Che Guevara
Okt 272005
 

Platt gemacht

Che Guevara an der Landesbühne: Ein Griff ins Klo

(iz) Wer ist eigentlich der Mann mit der Baskenmütze, dessen einprägsames Konterfei bis heute T-Shirts und Feuerzeuge ziert? Mit dieser Frage wollte sich Bühnenautorin Katharina Gericke dem Phänomen Ernesto „Che“ Guevara nähern. Kein schlechter Anfang – doch was am Ende rauskam, wird dieser Persönlichkeit und ihrem historisch-gesellschaftlichen Kontext nicht gerecht.

Che„Gericke erteilt Vereinfachungen eine Absage“, betitelt WZ-Kritiker Norbert Czyz seine Besprechung, in der er allein dreimal das Prädikat „brillant“ verleiht und auch ansonsten mit Begeisterung und Superlativen nicht spart. Was Gericke beabsichtigte und was Regisseur Ulrich Hüni draus gemacht hat, beschreibt der Kollege durchaus zutreffend; ob man das toll findet, ist eine andere Sache.
Eine „Persiflage auf den Marxismus“ soll Gerickes Stück sein, liest man im Programmheft. Wozu soll das gut sein, wenn es sich, in Zeiten von Hartz IV, nicht gleichzeitig mit dem Kapitalismus befasst? Diese isolierte, rein destruktive „Auseinandersetzung“ mit dem Marxismus ist ebenso anachronistisch wie uninteressant.
„Von Soldaten … gejagt wie die Hasen, finden Che Guevara (Oliver Hildebrandt) und seine Getreuen … immer wieder Zeit und Gelegenheit, sich sowohl mit sich selbst, ihren Liebschaften als auch mit vereinfachten Weltbildern und sozialen Ungerechtigkeiten zu befassen.“ Was ist daran neu und überraschend? Wer erwartet denn, Revolutionäre würden schießen statt reflektieren und überdies im Zölibat leben? Weiter geht’s: Gericke „entlarvt Ches Ansatz von der sozialistischen Revolution als idealistisch und naiv zugleich“. Darauf hat die Welt gerade gewartet. Das marxistische Weltbild wird als „vereinfacht“ dargestellt; worin besteht dann das – offensichtlich davon abweichende – komplexe Weltbild der Autorin und des Kritikers? „Dazu greift sie zu Mitteln wie Ironie, Irritation und Zynismus“, schreibt Czyz. Die Irritation bestand darin, dass man bis zum Ende des Stückes vergeblich auf etwas Substanzielles wartete; statt dessen fiel das Niveau ins Bodenlose.
Der Absturz begann schon, als das Stück angespielt wurde. Da war die spätere Kulisse – ein grasiger, abschüssiger Urwaldhügel – noch ein Großraumbüro. Geben Sie einer 10. Realschulklasse die Aufgabe, darzustellen, dass Menschen der Bürokratie (hier gemeint: das kubanische sozialistische System) überdrüssig werden. Da kommt dann das dabei raus: Die Darsteller sitzen in Reih und Glied an stählernen Schreibtischen und vollführen im Takt die gleichen stumpfsinnigen Aufgaben – Stempeln, Abzeichnen, Ablegen (was übrigens verdächtig an das Szenario von „Sekretärinnen“ erinnerte). Um plötzlich und gleichfalls simultan die Tische umzustoßen und davonzulaufen.. „ … eines von vielen starken Bildern mit großer Symbolkraft“? Schlichter geht’s nimmer in Sachen Visualisierung.
Was Czyz als „Ironie“ bezeichnet, ist Slapstick der flachsten Kategorie. „Thomas Schweins parodierte als Agent (Gonzales – red) den Pseudo-Cowboy“, erwähnt Czyz unter „brillante Schauspielleistungen“. Soll heißen: Schweins flippt, vermutlich vom Regisseur dazu verdonnert, mit laienhaft überzogener Mimik und Gestik und albernem Gesang durchs Bühnenbild, was dem pubertierenden Teil des Publikums stets neue Lachsalven entlockt. Seine Warnung „Wollen Sie auch in einem Sportstadion enden?“ (Anspielung auf die Ermordung Salvador Allendes) bietet Stoff für einen hintergründigen „running gag“ – der sich aber bekanntlich – und hier auch – tot läuft, wenn er allzu oft strapaziert wird.
„Ulrich Hüni hat die tiefgründigen Überlegungen der Autorin zu Sinn und Zweck von Ideologien und den Erfolgsaussichten von Revolutionen in einem ironischen Strudel mitgerissen, ohne sie zu verdecken“, beschreibt Czyz, was Autorin und Regisseur wollten und vermutlich auch glauben erreicht zu haben. Gerickes Überlegungen sind so „tiefgründig“, dass sie einem völlig verborgen bleiben. Der „Strudel“ erweckt eher den Eindruck eines hilflosen Regisseurs, der ins Trudeln kommt bei dem Versuch, einen schlechten Stoff möglichst schmerzfrei zu inszenieren.
Die Leistungen einzelner Mitwirkender soll das nicht schmälern: Sei es das Bühnenbild (Diana Pähler), dessen Anblick allein Allergiker schniefen ließ, wie auch Kostüme und Maske (die unvermittelt und augenzwinkernd den „Maximo Lider“ Fidel Castro in Erscheinung treten ließ). Wirklich ulkig war die live von den DarstellerInnen dargebotene akustische Urwaldkulisse. Überzeugende Charaktere lieferten – soweit der unerquickliche Rahmen es ihnen erlaubte – Oliver Hildebrandt als Che, Verena Held als Pereida, Roland Wolf als Gary Prado. Heike Clauss gab als Tanya den Marilyn-Monroe-esken Gegenpol zu Che als Popsymbol, verlor jedoch, wie Cowboy Gonzalez, grotesk überzogen an Wirkung.
Der „Chor der Hausfrauen“ ließ anfangs noch auf Brecht’sche Anleihen hoffen, blieb sich auch bis zum Ende treu – und dadurch ein Fremdkörper in dieser angeblichen „Absage an alle Vereinfachungen“, die an ihrer Oberflächlichkeit erstickte.
Katharina GerickeDer von Czyz gepriesene „Zynismus“ bestand allenfalls darin, sich über das Scheitern einer sozialistischen Idee lustig zu machen – während die multinationalen Konzerne mehr denn je ihre Siege feiern. Ihre Aktionäre würden sich zu Gerickes „Ironie“ bestimmt brüllend die Schenkel klopfen.
Ein distanzierter und differenzierter Blick auf den Mythos Che, stellvertretend für viele Gegenentwürfe zu dem System, das er bekämpft und das sich seit seiner Zeit nicht wesentlich verändert hat, hätte eine großen Stoff für großes Theater geben können. Eine „kritisch-humorvolle Würdigung Che Guevaras“ soll Gericke beabsichtigt haben. Dass das geht, und wie das geht, beweist der unlängst in den Kinos gezeigte Film „Die Reisen des jungen Che“ („The Motorcycle Diaries)“ – der einen bislang eher wenig beachteten, aber wesentlichen Ausschnitt seiner Biografie widerspiegelt. Es war sehr mutig, fast zeitgleich zu diesem Volltreffer das Thema auf die Landesbühne zu bringen. Es war wagemutig von Gericke, sich aus einem offensichtlich äußerst beschränkten Blickwinkel heraus an den Stoff zu wagen. Und der Versuch ist voll in die Hose gegangen.

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