Zwischen den Zeilen
Ein Blick hinter die Kulissen grüner Ratspolitik
(iz) Seit die Wilhelmshavener Grünen in der Mehrheitsgruppe des Rates sitzen, scheinen die ökologischen Wurzeln der Partei in den Hintergrund zu treten – zumindest in der öffentlichen Wirkung, z. B. durch Ergebnisse von Ratsbeschlüssen. Jüngst geäußerte Vorwürfe, dass er den „Naturschutz lediglich vor Wahlen zu entdecken pflege“, will der grüne Ratsherr Werner Biehl nicht auf sich sitzen lassen.
Vergangenen Monat überreichte Biehl dem GEGENWIND eine fast sechzig Seiten umfassende Dokumentation seines Engagements für den lokalen Natur- und Umweltschutz von 1998 bis heute: Redetexte, Presseinformationen, Briefwechsel. Aus Platzgründen mussten wir manches weglassen (RUZ – s. Meldung, Agenda 21, EU-Naturschutzrecht u. a.). Neben Biehls Anliegen, seine Aktivitäten darzustellen, bringt diese Gesamtschau kompakt ans Licht, welchen Stellenwert Natur und Umwelt in der Wilhelmshavener Stadtplanung besitzen. Was zwischen den Zeilen steht, fügt sich fast nahtlos in unsere langjährige Berichterstattung zum Thema ein. Und welche Aktualität Aussagen dieser Dokumente (leider) heute noch besitzen, zeigt sich spätestens bei der Lektüre unseres Berichts zum Bebauungsplan westlich der Neckarstraße in diesem Heft.
Mehr als zwanzig Seiten der Dokumentation befassen sich allein mit dem Bebauungsplan 75d (ehemaliges Hochschuldorf Rüstersiel). Das dort entstandene „ökologische Desaster“ (Biehl), dem Hartmut Siefken in der WZ vom 13.8.99 einen fast ganzseitigen Artikel widmete, lässt sich in Kürze nur annähernd vollständig zusammenfassen: In Jahrzehnten war auf der brachliegenden Fläche ein beachtlicher Gehölzbestand aufgewachsen, der für viele Bauherren genau den Anreiz bot, sich dort häuslich niederzulassen. Hauptinvestor und Erschließungsträger war die damals noch städtische Wohnbaugesellschaft „Jade“. Grundstücke und Erschließungstrassen wurden von vornherein so zugeschnitten, dass der Tod der meisten Bäume programmiert war. Die restlichen starben dadurch, dass sie plötzlich aus dem umgebenden Bestand freigestellt wurden und als Einzelbäume nicht mehr überlebensfähig waren. Durch den zwischengeschalteten Investor war bzw. fühlte sich keiner richtig zuständig, weder die Stadt, noch die „Jade“, noch die einzelnen Bauherren. Hinzu kamen gravierende Kompetenzprobleme zwischen Umwelt- und Planungsamt.
Am 28.10.1999 verfassten das städtische Planungsamt und das Umweltamt (Untere Naturschutzbehörde) gemeinsam mit weiteren Ämtern, die an Bebauungsverfahren beteiligt sind, eine Dienstanweisung „Künftiger Umgang mit vorhandenen Bäumen und Grünbeständen in Bebauungsplänen mit zu erhaltendem Baumbestand und/oder Grünbestand“. Die besagt unter anderem, dass zukünftig „Bäume nur im Bereich der nicht überbaubaren Bauflächen bzw. im Bereich von öffentlichen Flächen zur Erhaltung festgesetzt werden sollen. Private Grundstücke mit Baumbestand sollen entsprechend groß vorgesehen werden, damit Bäume und Bauvorhaben auf dieser Fläche nicht in Konflikt geraten. Des weiteren soll ein verantwortlicher Projektleiter als Ansprechpartner für das gesamte Baugebiet benannt werden. Erschließungsträger bzw. private Bauherren müssen für Bäume, die im Plan als erhaltenswert festgesetzt wurden, Schutzvorkehrungen nach entsprechenden Fachvorschriften treffen. Das Umweltamt ist ab Erschließungsbeginn zuständig für die Kontrolle der Schutzmaßnahmen „im Rahmen personeller Möglichkeiten“ und kann bei Zuwiderhandlung Sanktionen bis zur Stillegung der Baustelle verhängen.“
Am 16.11.1999 schreibt ein betroffener Bauherr an den Leiter des Planungsamtes: „Sehr geehrter Herr Witt, wie ich … zufällig erfuhr, plant die Jade bzw. die Stadt … eine Änderung des Bebauungsplanes … Damit sollen der Jade zusätzliche Bauflächen eingeräumt werden. Aus Sicht des Investors ist der Antrag logisch, da dadurch aus finanziell wertlosem Baumbestand Bauland mit von mir geschätzten 200.000 DM Mehreinnahmen durch Grundstücksverkauf werden … Um den Weg frei zu machen, werden als erstes Argument die störenden Bäume auf den begehrten Flächen kurzerhand als ‚abgängig’, also Brennholz oder Gefahrenpotential deklariert … Nicht in Ordnung finde ich in diesem Zusammenhang, dass die Jade im Vorgriff auf dieses Verfahren offenbar anlässlich einer Ausstellung in der Nordseepassage … die entsprechenden Flächen bereits als Bauland in Übersichten dargestellt hat … daraus zeigt sich doch, dass der Kommerz die treibende Kraft ist … Ich … habe angesichts der idyllischen Lage und in Kenntnis des damaligen Bebauungsplanes … am Hochschuldorf ein Grundstück zu überdurchschnittlichem Preis erworben und bebaut … Mit den vorgesehenen Änderungen geht weiterer Lebenskomfort für immer verloren…“ Herr L. erhebt Einspruch gegen die geplante Änderung und schließt mit der Bitte um entsprechende Rechtsbehelfsbelehrungen.
