Arbeitsloseninitiative
Aug 012001
 

ALI trifft Riester

Am 21. Juli besuchte der Bundesarbeitsminister Walter Riester Wilhelmshaven. Die Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland nutzte diese Gelegenheit, ihm ihre Forderungen vorzutragen. Für den Fall, dass ein Gespräch nicht möglich sein würde – bei Ministern weiß man nie so genau, wie schnell sie wieder weg sein müssen, wenn sie mit schwierigen Themen konfrontiert werden – hatte die ALI einen Brief vorbereitet, in dem sie u.a. schrieb: „Arbeitslos wird man in der Regel auch nicht, weil man das Recht auf Faulheit für sich in Anspruch nimmt, sondern weil man in einem Betrieb die Kündigung erhält und anschließend keinen zumutbaren Arbeitsplatz findet.

Darüber muss diskutiert und nachgedacht werden und nicht darüber, wie der Druck auf diejenigen, die schon genug Druck im Leben verspüren, noch erhöht werden kann, um sie dann bürokratisch trickreich ins existenzielle Abseits zu manövrieren.“
Mit Brief und Stellungnahme passten die ALI-Leute Herrn Riester bei der „WZ“ ab – und waren angenehm überrascht darüber, dass er fast eine halbe Stunde mit ihnen diskutierte. Sie konnten ihm die Eckpunkte ihrer Stellungnahme im direkten Gespräch vortragen.
Die ALI fordert:

  1. die grundsätzliche Rücknahme der jährlichen 3%-Kürzung bei der Arbeitslosenhilfe
  2. die Aufhebung der geltenden Zumutbarkeitsregelungen, d.h. die Wiederherstellung des Berufs- und Einkommensschutzes
  3. Angebote mit Perspektive statt Zwang
  4. Vermittlung nur in tarifliche Arbeitsverhältnisse, keine Sondertarife bei Maßnahmen der Arbeitsförderung
  5. Rentenversicherungsbeiträge bei der Arbeitslosenhilfe nach 80% des Bemessungsentgeltes
  6. verbesserte Regelungen bei der Arbeitslosenhilfe für Paare
  7. Beibehaltung der Arbeitslosenhilfe als Lohnersatzleistung im Arbeitslosenrecht
  8. keine Anrechnung des Kindergeldes auf die Sozialhilfe.

Die gesamte Stellungnahme der ALI:

Stellungnahme zur Reform der Arbeitsförderung

Hier: Eckpunkte der Regierungskoalition für ein Job-Aqtiv-Gesetz
Eine Reform der Arbeitsförderung im Sinne der vorgelegten Eckpunkte für ein Job-Aqtiv-Gesetz lehnt die Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland ab. Zwar werden einige vorgeschlagene Maßnahmen in den Bereichen Frauenförderung, Qualifizierung, Neuregelungen bei Transfermaßnahmen, Anspruchsvoraussetzungen bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, Besserstellung Erwerbsgeminderter positiv bewertet. Doch zentrale Bestandteile wie die mit weitergehenden Sanktionen verbundene „Eingliederungsvereinbarung“, die Verlagerung der Arbeitsvermittlung auf sog. Dritte und die Ausweitung der Leiharbeit gehen am Kern des Problems vorbei. Instrumente wie z.B. die verbindliche Eingliederungsvereinbarung erwecken zudem gefährliche Illusionen: Man muss nur „Fördern und Fordern“ – dann klappt es auch mit den Arbeitsplätzen. Umverteilung der Arbeit und öffentliche Investitions- und Beschäftigungsprogramme gehören weiterhin nicht zum Politikangebot von Rot-Grün.
1. Eine verbindliche Eingliederungsvereinbarung zur Beendung der Arbeitslosigkeit für alle Erwerbslosen ist angesichts von ca. 1,5 Millionen geschätzten zu besetzenden Stellen bei einem Arbeitsplatzdefizit von ca. 7 Millionen unrealistisch und unsinnig

