Dem braunen Müll eine Abfuhr erteilen
20. März 2004: Nazi-Aufmarsch in Wilhelmshaven stoppen!
(iz/antifa) Unter der Parole ”Heimreise statt Einreise” hat die NPD für den 20. März 2004 einen Aufmarsch in Wilhelmshaven angemeldet. Der antifaschistische Widerstand findet große Unterstützung. Dabei sollte der Kampf gegen den täglichen Faschismus, der unsere Gesellschaft immer noch und immer wieder prägt, nicht in Vergessenheit geraten.
Mit der Parole „Heimreise statt Einreise – denn deutsche Kinder braucht das Land” veranstaltet die NPD seit Herbst 2003 in verschiedenen niedersächsischen Städten Aufmärsche, die bislang auf großen und effektiven Widerstand stießen. In Braunschweig (18.10.2003) konnten 200 Neonazis erst nach über einer Stunde losmarschieren, nachdem die Polizei die Einhaltung der Auflagen kontrolliert hatte. Träger von Bomberjacken und Springerstiefeln durften nicht mitmarschieren. Der Verfassungsschutz war trotz seiner „Vertrauens“-Leute in den Reihen der Rechtradikalen (Dazu aktuelles Buch von Rolf Gössner: Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates. ISBN 3-426-77684-7) überrascht, dass NPD und militante Kameradschaften wieder gemeinsam auftreten.
1.600 DemonstrantInnen stoppten trotz Polizeiauflagen den Neonazi-Aufmarsch und zwangen ihn zum vorzeitigen Abbruch, und das, obwohl den GegendemonstrantInnen eine Stunde vor Demobeginn ihre geplante Marschroute untersagt wurde. 1.600 Polizisten konnten den Rechten nicht die rechtlich erstrittene Innenstadt-Route freihalten, der Widerstand war zu heftig. Verärgert folgte die NPD der polizeilichen Anweisung umzukehren.
In Lüneburg (29.11.2003) schützten 2.000 PolizistInnen den Aufmarsch von etwa 150 Faschos. 1500 Menschen stellten sich ihnen in den Weg. Der Widerstand wurde von fast 80 Organisationen, von Antifa-Gruppen über Gewerkschaften bis zu Bauernvereinigungen, unterstützt. Auf jeder Straße der genehmigten Marschroute liefen die Nazis gegen Transparente „Wir scheißen auf Nazis“ oder „Nazis nach Hause schicken“. Die Polizei setzte Schlagstöcke und Pfefferspray gegen die AntifaschistInnen ein. Die Verletzten erhielten von Anwohnern Verbandszeug für die Platzwunden oder konnten sich in Geschäften das Spray aus den Augen waschen. Etwa 80 Personen kamen in Gewahrsam.
Trotz des Polizeieinsatzes wurden auch die NPD-Abschlussreden gestört. Als die Rechten die verbotene erste Strophe des Deutschlandliedes anstimmten, stellte die Polizei das Band sicher. In der Predigt eines Gottesdienstes anlässlich der Protestaktionen hieß es: „Gesicht zeigen! – Wir lassen nicht zu, dass der Antisemitismus bei uns wieder gesellschaftsfähig wird (Nach Berichten u.a. aus der taz).
Osnabrück (28.2.2004) ist die letzte Station der menschenverachtenden Nazis-Kampagne vor Wilhelmshaven. Die Nazis erwarten „tatkräftige Unterstützung“ aus Nordrhein-Westfalen. AntifaschistInnen aus unserer Region werden den Widerstand unterstützen. Für Wilhelmshaven sind zahlreiche Aktionen und im Vorfeld Informations- und Diskussionsveranstaltungen geplant.
Mittwoch, 28.01.2004, 20 Uhr: 2. Vorbereitungstreffen der AntifaschistInnen im Gewerkschaftshaus Wilhelmshaven, Weserstr. 51 / Ecke Virchowstr.
Mittwoch, 18.02.2004, 20 Uhr: Videos zu den Naziaufmärschen in Wilhelmshaven und Oldenburg 1992 (Gewerkschaftshaus)
Samstag, 20.03.2004, 11 Uhr, Valoisplatz: NPD-Aufmarsch in Wilhelmshaven
Anderswo:
Hamburg, 29.1.-28.3. 2004: Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944“. Kampnagel Hamburg, Jarrestraße 20, 22303 Hamburg. Di-Do 10-18 Uhr, Fr-So. 10-19.30 Uhr. Eintritt € 5,-; erm. € 2,50; Schulklassen € 1,- p. P. Führungen (öffentlich, Gruppen, Schulklassen): Anmeldung unter 040-428131-0
Die Ausstellung wird in Hamburg letztmalig in der Öffentlichkeit gezeigt und im Anschluss im Deutschen Historischen Museum in Berlin eingelagert.
