berücksichtigung dieser Faktoren verzichtet?“ Und: „Wurde bei der Auswertung der Anzeigen sichergestellt, dass es bei den Wohnungen um tatsächlich bezugsfertige und für Hilfebedürftige nach dem SGB II zumutbare Wohnungen handelte?“
Vor allem aber dürfte die Antwort auf folgende Frage aufschlussreich sein: „Trifft es zu, dass nicht alle verfügbaren Wohnungsanzeigen in Wilhelmshaven in die Auswertung eingeflossen sind? Falls ja: Weshalb sind nicht alle Wohnungen berücksichtigt worden?“ – Erinnern wir uns: Als zu Beginn der Hartz IV-Ära Tausende von Hilfebedürftigen zum Umzug oder sonstigen Kostensenkungsmaßnahmen aufgefordert wurden, lag diesen Briefen eine Aufstellung einiger Wohnungen zum „angemessenen“ Mietpreis bei. Diese Wohnungen hätten aber im Leben nie für alle Betroffenen gereicht. Immer noch sind Alg II-BezieherInnen auf der Suche nach Wohnungen, die die Stadt anstandslos zahlt.
Auch bezüglich der Daten vom Grundsicherungsamt ist das LSG offenbar skeptisch. „Soweit bei der Berechnung die Mieten der Empfänger von Leistungen nach dem SGB VII zu Grunde gelegt wurden: Wurden die tatsächlichen Mieten oder die Zahlbeträge der Leistungen nach dem SGB XII zu Grunde gelegt?“ – Uns sind einige GrundsicherungsempfängerInnen bekannt, in deren Leistung nicht die tatsächliche Miete, sondern die „Höchstgrenze“ eingeflossen ist. Das würde dann bedeuten: Die Arbeitslosengeld II-Berechtigten bekommen nicht, was sie brauchen, weil die Alten und Kranken auch nicht bekommen, was sie brauchen.
Es ist „beabsichtigt, möglichst am 11. Dezember 2008 über die Kosten der Unterkunft eine mündliche Verhandlung durchführen.“ So lange müssen die Erwerbslosen in Wilhelmshaven also mindestens noch warten, bis sie – hoffentlich! – ihre tatsächlich angemessenen Kosten der Unterkunft bekommen.
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