  • Allein nach der Statistik der Arbeitsämter kommen auf eine offene Stelle 6 2/3 Erwerbslose, in Ostdeutschland sind es sogar 18. Auch mit viel Phantasie ist für uns nicht nachvollziehbar, wie Eingliederungsvereinbarungen zur Integration in den Arbeitsmarkt führen sollen, wenn nicht gleichzeitig zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Doch die sind nicht in Sicht – allerdings ist Arbeitsplatzabbau in erheblicher Größenordnung angekündigt.
  • Die Folge ist weitere Bürokratisierung: Abgesehen davon, dass die Arbeitsämter nicht über genügend Personal verfügen, um diesen zunehmenden Arbeitsaufwand zu erfüllen, werden noch mehr Daten erhoben, noch mehr Formulare ausgefüllt, noch mehr Stellungnahmen geschrieben werden müssen. Außerdem bleibt fraglich, welche Rechte der/die Erwerbslose hat, wenn auch nach Überprüfung keine Einigung über zu vereinbarende Maßnahmen zustande kommt.
  • Eine passgenaue Vermittlung ist keine neue Idee des Riester-Ministeriums. Arbeitsämter sind auch heute schon aufgefordert, unter Berücksichtigung der besonderen Situation des Einzelnen und des Arbeitsmarktes Eingliederungsperspektiven aufzuzeigen und entsprechende Maßnahmen zu vereinbaren. Dies ist unserer Meinung nach ausreichend!
  • Die Verlagerung der Vermittlung an „Dritte“, um in sog. „Assessment-Centern“ die berufliche Eignung zu testen oder Maßnahmeträger mit Vermittlungsgebühren zu belohnen, kommt einem Verschiebebahnhof gleich. Seit Jahren gibt es in der Bundesrepublik die individuelle Form der Arbeitsvermittlung außerhalb der Arbeitsämter, deren Ursprünge in dem niederländischen Maatwerk-Konzept liegen und deren Grenzen inzwischen bekannt sind: Es gibt für Einzelne zwar positive Perspektiven, dadurch werden aber keine Arbeitsplätze geschaffen. Arbeitsplätze entstehen allenfalls bei Bildungsträgern oder Leihfirmen. Mangels „Erfolg“ wurde diese Art der Vermittlung z.B. in Bremen wieder eingestellt.
  • Dass die Zugangsbedingungen für Maßnahmen der Arbeitsförderung erleichtert werden sollen, dann aber eine neue Maßnahme erst nach einer „Wartezeit“ von drei Jahren möglich sein soll, ist völlig unverständlich und in der Gesamtbetrachtung der Eckpunkte unlogisch, wenn eine passgenaue Vermittlung angestrebt wird.

2. Die angekündigten „Klarstellungen“ bei Sperrzeiten bedeuten zusätzliche Möglichkeiten zur Disziplinierung Erwerbsloser und zur Manipulation der Arbeitslosenstatistik, schaffen aber keine Arbeitsplätze.

  • Obwohl sich – wie auch im Bündnis für Arbeit festgestellt wurde – im internationalen Vergleich der Sanktionsregelungen die in Deutschland wohnenden Erwerbslosen als besonders arbeitswillig ausweisen, sollen trotzdem die Sperrzeitregelungen erweitert werden. Nach den Vorstellungen des Ministeriums sollen Erwerbslose eine Sperrzeit bekommen, wenn sie z.B. nicht unverzüglich einen Vorstellungstermin vereinbaren oder durch ihr Verhalten im Vorstellungsgespräch eine Arbeitsaufnahme vereiteln. Unsere Erfahrungen zeigen, dass es zunehmend schwieriger wird, die Arbeitgeberseite überhaupt zu erreichen (z.B. Briefkastenfirma) oder der Arbeitgeber beim vereinbarten Termin nicht erscheint. Das Vorstellungsgespräch findet in der Regel unter vier Augen statt. Wer garantiert, dass sie Arbeitsämter darüber wahrheitsgemäß informiert werden? Kann am Ende die Frage nach Arbeitsbedingungen oder nach einem Betriebsrat ein Anlass zur Sperrzeit sein? Widersprüche und Klagen werden Arbeitsämter und Gerichte beschäftigen. Schon jetzt ist der Verwaltungsaufwand hoch und viele Sperrzeiten werden gerichtlich aufgehoben.
  • Wer insgesamt 24 Wochen Sperrzeit hat, verliert nach geltendem Recht seine Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung. Da die Regelsperrzeit 12 Wochen beträgt, bedeutet eine wiederholte Sperrzeit das Erlöschen des Anspruchs. Zweimal beim Vorstellungsgespräch versagt – und schon ist ein Erwerbsloser weniger im Leistungsbezug. Viele tauchen ab, resignieren und verschwinden aus der Statistik.