Hamburg, Samstag, 31.1.2004, 11 Uhr: U-/S-Bahnhof Barmbek: Demonstration gegen den Aufmarsch der „Freien Nationalisten“ anlässlich der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“
Osnabrück, Samstag, 28.2.2004: Demonstration gegen den Nazi-Aufmarsch. Treffpunkt 11 Uhr, Bahnhofsvorplatz.
Weitere Infos
Aktuelles zum Naziaufmarsch in WHV: http://hometown.aol.de/antifawhv/Startseite.html
Die Parole „Heimreise statt Einreise“ führt zurück auf die Blutspur der Pogrome Anfang bis Mitte der 1990er Jahre, u.a. in Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen oder Hünxe. Die Neonazis haben bewiesen, dass sie es ernst meinen mit „ihrem Deutschland“. Hunderte von rassistischen Morden und Menschenjagden, Anschläge auf Flüchtlingsheime, Synagogen und jüdische Friedhöfe sind dafür die schlagenden Beweise (Hintergrundinfos teilweise zitiert nach Alhambra Zeitung, Oldenburg).
Die Republikaner im nordrhein-westfälischen Landtag ergänzten den CDU-Fraktionsvorsitzenden Rüttgers („Kinder statt Inder“) um die Parole: „Wir tun, was andere versprechen.“ Durchgängig erhalten die Neonazis ihre Stichworte von führenden Vertretern aus Politik, Wirtschaft und anderen Organisationen, selbst von kirchlichen Führern (s. Kasten „Stichwortgeber“).
Die Stichwortgeber
Die Erben des Holocausts, führende deutsche Vertreter aus Politik, Wirtschaft und anderen Organisationen, dürfen schon wieder ungestraft rassistische, antisemitische, menschenfeindliche Parolen unters Volk streuen und damit den Neonazis, den Erben der NSDAP, die Stichworte für ihre Aktionen liefern. Hier nur einige Beispiele. „Wir sind so voll, wir können nicht mal einer afrikanischen Ameise Asyl gewähren.“ (Horst Niggemeyer, ehem. Bürgermeister von Datteln / NRW). „Die Grenzen der Belastbarkeit durch Zuwanderung sind überschritten.“ (Otto Schily, Bundesinnenminister, früher RAF-Verteidiger, 1999) „Das Bekenntnis zum Deutschtum gehört ebenso dazu (zur Anerkennungsvoraussetzung für Spätaussiedler) wie die Beherrschung der deutschen Sprache.“ (Michael Glos, CSU-Landesgruppenchef, 1997) „Wir wollen nicht, dass sich hier Lebensformen etablieren, die nicht deutsche sind, wo man nicht unsere Bräuche pflegt.“ (derselbe, 1999) “Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: Raus und zwar schnell.“ (Gerhard Schröder, seinerzeit nds. Ministerpräsident, 1997) „Es ist nun einmal so, dass dort wo Müll ist, Ratten sind und dass dort, wo Verwahrlosung herrscht, Gesindel ist. Das muss in der Stadt beseitigt werden.“ (Klaus Landowsky, CDU-Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus, 1997) „Wer nicht pariert, der gehört gegebenenfalls gefesselt oder geknebelt, bis er den Zielort erreicht. Die Humanitätsduselei Menschen gegenüber, die diesen Staat ausbeuten, muss einfach ein Ende haben.“ (H.-J. Irmer, CDU-Kreisvorsitzender Wetzlar, 2000) „Polen und Juden sind die größten Ausbeuter des deutschen Steuerzahlers.“ (Heinrich Basilius Streithofen, Dominikanerpater, 1990) „Jeder Mann hegt biologischen Verrat, wenn er eine Partnerin fremder Rasse heiratet … so dass dadurch die Bastardisierung hier gefördert wird.“ (Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung, 1996)
Alle Zitate aus: Ein deutsches Alphabet. Antirassistisch Interkulturelles Informationszentrum ARiC Berlin e.V.