Biehl erhält Kenntnis von dem Brief. „Die gesamte Angelegenheit B-Plan 75 D“ und „der offensichtliche außerordentlich ‚rücksichtsvolle Umgang’ mit dem Erschließungsträger Wobau Jade“ veranlassen Biehl zu einem Schreiben an den städtischen Baudezernenten Kottek. Darin geht er auf das planerische Wirrwarr und den Konflikt zwischen Planungs- und Umweltamt ein und stellt fest, dass die vom Umweltamt vertretenen Belange im Sinne des Naturschutzes „offensichtlich nicht berücksichtigt wurden. Das Ergebnis: 90 Prozent des gesamten … festgesetzten Baumbestandes ist tot, abgeholzt, wird totgehen und dann abgeholzt, wird den Interessen des Erschließungsträgers auch nachträglich noch geopfert … Die lt. ihrer Aufgabe und gesetzlichen Grundlage geäußerten Bedenken des Amtes 36 sind in voller Tragweite in Rüstersiel eingetroffen.“ Biehl erläutert gegenüber Kottek den todbringenden Effekt, wenn ein Baum aus einem geschlossenen Bestand plötzlich künstlich freigestellt wird – was dem Stadtplanungsamt, das eine „hochbezahlte Biologin beschäftigt, nicht entgangen sein“ dürfte. Des weiteren verweist er auf Schäden im Wurzelbereich durch Versiegelung und Tiefbauarbeiten („Das sind doch Grundkenntnisse, die ich schon als Biologiestudent erfahren habe.“) „Mit Interesse“ nimmt Biehl die oben beschriebene Dienstanweisung zur Kenntnis, als „erster positiver Ansatz im Sinne des Baumschutzes“, befürchtet jedoch, nach den schlechten Erfahrungen mit dem Bebauungsplan, „dass sich das Papier erst einmal gut liest, die Umsetzung aber eine andere Sache ist.“ Biehl lässt Kottek nicht darüber im Unklaren, dass er dieses Schreiben an einen „ausgewählten Personenkreis“ einschließlich der „örtlichen Medienlandschaft“ weiterleitet.
Dass Biehl seinen Brief an Kottek so weit streut, findet der Oberstadtdirektor gar nicht witzig und schreibt ihm: „Ich sehe in Ihrem Verhalten eine Verletzung der Amtsverschwiegenheit, die ein Bußgeldverfahren nach sich ziehen kann.“ (Wobei er nicht auf Biehls Anmerkung eingeht, dass vor ihm bereits andere Mitglieder des Rates und der Verwaltung ihre Stellungnahmen entsprechend gestreut haben.) Auch Biehls Äußerung über die „hochbezahlte Biologin“ kritisiert Schreiber als diskriminierend.
Wirklich interessant wird es bei Schreibers inhaltlicher Stellungnahme, worin er den Bebauungsplan verteidigt: „Ein Grundelement der Planung bestand darin, die bestehenden Straßenstrukturen zu erhalten.“ Die „ursprünglichen Hoffnungen der Planer“, wenigstens einige Bäume zu erhalten, konnten „nicht erfüllt werden“. (alle Hervorhebungen d. Verf.) Von „weit über 30 Einzelgesprächen mit Grundstückseigentümern“ über die Erhaltung von Bäumen waren „einige … erfolgreich, andere nicht. Die Erfahrungen daraus schlagen sich in der Dienstanweisung nieder, die das Festsetzen von Bäumen künftig in überbaubaren Flächen von vornherein ausschließt.“ Nicht verkneifen kann sich Schreiber den Seitenhieb auf Biehl, dass diese „Abwägung … vom Rat auch mit Ihrer Stimme so beschlossen“ wurde.