3. Die Ausweitung von Leih- und Zeitarbeit, Jobrotation und andere unterstützende Maßnahmen beschleunigen das Jobkarussell. Für einzelne Erwerbslose ein Vorteil, da sie wieder einen Arbeitsplatz finden bzw. ihren Arbeitsplatz erhalten, insgesamt werden jedoch keine zusätzlichen existenzsichernden Arbeitsplätze geschaffen. So besteht z.B. der Hauptanteil der neu registrierten Erwerbsarbeit in 630 DM-Jobs, von denen allein niemand leben kann.

  • Leih- und Zeitarbeit sind nach wie vor Arbeitsverhältnisse zweiter Klasse, denn sie werden im Verhältnis zu regulärer Arbeit um 30 Prozent schlechter bezahlt. Auch Tarifvereinbarungen mit diesen Firmen gewährleisten nicht das Entgelt-Niveau des Entleihbetriebs. Außerdem sind Zeit- und Leiharbeit ein Instrument der Flexibilisierung und zielen nicht auf Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze.
  • Auch Jobrotation kann für einzelne Erwerbslose eine Möglichkeit sein, wieder ein Beschäftigungsverhältnis zu finden, ein fester Arbeitsplatz wird jedoch damit nicht garantiert. Positiv ist immerhin, dass die sog. Stellvertreter sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden sollen, im Unterschied zum NRW-Modell, wo sie weiterhin Arbeitslosengeld oder –hilfe beziehen.
  • Bei den im S.I.S. angebotenen Stellen handelt es sich zunehmend um Angebote, bei denen die Bezahlung nicht ausgewiesen ist. Oft verbirgt sich dahinter, dass nicht nach Tarif gezahlt wird. Viele Angebote weisen einen Stundenlohn am unteren Rand aus. Nach eigenen Angeboten prüfen die Arbeitsämter die Arbeitsangebote nicht. So passiert es immer öfter, dass zu Arbeitgebern vermittelt wird, die als „schwarze Schafe“ bekannt sind. Regelmäßig verschicken die Arbeitsämter auch Stellenangebote mit Sperrzeitdrohung, ohne deren gesetzliche Zulässigkeit vorher zu prüfen. Aufgrund unserer Erfahrungen sagen wird deshalb: Nicht die Erwerbslosen müssen gefördert und gefordert werden, sondern die Arbeitgeber müssen endlich gefordert werden, dass sie existenzsichernde Arbeitsplätze schaffen!

4. Die Regelung zur Aussetzung der jährlichen 3%-Kürzung der Arbeitslosenhilfe bei Nachweis von Qualifikationserhalt ist halbherzig, widersprüchlich und führt zu Ungleichbehandlung. Die 3%-Kürzung muss generell abgeschafft werden.

  • Anerkannt werden soll nur eine mindestens 6-monatige vom Arbeitsamt geförderte Qualifikation oder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Ehrenamtliche Tätigkeit, die Qualifikation erhält, will man zwar ermöglichen, sie soll aber bei der 3%-Kürzung nicht zählen.
Wir fordern:
  1. die grundsätzliche Rücknahme der jährlichen 3%-Kürzung bei der Arbeitslosenhilfe
  2. die Aufhebung der geltenden Zumutbarkeitsregelungen, d.h. die Wiederherstellung des Berufs- und Einkommensschutzes
  3. Angebote mit Perspektive statt Zwang
  4. Vermittlung nur in tarifliche Arbeitsverhältnisse, keine Sondertarife bei Maßnahmen der Arbeitsförderung
  5. Rentenversicherungsbeiträge bei der Arbeitslosenhilfe nach 80% des Bemessungsentgeltes
  6. verbesserte Regelungen bei der Arbeitslosenhilfe für Paare
  7. Beibehaltung der Arbeitslosenhilfe als Lohnersatzleistung im Arbeitslosenrecht
  8. keine Anrechung des Kindergeldes auf die Sozialhilfe

Qualifizierte, existenzsichernde Arbeit und ausreichende materielle Absicherung während der Erwerbslosigkeit!

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