„Die Grenzen der Belastbarkeit durch Zuwanderung sind überschritten“, sprach Innenminister (und früherer RAF-Verteidiger) Otto Schily 1999 und erhielt dafür Beifall von den Grünen bis zu den Republikanern. Der Naziterror auf deutschen Straßen wurde jahrelang totgeschwiegen. Zu Beginn des neuen Jahrtausends riefen Politiker plötzlich zu Zivilcourage und einem „Aufstand der Anständigen“ auf. Nicht aus Sorge um die Opfer der Neonazis, sondern um den Wirtschaftsstandort Deutschland, dessen Ansehen im Ausland sie gefährdet sahen. Die „Greencard“ sollte hochqualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland nach Germany locken. „Schily: Wenn mir Siemens sagt ‚Wir brauchen so und so viele (Zuwanderer), bin ich sofort bereit. Da brauchen wir kein Zuwanderungsgesetz. Das geht schon mit dem geltenden Ausländergesetz.“ (Interview Süddeutsche Zeitung) „Diplomaten, Politiker und vor allem Geschäftsleute, Unternehmen und Wissenschaftler aus allen Ländern der Welt sind bei uns herzlich willkommen.“ (Thesenpapier Landesparteitag CDU Berlin, 1997) Ungebildete, arme, politisch verfolgte Immigranten sind weniger denn je erwünscht.
Gerade Politiker jener Parteien, die damals zum Kampf gegen rechte Gewalt aufriefen, waren und sind jedoch maßgeblich daran beteiligt, die Grundlage für die heutige rassistische Stimmung zu schaffen. Flüchtlinge werden als „Kriminelle“, „Sozialschmarotzer“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“ diffamiert, in Sammelunterkünften zusammengepfercht und in Abschiebeknäste eingesperrt.
Antisemitismus wird wieder gesellschaftsfähig. Angefangen mit dem Aufbegehren des Schriftstellers Martin Walser gegen die „Dauerpräsentation der Schande von Auschwitz“ („Jeder kennt unsere geschichtliche Last, die unvergängliche Schande, kein Tag, an dem sie uns nicht vorgehalten wird“), ist es mittlerweile en vogue, die Deutschen als Opfer und nicht Täter des zweiten Weltkrieges darzustellen. Die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ des Hamburger Institutes für Sozialforschung passt nicht in dieses Bild und wird in Kürze aus dem Verkehr gezogen (s „Termine“). Der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann darf die Juden ungestraft als „Tätervolk“ bezeichnen. Der Bau des Holocaust-Mahnmals in Berlin wird gestoppt, weil eine Tochterfirma der mitbauenden Degussa in der NS-Zeit das Todesgas Zyklon B produziert hat. Einzige Sorge der ebenfalls mitbauenden Wilhelmshavener Firma Geithner ist, dass sie durch den Baustopp wirtschaftliche Verluste erleiden könnte. Ein Mann aus Schortens äußert in einem WZ-Leserbrief seine Bedenken, wegen der hohen Kosten für das Mahnmal könne die Ortsumgehung Schortens oder der JadeWeserPort nicht finanziert werden. Nach einer „langen, intensiven und sehr ernsthaften Diskussion“ fällt das Mahnmal-Kuratorium die „schwierige Entscheidung“ (Kuratoriumsvorsitzender Wolfgang Thierse), dass Degussa und auch der IG-Farben Nachfolger Bayer weiterbauen dürfen. Degussa verdient doppelt am Holocaust, erst an dessen Unterstützung, dann am Mahnmal. Und Geithner kann aufatmen.
Die Neonazis knüpfen an diesen gesellschaftlichen Mainstream an. Am 13. März 2004 marschieren sie in Bochum gegen den Bau der dort geplanten Synagoge ( „Stoppt den Synagogenbau – 4 Millionen für das Volk“). „Der Bau der Synagoge in Bochum soll 6 (!) Millionen Euro betragen, wovon nur 2 Millionen die jüdische Gemeinde zu tragen hat. 4 Millionen müssen also durch die Stadt und durch ‚Spenden‘ (also durch den deutschen Michel) getragen werden … In Zeiten, wo … dem deutschen Volk durch Sozialabbau das Genick gebrochen wird und der wirtschaftliche Niedergang tagtäglich zu beobachten ist, können wir uns dies nicht bieten lassen.“ In Dresden gedenken die Neonazis am 14. Februar der „Opfer des Alliierten Bombenterrors 1945 in Dresden.“ Am 31.1. marschieren sie in Hamburg gegen die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“.
Hunderte von Naziaufmärschen in den letzten 10 Jahren durch viele deutsche Städte sind bereitwillig von der Polizei geschützt worden. Doch wo sich viele Menschen entschlossen und mit verschiedensten Mitteln den Nazis in den Weg stellen, ist es möglich, sie zu stoppen. Es war möglich in Braunschweig und Lüneburg, und vermutlich wird es auch in Osnabrück und Wilhelmshaven möglich sein.
