Roter Teppich für Klimakiller
Grundstein für Electrabel-Kohlekraftwerk gelegt
(hk) Am 19. September wurde der Grundstein für das Electrabel-Kraftwerk in Wilhelmshaven gelegt. Die Zeremonie fand in Gegenwart des Niedersächsischen Umweltministers Hans-Heinrich Sander und des Wilhelmshavener Oberbürgermeisters Eberhard Menzel statt.
Volksnah gab sich OB Menzel auf dem Wege zur Grundsteinlegung des Kohlekraftwerks der „Electrabel“ auf dem Rüstersieler Groden am 19. September:
Als er vor dem Schlagbaum zum Baugelände von zwei Dutzend mit Transparenten und Pappschildern bestückten BürgerInnen mit dem Lied „Der Steiger kommt“ begrüßt wurde, entstieg er seiner Karosse und verkündete der Sangesgruppe, dass Joschka Fischer jetzt auch für Kohlekraftwerke sei. Durch Fischers neuerliche Selbsterfindung offenbar bestärkt, fasste er die Sachargumente der Kraftwerksgegner zu zwei Wörtern zusammen: „Alles Phrasen!“ Anschließend hockte er sich – ohne das Echo abzuwarten – zurück in seinen Sitz, schlug die Tür zu und ließ seinen Chauffeur wieder anfahren… (jm)
Gemeinsam mit Alfred Hofman, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Electrabel Deutschland, sowie Erik von Scholz, dem Vorstandsvorsitzenden der Electrabel Deutschland AG, schlugen sie die ersten Pfähle in den Sandboden des Rüstersieler Grodens. Nach vier Jahren Bauzeit und einer Investition von über einer Milliarde Euro wird das 800 MW-Kraftwerk im Jahr 2012 seinen Betrieb aufnehmen.
Aus diesem Anlass veröffentlichen wir den neuesten Bericht der Europäischen Umweltagentur (EEA) zum Thema Klimawandel:
Nehmen Hitzewellen und Unwetter in Europa zu? Wie stark steigt der Meeresspiegel in Europa? Und wie beeinflusst der Klimawandel Menschen, Pflanzen und Tiere? Antworten gibt der Bericht „Impacts of Europe’s changing climate – 2008 indicator based assessment“, den die Europäische Umweltagentur [EEA] Anfang Oktober in Kopenhagen, Dänemark, vorstellte. So hat sich das Klima in Europa in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verändert – und die Auswirkungen dieses Wandels zeigen sich immer klarer.
Wie es sich gehört: Wenn ein Umweltminister den Grundstein für ein Kohlekraftwerk legt, muss auch ein anständiger roter Teppich ausgerollt werden. Umweltminister Sander: „Ich bekenne mich zu diesem modernen und hocheffizienten Kraftwerk. Jedes neue, das ans Netz geht, ist besser als jedes alte.“
Ergebnisse neuester modellgestützter Projektionen lassen in Zukunft eine deutliche Verstärkung der Auswirkungen erwarten. Der Bericht beschreibt anhand von 40 Indikatoren, wie sich erhöhte Risiken für Flutereignisse und Trockenheiten, Verluste der Biodiversität oder Gefahren für den Energiesektor auswirken. Der Bericht erstreckt sich auf zehn Bereiche wie menschliche Gesundheit, Energiewirtschaft, Landwirtschaft, Tourismus, Verkehr oder Ökosysteme. „Wir sehen deutliche Warnsignale für alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche“, meint der Vizepräsident des Umweltbundesamtes, Dr. Thomas Holzmann, „Auch bei der Bekämpfung des Klimawandels muss Europa zusammenwachsen.“
„Kohlekraft nein danke!“ steht seit dem Tag der Electrabel-Grundseteinlegung auf dem Fußboden des Valoisplatzes und an mehreren Stellen in der Marktstraße. Damit protestiert Greenpeace gegen die Grundsteinlegung für den Bau eines Kohlekraftwerks von Electrabel durch Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP). Der Spruch wurde mittels „Clean-Graffiti“ auf dem Fußboden des Platzes angebracht. Dabei wird der Bereich der Schrift gesäubert, so dass die Botschaft aus sauberer Fläche auf dem Bürgersteig zu lesen ist.
„Kohle zerstört das Klima, heutzutage dürfen keine neuen Kohlekraftwerke mehr gebaut werden, sonst schaffen wir die Klimaschutzziele der Bundesregierung nicht“, fordert Danny Rimpl, Energie- und Klimaexperte der Greenpeace-Gruppe Wilhelmshaven. Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, den jährlichen deutschen Treibhausgasausstoß bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. In Wilhelmshaven plant der Energieversorger Electrabel im Rüstersieler Groden ein 800 MW-Steinkohlekraftwerk, das mehr als 4,2 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr ausstoßen wird.
Laut Bericht stieg die Temperatur in Europa seit Beginn der Industrialisierung um 1 Grad Celsius an, also stärker als der globale Durchschnitt von 0,8 Grad Celsius. Die Gletscher der Alpen verloren seit 1850 etwa zwei Drittel ihrer Eismasse. Seit den 1980er Jahren beschleunigt sich dieser Prozess. Steigende Temperaturen und Hitzewellen führen zu Gesundheitsproblemen; abschmelzende Gletscher können im Alpenraum die Wasserversorgung vor neue Herausforderungen stellen. Die EEA rechnet in den nächsten hundert Jahren mit einem weiteren Anstieg der Temperatur und mit verstärkten Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft.
Eine zunehmende Zahl von Naturkatastrophen – überwiegend verursacht durch Extremwetterereignisse – konfrontiert vor allem die Versicherungswirtschaft mit steigenden Schadenszahlen. Auch der Meeresspiegel an Europas Küsten steigt, das Artenspektrum der Europäischen Meere verändert sich und die Vegetationsperiode hat sich in weiten Teilen Europas bereits deutlich verlängert.
Zwar zeigt der Bericht auch positive Wirkungen des Klimawandels, zum Beispiel bessere Bedingungen für die Landwirtschaft und die Schifffahrt in nördlichen Regionen. Allerdings gibt es keinen Zweifel, dass die negativen Folgen überwiegen.
UBA Vize-Präsident Dr. Thomas Holzmann: „Die tiefgreifenden Auswirkungen der Klimaänderungen in Europa unterstreichen, wie wichtig es ist, die Klimagasemissionen weiter deutlich zu senken. Gleichzeitig müssen wir uns an die nicht mehr abwendbaren Folgen des Klimawandels anpassen“.
Der Bericht basiert auf neuen wissenschaftlichen Publikationen und langjährigen Datenreihen wissenschaftlicher Beobachtungen in verschiedenen europäischen Staaten. Mögliche künftige Klimaänderungen und deren Auswirkungen werden anhand von Computermodellen projiziert.
Die Europäische Umweltagentur [EEA] veröffentlicht den Bericht gemeinsam mit dem Vereinigten Forschungszentrum der EU [JRC-IES], Ispra [Italien] und dem Regionalbüro für Europa der Weltgesundheitsorganisation [WHO] in Rom.
Das Umweltbundesamt [UBA] und die niederländische Umweltbehörde [PBL] waren – gemeinsam mit weiteren Institutionen – im Rahmen des Europäischen Themenzentrums für Luft und Klimawandel [ETC/ACC] maßgeblich an der Erstellung beteiligt.
Eine Gruppe Umweltschützer brachte anlässlich der Grundsteinlegung ihren Protest zum Ausdruck – angesichts der morgendlichen Stunde waren’s gar nicht so wenig.
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