SPD-Kandidatenkür
Jun 012006
 

Generationswechsel – nein danke!

Über Quaker und Platzhirsche

(red) Da geht ein politisch interessierter Genosse am 19. Mai zur Kreisdelegiertenkonferenz in Kaisers Hotel und muss erstaunt feststellen, dass seine Partei gar nicht auf Zuhörer eingestellt ist. Sitzgelegenheiten gab es im Kaisersaal nur für die 60 Delegierten. Glück für ihn, dass dann doch noch ein Stuhl am Pressetisch frei war. Unerfüllt blieb jedoch sein Wunsch nach dem zu beschließenden Wahlprogramm. Anscheinend hatte man aus Sparsamkeit nur 60 Exemplare für die Delegierten gedruckt. Da sage noch einer, die SPD könne nicht mit Geld umgehen.

Was gibt’s vom Tagungsverlauf zu berichten?

b_spdBegrüßt wurden die gewählten VertreterInnen der Ortsvereine durch den Unterbezirksvorsitzenden Norbert Schmidt, der danach – wie gewohnt – mit kernig-knackigen Sätzen die Erfolge der SPD-Fraktion in der vergangenen Ratsperiode vortrug. Kurz war seine Rede und schon deshalb gut. Nur bei einem seiner Sätze musste Sigmund Freud schmunzeln. Schmidt erklärte: „Wir müssen alles daran setzen, dass wir aus der Schuldenfalle nicht herauskommen.“ Doch so einen Versprecher muss man ihm bei der ohne Manuskript gehaltenen Rede schon zugute halten.
Danach traten die Delegierten der elf Ortsvereine in Aktion. Sie hatten das örtliche Wahlprogramm der Partei abzusegnen, das den Delegierten am 9. Mai zugesandt worden war. Weshalb man es unterließ, vor der Verabschiedung auch den Ortsvereinen die Möglichkeit zu geben, es zu diskutieren, wird wohl ein Geheimnis des UB-Vorstandes bleiben.
Die Delegierten schafften es, das alphabetisch geordnete Programm in ganzen 14 Minuten abzuarbeiten. Und ohne den Altgenossen Bruno Weber wäre es sogar noch schneller gegangen. Der machte als Einziger mehrere Anmerkungen zu den aufgeschriebenen Thesen und verlängerte so den Abstimmungsverlauf um 4 Minuten. So kritisierte Weber den ursprünglichen Text zum Buchstaben Q. Da war der bedeutungsvolle Satz zu lesen: „Quaker gibt es überall, leider fehlen ihnen die Alternativen.“ Diesen klugen Satz wollte Weber so nicht stehen lassen. Eine Änderung wurde ihm zugesagt.
Zugegeben, es mag für die Autoren des Programms schwierig gewesen sein, einen Satzanfang mit dem Buchstaben Q zu finden. Hier hätte unser Genosse helfen können. Bei Q hätte ein Satz des Lucilius (180 – 103 v. Chr.) wohl besser gepasst: „Quis leget haec?“ – was soviel bedeutet wie „Wer wird das Zeug lesen?“
Nach dem Abnicken des Wahlprogramms kam man zum für die Parteioberen wichtigsten Teil des Abends, der Nominierung der KandidatInnen für die Kommunalwahl im Herbst 2006.
Da man die Reihenfolge der Kandidaten für die sechs Wahlbereiche vorher schon ausgekungelt hatte, waren Überraschungen kaum zu befürchten. Alle SPD-Platzhirsche hatten sich wie üblich auf die vorderen Plätze setzen lassen, die ihnen eine Wiederwahl in den Rat nahezu garantieren.
Hatten Müntefering, Platzeck und auch Beck auf Parteitagen und Großveranstaltungen dafür plädiert, in allen Gremien der Partei den so dringend nötigen Generationswechsel zu vollziehen, so schienen diese mahnenden Worte die Obergenossen an der Jade nicht erreicht zu haben.
Im Gegenteil. Da hatte doch der Ortsverein Heppens im Wahlbezirk III den Mut gehabt, mit Volker Block einen eben 32-jährigen Parteifreund auf einen aussichtsreichen Listenplatz zu setzen. Dagegen protestierte der jüngst vereinigte Ortsverein Villenviertel/Tonndeich/Neuengroden durch seine OV-Vorsitzende und benannte statt diesem jungen Hoffnungsträger den wesentlich älteren Genossen Hans Hartmann, der schon einmal (von 1981 bis 1991) im Rat saß und nun wohl plötzlich Lust verspürt, erneut auf einem Ratssessel Platz zu nehmen. Und wie entschieden sich die Delegierten? – So, wie es Otto Reuter, Berliner Original und Liedermacher, in einem seiner Gassenhauer als Refrain getextet hat: „Nehm’n se den Alten.“
Eine weitere Platzverschiebung gab es noch im Wahlbereich IV. Da der Sengwarder Ortsbürgermeister Ehnste Lauts (CDU) sich aufs Altenteil begeben will, spekulieren die Sengwarder Sozis darauf, durch Platzierung ihres dörflichen Spitzenkandidaten Martin Toepel auf einem günstigen Listenplatz den neuen Ortsbürgermeister stellen zu können. So ließ man Ludwig Jürgens von Listenplatz 5 auf Listenplatz 6 absacken und besetzte Platz 5 mit Martin Toepel. Ob dieser Platz aber reicht, um in den Rat zu kommen, ist bei der anhaltenden „Beliebtheit“ der SPD ziemlich fraglich.
Übrigens stellte der Gastgenosse fest, dass die Delegierten recht großzügig mit ihren Stimmen umgingen. Von 60 zu vergebenden Stimmen erhielten auf allen Listen die meisten BewerberInnen zwischen 58 und 60.
Und noch eins brachte den Genossen ins Grübeln: Da erhielt z.B. im Wahlbereich VI der auf den ersten Platz der Liste gesetzte ehemalige Landtagsabgeordnete Wilfrid Adam 56 Stimmen. Der auf Platz 3 gesetzte Holger Barkowsky bekam 59 Stimmen. Und die auf Platz 7 gesetzte Elke Dittmann erhielt mit 57 Stimmen immerhin noch eine mehr als Adam. Eigentlich, so dachte er sich, wäre es doch nur logisch, dass damit Barkowsky den Listenplatz 1 bekommen müsste, Elke Dittmann müsste von Platz 7 auf Platz 2 hüpfen, und Wilfrid Adam dürfte sich über den 3. Platz freuen oder auch nicht.
Offensichtlich spielt die Stimmenanzahl nur dann eine Rolle, wenn es gilt, einen Kandidaten von einem aussichtsreichen auf einen der unteren Plätze zu spedieren.
Wenn aber (außer den zwei oben geschilderten Ausnahmen) doch alles so bleibt, wie es vorher festgezurrt war, weshalb wird dann überhaupt gewählt? Darüber wird sich der Genosse wohl noch lange den Kopf zerbrechen.

War noch was?

Ach ja. Unser Genosse – der schon einigen solcher Delegiertenkonferenzen beigewohnt hat – stellte fest, dass die Konferenzen von Ratsperiode zu Ratsperiode immer kürzer werden. Diesmal benötigte man grade mal anderthalb Stunden. Nach dem Ende dieser Sitzung traf unser Genosse einen gleichfalls älteren Mitgenossen. Man kam ins Gespräch. Er sagte: „Früher dauerten solche Konferenzen mehrere Stunden. Doch da wurde noch um jeden Listenplatz gekämpft und nicht alles so hingenommen, wie die Funktionäre es gern gehabt hätten. Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein.“ Und unser Genosse antwortete ihm: „Leider.“

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