Doch der Kampf gegen den Faschismus darf sich nicht nur punktuell und als Reaktion auf besondere Aktionen der Faschos, anlässlich von Gegendemonstrationen oder in Form von Lichterketten, äußern. Es gilt, Strukturen innerhalb der Gesellschaft zu zerschlagen, die Faschismus und Rassismus hervorbringen. Faschismus fußt auf „Werten“ und Unterdrückungsmethoden, die integraler Bestandteil des hiesigen Systems sind. Ziel des Antifaschismus ist eine Gesellschaft, in der gleiches Recht für alle gilt und in der demokratische Mitwirkung unabhängig von einer geografischen Herkunft garantiert ist. Eine Gesellschaft, die frei von Ausbeutung und Unterdrückung ist und die auf der Gleichberechtigung aller Menschen und Solidarität basiert.
Es fängt damit an, den Kollegen aufzuklären, der behauptet, eine Statistik sei „getürkt“, und damit meint, sie sei gefälscht. Auch und gerade dann, wenn sich alle Kollegen entrüsten, man hätte wohl keinen Humor. Es hört noch nicht auf damit, Leserbriefe an die Tageszeitung zu schreiben, wenn sie regelmäßig berichtet, „südländisch aussehende Jugendliche“ hätten einen Kiosk ausgeraubt, während deutsche Jugendliche, die Gleiches tun, nur als Jugendliche genannt werden, was sie in der Wahrnehmung statistisch unauffälliger wirken lässt. Es geht damit weiter, in der Familie, in der Schule, in der Kneipe jedem Anflug von Diskriminierung von Menschen anderer geografischer, sozialer, intellektueller Herkunft entschieden entgegenzutreten. Man/frau macht sich damit oft keine Freunde, in erster Linie aber keine falschen Freunde. Es ist ein unbequemer, aber immer aufrechter Weg.
Das Ordnungsamt der Stadt Wilhelmshaven hat die Veranstaltung genehmigt, die WTF hat den Valoisplatz dafür vergeben. Damit ist man juristisch den Weg des „geringsten Widerstands” gegangen. In anderen Städten, z. B. Lüneburg, mussten die Nazis die Genehmigung vorm Verwaltungsgericht einklagen. Das Gericht knüpfte besondere Auflagen an die Genehmigung, was der Polizei größere Möglichkeiten gab, frühzeitig gegen bestimmte Aktivitäten der Faschisten einzuschreiten. Darüber hinaus zeigen Politik und Verwaltung einer Stadt, die nicht ohne Weiteres einen Naziaufmarsch genehmigt, deutlich ihren Widerstand gegen Faschisten.
Auf Einladung des Antifaschistischen Bündnisses Wilhelmshaven und des DGB fand Mitte Januar das erste Vorbereitungstreffen der Antifaschisten statt. Mehr als 60 Vertreter von fast 20 Organisationen aus Wilhelmshaven und bis nach Oldenburg und Ostfriesland, von der jungen Antifa bis zur Kirche, diskutierten, wie man dem Naziaufmarsch entgegentreten oder, im besten Fall, ihn schon im Vorfeld verhindern kann.
Je mehr Menschen sich daran beteiligen, um so erfolgreicher wird der Widerstand. Es wäre zu begrüßen, wenn beim nächsten Vorbereitungstreffen auch offizielle Vertreter der Stadt präsent wären.
Auch die Geschäftsleute in der Innenstadt werden sich mit dem Aufmarsch zur besten Einkaufszeit auseinandersetzen müssen. Ein Erfahrungsbericht aus Osnabrück nach der letzten Nazi-Demo: „Bei der letzten braunen Wisch- und Weg-Kampagne haben wir uns mehr über die Ignoranz der Osnabrücker aufgeregt als über die Polonäse dieses lächerlichen Karnevalsvereins. Zeitungskommentar: ‚Die armen Osnabrücker Kunden wurden bei ihrem Samstagseinkauf von randalierenden Gegendemonstranten gestört – was sollen die Leute aus dem Umland denken?’ – während die Braunen riefen: Ruhm und Ehre der Waffen-SS. Unser anschließender Leserbrief wurde nicht abgedruckt, und die Neue Osnabrücker Zeitung hatte drei Kunden weniger.“
Hoffen wir mal, dass die hiesige Tageszeitung die Gegenaktionen in Form von Vorankündigungen und anderen Infos rund um den Naziaufmarsch in Wilhelmshaven unterstützt und auch die Geschäftsleute sich nach Lüneburger Vorbild zur Antifa bekennen.
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