Gespräch mit dem UB-Vorsitzenden Norbert Schmidt über die Lage der SPD
Woran liegt’s?
(ef/noa) Die SPD verliert von Woche zu Woche an Zustimmung. Auch in Wilhelmshaven, der SPD-Hochburg, schrumpft die Partei, und bei den verbliebenen Genossen ist die Stimmung schlecht. Auch am Vorsitzenden gibt es viel Kritik. Wir sprachen mit Norbert Schmidt über die Politik der Wilhelmshavener SPD und über die Agenda 2010.
Gegenwind: Nach der verpatzten Europawahl hat du gesagt, dass es so nicht weitergehen darf, dass es auch örtliche Konsequenzen geben muss. Was heißt das?
Schmidt: Die Situation der SPD ist nicht die beste, auf allen Ebenen; auf kommunaler Ebene, im Lande – die Nicht-Wiederwahl von Wilfrid Adam war kein Betriebsunfall – bis hin zur Europawahl, wo die SPD ein sehr schlechtes Ergebnis erzielt hat. Jetzt geht es darum, Gründe zu suchen oder aber – und das ist meine Aufgabe als SPD-Vorsitzender hier vor Ort – sich für die nächsten Kommunalwahlen/Bundestagswahlen eine Strategie auszudenken, um aus diesem Tal herauszukommen.
Nach der Europawahl 1999 hast du der „WZ“ gesagt: „Wir haben in Wilhelmshaven unser Ergebnis zur Europawahl vor 5 Jahren praktisch gehalten. Offensichtlich sind wir auf dem richtigen Weg.“ Jetzt habt ihr 14 Prozentpunkte verloren. War es doch nicht der richtige Weg?
Das Wahlergebnis jetzt hatte nichts mit Europa zu tun. Für mich steht fest, dass ein Großteil der SPD-Wähler und auch der Mitglieder nicht an die Wahlurnen gegangen sind, weil eine hohe Unzufriedenheit da ist. Diese hohe Unzufriedenheit hat vielschichtige Gründe.
Man hört aus Wilhelmshavener SPD-Kreisen viel Kritik am Unterbezirk und speziell an dir. „Noch nie“, so heißt es, „sind wir so schlecht unterrichtet worden wie unter Norbert Schmidt.“ Viele Genossen sagen, du trittst nur in Erscheinung als Vorsitzender des Rates und des Bauausschusses, aber deine Aufgaben als UB-Vorsitzender kommen zu kurz.
Die Innovationen kommen doch nicht nur vom 1. Vorsitzenden. Wir haben einen Vorstand, wir haben einen geschäftsführenden Vorstand, der UB-Vorstand tagt öffentlich. Jeder kann Fragen und Anträge stellen – aber da kam nichts.
Als wir das letzte Mal mit dir gesprochen haben, hast du gesagt, du willst Pflöcke einschlagen. Dazu bist du eigentlich nicht gekommen, oder?
In welcher Hinsicht?
Nun, du wolltest u.a. zehn Arbeitskreise einrichten und damit Schwung in die Parteiarbeit bringen. Wie wir gehört haben, tagt z.B. der AK Europa nur vor der Europawahl.
Das stimmt nicht. Europa ist ein wichtiges Thema. Es ist doch klar, dass vor der Europawahl mehr Sitzungen stattfinden und Referenten eingeladen werden. Ja, wir haben Arbeitskreise gegründet, aber ihr wisst ja, wie das ist, da kommen ja kaum noch welche. Aber deswegen gebe ich nicht auf. Ich mache keinen Hehl daraus, dass die Wirtschaftsförderung – da gibt es auch zwei Arbeitskreise – von zentraler Bedeutung ist. Der JadeWeserPort ist ein zentrales Projekt. Da haben wir die Chance, Hunderte von Menschen in Arbeit zu kriegen, und uns werden ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen. Die den JWP wollen, das sind doch keine Blöden! Das sind Leute, die Milliarden investieren wollen, das sind private Investoren, auch wenn der Betreiber nun noch nicht fest steht, das wird ja noch ausgeschrieben. Da wird fürchterlich dran gearbeitet. Es ist ganz wichtig, gerade im Bereich Wirtschaftsförderung alle Kräfte zu mobilisieren, auch über den JadeWeserPort hinaus nach Möglichkeiten zu suchen, in Wilhelmshaven Potenzial zu halten. Wir haben ja Schwierigkeiten mit dem demografischen Faktor. Es gibt “Worst-Case“-Betrachtungen, dass die Einwohnerzahl auf eine Zahl X zurückgeht, das hat etwas mit der Wohnungswirtschaft zu tun, das hat mit Arbeitsplätzen zu tun, das hat mit Schulen zu tun, da arbeiten wir jeden Tag sehr intensiv und sehr verantwortlich dran.