Im Ergebnis ist für Schreiber „immer noch erheblich mehr erreicht worden, als wenn man … von vornherein auf die Festsetzung von Bäumen … an Straßen oder in der Nähe von überbaubaren Flächen“ verzichtet hätte. Ausgebliebene Kontrollen und Sanktionen entschuldigt Schreiber mit der „chronischen Unterbesetzung der städtischen Ämter … im 8. Jahr der Wiederbesetzungssperre …“ Abschließend wirft Schreiber dem grünen Ratsherrn vor, durch die Verbreitung von „falschen Behauptungen, Verdächtigungen und falschen Sachverhalten“ dem Ruf der Verwaltung und der Wobau Jade geschadet zu haben.
Auf Schreibers Vorwürfe, die städtische Geheimniskrämerei gegenüber dem Bürger nicht mitzutragen, reagierte Biehl nicht, wohl aber inhaltlich: „Es geht darum, bei der Entwicklung von B-Plänen sich eben nicht das Tempo vom Investor alleine diktieren zu lassen … Die ernste Alternative, die vorhandene Öko-Struktur des Gebietes als Grundlage der Planung überhaupt erst einmal in Erwägung zu ziehen, wurde erst gar nicht betrachtet.“ Die Orientierung an einer Nachhaltigkeit „schließt ein, dass notfalls eine zukünftige Straßenstruktur überdacht und die Planung eben auf die ‚unartigen’ Bäume ausgerichtet werden muss. Die Festsetzung der Bäume überhaupt ist insgesamt hier völlig überflüssig gewesen, da die gesamte Planung … ohne Bedenken der Konsequenzen durchgeführt wurde.“
Biehl bezieht sich nochmals auf den Bauherrn L. und betroffene Nachbarn: „ … 75D beweist doch, dass festgesetzte Bäume, die hinterher doch alle umgehauen werden, dem Bauinteressenten ein ökologisch wertvolles, attraktives Baugebiet so lange vorgaukeln, bis die Motorsägen diesem ‚Öko-Spuk’ ein Ende bereiten.“
Schreiber hatte das Planungsamt in Schutz genommen, Biehl nimmt Partei für das Umweltamt. Die Untere Naturschutzbehörde (UNB) stand nach dem planungsseitig verfügten Todesurteil gegen den alten Baumbestand „vor einem ökologischen Desaster“, dem sie nur noch durch Forderung nach alleenartigen Neuanpflanzungen begegnen konnte. Diese Notmaßnahme als „ausdrücklichen Wunsch“ der Naturschützer zu bezeichnen, sowie „zu behaupten, 10 Prozent erhaltener Bäume seien mehr als nichts“, kreidet Biehl dem Oberstadtdirektor als „purer Zynismus“ an.
Kurz vor Weihnachten, dem Fest der Liebe, gibt es statt weiterer Briefe ein persönliches Gespräch zwischen Biehl, Witt und Kottek, in dem man u. a. übereinkam:
„Eine Kommune ohne Geld kann städteplanerisch nicht mehr gestalten. Sie ist den Wünschen von Investoren, Bauträgern und privaten Bauherrn quasi ausgeliefert … Daraus entwickelt sich seit Jahren ein städteplanerisches Defizit, das mit den Zielsetzungen, wie sie von der UNB verfolgt werden, extrem kollidiert Der Investor will/muss jeden Quadratmeter vermarkten und die UNB muss um jeden Quadratmeter kämpfen …“
Im folgenden Jahr beschäftigt sich Biehl in Schreiben an die Presse mit der Baumschutzsatzung und möchte wie folgt zitiert werden: „Durch die Herausnahme aus der Schutzwürdigkeit gingen an allen Ecken der Stadt große majestätische Bäume verloren, die oft stadtbildprägenden Charakter hätten. … Um jede grüne Insel im Stadtgebiet und um jeden Baum müsse gekämpft werden. Zur Zeit fühle er sich in diesem Kampf ausgesprochen alleine auf weiter Flur …“
Immer wieder kommt er auf ökologische Festsetzungen in Bebauungsplänen zurück. Deren Einhaltung wird mangelhaft kontrolliert, die Nichtbeachtung nicht sanktioniert. Biehl: „Das hat nicht nur was mit Personalmangel zu tun, sondern mit Akzeptanz, und was und wer in der Stadtverwaltung eigentlich ernst genommen werde.“ Dabei verweist er u. a. auf das Baugebiet Stadion Friedenstraße, „dessen teilweise Scheußlichkeit durch nichts mehr zu überbieten ist.“
Der Kahlschlag im Baugebiet Zedeliusstraße bewegt ihn, in Anlehnung an Berechnungen von Frederic Vester, gegenüber den Ratskollegen die ökonomischen Verluste zu errechnen, die z. B. durch entgangene Luftreinigung, Grundwasserhaushalt, Bodenfilterung usw. durch jeden gefällten Baum entstehen. In einer Pressemitteilung deklariert er den Baum, bezogen auf städtische Umgangsweisen („die Anpassung der Natur an das Vermarktungsoptimum“), als „Ungut“. Und kommt zu dem Schluss:
„Die Wilhelmshavener Praxis der Stadtplanung beseitigt mittelfristig den gesamten alten Baumbestand außerhalb der Parks.“
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