Landesbühne 1
Okt 181995
 

Unverstandene heilige Kühe

Brandender, nicht enden wollender Applaus nach der Premiere des Stückes ,,Heilige Kühe“ von Oliver Czeslik im Jungen Theater. Laut und leise, makaber, saukomisch‘ erschreckend, witzig, das alles war‘s. Aber was hat es ausgesagt? (Ich entstamme einer SchülerInnengeneration, der man beigebracht hat, nach dem Genuss eines Stückes zu fragen: ,,Was will uns der Dichter damit sagen?“)

Zum Glück hat mein Begleiter es auch nicht verstanden! Um der Sache auf den Grund oder doch wenigstens etwas näher zu kom­men, rekapitulieren wir, was wir gehört und gesehen haben. (Das habe ich damals auch gelernt: Wenn man ein Stück nicht auf Anhieb versteht, macht man am besten erst mal eine Inhaltsangabe davon.)
Wir kriegen alle Vorgänge wieder zusammen, aber der Durchblick stellt sich nicht ein. War die Ulli denn nun wirklich eine „Tempo“-Redakteurin, die die Nazis hintergeht, oder hat sie den Klementi hintergangen, indem sie ihm das vorgemacht hat? War der Gero wirklich der Führer all dieser Nazi-Organisationen, oder hat er das der Ulli nur vorgemacht? Oder hat die UIli das dem Klementi nur vorgemacht? Und warum war der Gero hinterher mal als Gefangener verkleidet? Um dem Klementi etwas vorzumachen? Aber nachdem sie dem die Augen ausgestochen hatten, war das doch nicht mehr nötig?!? – Ob wir mal spicken sollen, was in dem kleinen Heftchen steht? Unfair!
Nach einer weiteren Runde Nacherzählung die Ahnung: Der Dichter wollte uns vielleicht damit sagen, dass die Medien die Realität keineswegs abbilden, sondern Realität schaffen. Aber darüber ein Stück schreiben? Wissen das nicht eh schon alle? Oder wissen nur wir das? – Schließlich schauen wir doch in das Programmheft. Keine Inhaltsangabe, keine Interpretation, aber auf den Mittelseiten ein Pressespiegel. Spontane Zustimmung zur Kritik aus der „SZ“ von Franz Kotteder: „Das klingt ja nun ganz interessant. Leider ist das Stück über die rechte Gefahr aber ein rechter Krampf Ein wüstes Sammelsurium von Gemeinplätzen, banalen Erkenntnissen und expressionistisch angehauchtem Wortgewaber breitet der Autor da vor seinem Publikum aus…. Bleibt noch die Frage zu klären, was an diesem Theaterabend aus den heiligen Kühen geworden ist, die ja eigentlich zur Schlachtbank geführt werden sollten. Nach zwei langen Stunden kann man sagen: Es geht ihnen prima, sie sind wohlauf!“
heilige küheWer waren die „Heiligen Kühe“, die geschlachtet wurden? Der Glaube, dass man eine Trennlinie zwischen Gut und Böse ziehen könne? (Der ,,linke“ Dokumentarfilmer Karl Klementi sagt in einem Monolog, er wisse selbst nicht mehr so richtig, wer er ist.) Die Annahme, dass irgendetwas klar und sicher sei? Die Illusion, dass das, was zu sehen ist, wahr ist? Was ist die Botschaft? Die Medien gehen über Leichen, und wenn’s die eigenen sind?
Von Bekannten, die danach das Stück gesehen haben, erfuhr ich, dass sie es auch nicht verstanden haben. Ich habe es also doch richtig verstanden. ,,Alles gerät in die heilloseste Verwirrung“, lese ich – leider erst am nächsten Tag – in der Theaterzeitung. Hätte ich das vorher gelesen, dann hätte ich mir diese Verwirrung erspart. Oder war es am Ende die Absicht des Autors, dem Publikum ,,ein Stück“ Selbsterfahrung zu ermöglichen (,,Wie geht es dir, wenn du verwirrt bist? – Doch, halt‘ das jetzt mal aus!“)?
Anette Nowak

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