In diesem Jahr gab und gibt es keinen Unterbezirksparteitag. Wie kann das angehen? Sollte die SPD nicht gerade jetzt Flagge zeigen?
Stimmt, wir haben keinen UB-Parteitag dieses Jahr. Wir machen nächstes Frühjahr einen Wahlparteitag. Und dann werden wir uns auch eine Strategie für die Kommunalwahl und die Bundestagswahl ausdenken.
Die SPD hat seit 1998 rund 100.000 Mitglieder verloren, im Bezirk Weser-Ems haben im letzten Jahr 1640 Genossen die Partei verlassen, das sind 6,9 %. Im Unterbezirk Wilhelmshaven gaben 102 Mitglieder, das sind 10 %, ihr Parteibuch zurück. Dein Ortsverein Neuengroden ist in den letzten Jahren von etwa 90 Mitgliedern auf jetzt 46 geschrumpft. Was macht die Partei falsch?
Das Problem ganz generell ist: Wie kommt es eigentlich zu einer derartigen Stimmung in unserer Gesellschaft? Die ist ja nicht erst seit einem Jahr da, und die ist auch nicht erst seit der Agenda 2010 da. Ein ganz entscheidender Punkt liegt sicherlich in der Wiedervereinigung, wo der Bürger belogen worden ist, und dann die ganzen Skandale um CDU-Mitglieder.
Ich krieg das jeden Tag in meinem Lehrerzimmer mit, da werde ich gefragt über Vodafone und andere Dinge, da sagen sie mir, da werden die Millionen weggeschoben und den Arbeitslosen zieht man das Geld aus der Tasche. Das empfinden die Menschen als soziale Ungerechtigkeit. Ohne genau sagen zu können, wie viel der einzelne Arbeitslose nun bekommen wird, stehe ich zur Agenda 2010. Aber der Bürger ist überfordert worden mit der Vielzahl der Probleme. Das ging schon los mit den 10 Euro, die man beim Arzt bezahlen muss – dafür konnten wir ja nichts, das kam ja aus dem Vermittlungsausschuss – und das ging bei vielen anderen Fragen weiter, und niemand wusste genau Bescheid.
Du hast die Agenda 2010 beim Bundesparteitag gutgenickt. Aber in Wilhelmshaven hat kein Ortsverein die Leute darüber aufgeklärt. Es gab keine einzige Ortsvereinssitzung zu diesem Thema.
Das ist auch schwierig, weil man lange über die Feinheiten nicht Bescheid wusste. Wie diskutiert man die Feinheiten im Vorfeld, wenn die noch gar nicht feststehen? Das war ja auch so bei der Gesundheitsreform. Du gehst da in eine Veranstaltung, redest über die Reformen im Gesundheitswesen, und dann fragt dich einer, was „chronisch krank“ heißt oder wie das mit den Zuzahlungen ist.
Dann muss die Friesländer SPD die Agenda 2010 anders verstanden haben, denn der Unterbezirk Friesland hat ja mehrere Anträge dazu gestellt.
Das weiß ich nicht, ob Friesland zum Bundesparteitag Anträge dazu gestellt hat.
Aber die Informationsebene war schon immer schwierig in der Politik. Es ist ganz schwierig, an junge Leute ranzukommen. Oder an Betroffene, Kranke. Das haben wir dann in Wahlkampfzeiten versucht mit den Wilhelmshaven-Gespächen, wo wie die einzelnen Institutionen eingeladen haben. Immer mehr sagt der einzelne Bürger: Man kann ja sowieso nichts machen.
Nach dem Bochumer Parteitag gab es das Mitgliederbegehren, und es wurden 21.000 Unterschriften gesammelt. In Wilhelmshaven hat man von dem Mitgliederbegehren nichts gehört. Warum habt ihr das nicht weitergegeben an die Ortsvereine? Wolltet ihr das nicht?
Ich habe nie Interesse daran gehabt, etwas hinter verschlossenen Türen zu halten. Es ist alles offen gemacht worden. Aber es war keine Resonanz da.
Ich habe der Agenda 2010 zugestimmt, aber ich kannte die einzelnen Werte nicht. Ich wusste wohl, dass es zu Kürzungen kommen würde, aber wenn die Leute dann schnell wieder in Arbeit kommen, dann relativiert sich das alles wieder. Aber das scheint im Moment noch ein wenig nebulös zu sein.
