Demografischer Wandel
Jan 312017
 

Schrumpfgermanen

Ein Blick in die aktuelle Einwohnerstatistik

(iz) Laut einer aktuellen Presseinformation aus dem Rathaus ist die Wilhelmshavener Bevölkerung im vergangenen Jahr um 345 Personen auf 79.123 Einwohner (mit gemeldetem Hauptwohnsitz) gewachsen. „Damit zeigt die Entwicklungskurve bereits zum zweiten Mal nach oben; schon im Vorjahr konnte – bedingt durch die Zuwanderung von Schutzsuchenden – ein Anstieg der Einwohnerzahl registriert werden.“ Tatsächlich sähe die Bevölkerungsentwicklung ohne Zuzüge und Familienzuwachs von AusländerInnen weniger rosig aus:

gesamt Deutsche Ausländer
Einwohner 1.1.2016 78778 73069 5709
Geburten 675 579 96
Sterbefälle 1091 1062 29
natürlicher Saldo -416 -483 67
Zuzüge 5580 3341 2239
Wegzüge 4819 3514 1305
Wanderungssaldo 761 -173 934
natürlicher & Wanderungssaldo 345 -656 1001
Einwohner 31.12.2016 79123 72413 6710

 

Ohne diesen nichtgermanischen Zuwachs wäre die Bevölkerung im letzten Jahr um 656 (0,9%) geschrumpft. Die Anzahl der ausländischen EinwohnerInnen ist von 7,2 auf 8,5% angewachsen. „Im Jahr 2016 haben Wilhelmshavener Mütter 675 Babys zur Welt gebracht. Das sind nicht nur fast 14 Prozent mehr Geburten als noch 2015, sondern sogar die höchste Anzahl von Geburten seit 15 Jahren.“ Ein überproportianaler Anteil von 14% dieser Babies sowie 40% der Zuzüge ist unseren AusländerInnen zuzurechnen.

Die Kernaussage der Presseinfo ist, wenn man die dahinter liegenden Zahlen genauer betrachtet, durchaus interessant. Eine Schlussfolgerung ist allerdings etwas albern: „Damit sinkt auch das Durchschnittsalter der Wilhelmshavener: Lag dieses laut Einwohnerstatistik im Jahr 2015 noch bei 46,3 Jahren, war der Durchschnittswilhelmshavener im Jahr 2016 46,2 Jahre alt.“ Eine Verjüngung um einen Monat – da wartet man besser einen längeren Zeittraum ab, ehe man das beschreit.

AusländerInnen und MigrantInnen
Quelle: WHV Einwohnerzahl 2017 Kurzinfo (Sztadt Wilhelmshaven).

Quelle: WHV Einwohnerzahl 2017 Kurzinfo (Stadt Wilhelmshaven).

Den Begriff „Ausländer(innen)“ muss man differenziert betrachten und sorgfältig von „Migrant(inn)en“ unterscheiden, wie nebenstehende Aufschlüsselung zeigt. Ein Drittel der AusländerInnen (=Einwohner ohne deutsche Staatsbürgerschaft) sind EU-BürgerInnen. Insgesamt haben mehr als ein Fünftel der Einwohner unserer Stadt einen Migrationshintergrund, d. h. sie sind außerhalb Deutschlands geboren; fast 9700 (knapp 60%) der Migrantinnen haben mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft. 2016 wurden 116 Menschen neu eingebürgert (seit 2008 sind es jährlich immer ca. 100 plusminus 15).

Wie geht es weiter?
Bevölkerung1853-2015

Entwicklung der Einwohnerzahl WHV 1853-2015 (klick für detaillierte Ansicht)

Das Niedersächsische Landesamt für Statistik prognostiziert, ausgehend vom Stand 1.1.2014, folgende Bevölkerungsentwicklung für WHV: 2020: -4,9%; 2025: -8,3 %; 2030: -12%. Die Berechnungen des Landesamtes sind im Rathaus umstritten. 2011 ergab der sogenannte Zensus statt 81.261 nur 77.451 Einwohner. In einer ausführlichen Analyse wies der Leiter der Dienststelle Statistik/Wahlen auf Ungereimtheiten bei der Ermittlung der hiesigen Einwohnerzahl hin. „Vollständig erfasst wurden nur die Einwohner in Sonderbereichen (z.B. Wohnheime, Anstalten u.ä.). Die übrige Bevölkerung wurde nur in Form einer Stichprobe (Bundesdurchschnitt: 10 %, in Wilhelmshaven jedoch nur 5,5 %) befragt; die Erkenntnisse wurden hochgerechnet. Die auf diese Weise festgestellte neue amtliche Einwohnerzahl ist die Basis für die Fortschreibung (Geburten, Sterbefälle, Zuzüge und Fortzüge).“ Die Einwohnerzahl bzw. deren Entwicklung ist nicht nur eine Prestigefrage, sondern Grundlage für den Finanzausgleich durch das Land Niedersachsen.
2014 konnte das Landesamt noch nicht Zustrom an Flüchtlingen erahnen, der seit Herbst 2015 den Kommunen deutschlandweit neue MitbürgerInnen bescherte. Durch die mittlerweile verschärfte Flüchtlingspolitik werden sich die Wanderungsgewinne jedoch nicht mehr in diesem Maß fortsetzen. Es bleibt also spannend, inwiefern die Prognose des Landesamtes zutrifft. Dabei liegt Wilhelmshaven mit einer Schrumpfprognose von 12% bis 2030 im landesweiten Mittelfeld, Städte wie Salzgitter, Goslar und weitere in der Harzregion werden nach dieser Berechnung 20% oder mehr ihrer Einwohner verlieren. Beeindruckende Zuwächse von 10 bis 15% haben nur Vechta und Cloppenburg zu erwarten. Für ganz Niedersachsen ist ein Verlust von 5,1% vorhergesagt. Ausschlaggebend bleiben die bundesweit zu beobachtenden Umverteilungsprozesse, die von den einzelnen Kommunen nur begrenzt gesteuert werden können. Ohne den Mut, ausgetretene Pfade zu verlassen, wird Wilhelmshaven jedoch nie aus der Masse provinzieller Kommunen heraustreten, die alle das Schicksal einer stagnierenden bis schrumpfenden Entwicklung teilen.

 

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