Das Problem ist: Wir können ja immer nur bestimmte Rahmen verabschieden, nicht die Einzelheiten. Agenda 2010 heißt ja: Was ist zu tun, wie müssen wir die Weichen neu stellen, und wie kriegen wir dann die Informationen an die Bürgerinnen und Bürger heran? Alle sagen, so kann es nicht weitergehen, es ist kein Geld da, wir brauchen Reformen. Ich stehe auch nach wie vor hinter diesen Reformen. Man hat dabei nur nicht bedacht – auch ich nicht – dass der Bürger bei der Vielzahl der Reformen überfordert ist. Die Ausführungsbestimmungen bei den einzelnen Reformen dieses Pakets sind mir z. T. bis heute nicht klar. Z.B. bei Hartz IV: „Fördern und fordern“ ist eindeutig richtig. Bei der Umstrukturierung der Bundesanstalt zur Bundesagentur für Arbeit wird man sicherlich zu mehr Qualität kommen. Ein Berater wird weniger Arbeitslose zu betreuen haben.
Wo es aber keine Arbeit gibt, nützen auch mehr Beschäftigte beim Arbeitsamt nichts.
Das ist ja das Problem. Man wollte sich ja von ABM und so trennen, weil man auf den 1. Arbeitsmarkt setzen wollte, aber jetzt hat ja sogar die CDU gesagt, dass man in dieser schwierigen Situation um ABM nicht umhin kommen wird. Das sehe ich genauso. Und da sind wir bei der schwierigen Frage: Wo wollen wir die Arbeitslosen unterbringen? Es gibt sicherlich Nischen im Niedriglohnbereich, aber da kommt der zweite kritische Punkt: Wie weit will ich z.B. einen Diplom-Ingenieur runterziehen, denn da unten sind ja auch schon welche, die untergebracht werden müssen.
Jetzt ist alles zumutbar: Wenn du als Berufsschullehrer arbeitslos würdest, könnte man dich auch zum Kloputzen verdonnern, u.U. in Teilzeit.
Das ist für mich nur theoretisch. Ich bin der Meinung, dass das alles erst wesentlich später greift, dass wir mehr in Bildung investieren müssen, dass wir versuchen müssen zu qualifizieren, dass wir versuchen müssen, Neugründungen in Wilhelmshaven und Umgebung in Gang zu setzen. Aber das sind ja Dinge, die greifen nicht am 1.1.2005.
Aber was am 1.1.2005 schon greift, ist, dass ein Langzeitarbeitsloser auf 345 Euro gedrückt wird.
Also da geht es jetzt um die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Und da sollen, wenn man mal ganz fair an die Sache rangeht – das ist jedenfalls mein Kenntnisstand – allein Erziehende oder Familien mit mehreren Kindern angeblich besser gestellt sein als vorher.
Das stimmt nicht.
Ja, aber das habe ich ja schon gesagt, dass man diese Dinge im Einzelnen mal wirklich nachvollzieht. Das ist ja oft so, dass man nur an der Oberfläche redet. Aber wenn es dann um Einzelschicksale geht, da findest du immer Leute, die da runterfallen. Und das wollen wird nicht.
Das werden keine Einzelschicksale sein, sondern 6 Millionen Menschen, die ab 1.1. arm sind. Die Arbeitslosen werden auf Sozialhilfeniveau gedrückt.
Ja, sie kriegen teilweise weniger, das ist richtig.
Wir brauchen die Reform, und die Sozialdemokraten hatten viel Mut, die ganzen Reformen jetzt auf einen Schlag durchzusetzen. Das Gesamtpaket hat in seiner Geschwindigkeit den Bürger überfordert. Wenn die maßgeblichen Reformen schon vor 16 Jahren begonnen hätte, hätte man die Kostensteigerungen ganz anders abfedern können. Jetzt steht man vor einer Bruchsituation, wo man viele Dinge viel zu schnell durchsetzen muss, und es gibt Schwierigkeiten in der Umsetzung. Ich bin mal gespannt, wie unsere Freunde das schaffen. Es gibt ja Kritiker, die Hartz IV aufschieben wollen, aber wie Schröder gesagt hat: Da müssen wir jetzt durch.
Kommen wir noch mal auf Wilhelmshaven zurück. Die SPD hat Wilfrid Adam nach seiner Abwahl als MdL einen prima Arbeitsplatz beschafft. Da bekommt ein Genosse einen hoch dotierten Job. Viele Leserbriefschreiber haben sich darüber aufgeregt. Kannst du diese Kritik verstehen?
Dass Adam nicht wieder in den Landtag einziehen würde, kam überraschend. Er hat in Hannover viel für Wilhelmshaven erreicht und versteht etwas von Häfen. Dass man dann sieht, wie man ihn entsprechend einbinden kann, das hat etwas mit Haltung und Anstand zu tun. Nach 20 Jahren gemeinsamer politischer Arbeit lasse ich niemanden fallen!
Vielen Dank für das Gespräch.
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