Landesbühne 2
Okt 181995
 

Besser ein Winter unterm Tisch als ein Leben im Klassenzimmer?

(iz) ,,Für mich war es sowieso ungenutzter Raum,“ erklärt Florence, die den Platz unter ihrem Tisch an einen Wohnungslosen vermietet hat. – Gewaltsam hingegen haben sich sechs Schüler ihren Lebensraum erobert. – Zwei aktuelle Inszenierungen der Landesbühne greifen gesellschaftliche Probleme in sehr unterschiedlicher Weise auf.

,,Ein Winter unterm Tisch“

ist die teils heitere, teils surrealistische Geschichte von Florence und ihren Freunden Dragomir und Gritzka. Florence verdient als Übersetzerin selbst wenig Geld. Sie besitzt nur Weniges und eben diesen Tisch: damit steht sie trotz ihrer Mittellosigkeit gesellschaftlich immerhin besser da als die beiden Freunde, die ,,ihre Füße unter diesen Tisch stecken“ dürfen, denn Florence besitzt auch ein großes Herz. Im Gegenzug erhält sie etwas, das sich für Geld nicht kaufen lässt: Freundschaft und Zufriedenheit. Florence‘ reiche ,,Freunde“, Verleger Thyl und die Geschäftsfrau Raymonde, glauben hingegen, nur als gutsituierte Ehe- und Karrierefrau könnte Florence glücklich sein. Sie schaffen es, die Untermieter aus der Wohnung zu locken und zerstören damit das kurze Glück der drei. Wird Florence ihre Freunde je wiedersehen?winter_unterm_tisch
Sicher liefert das Stück ,,Ein Winter unterm Tisch“ Botschaften: zur Klassengesellschaft und zum Umgang der Reichen mit den Unterprivilegierten, zu den Problemen der Zuwanderer aus dem Osten, zur Definition von Glück. In erster Linie macht das Stück aber einfach Spaß – offensichtlich auch den DarstellerInnen. Ein Riesen-Premierenapplaus galt dem Regisseur, Jegor Wyssozkij, der gleichfalls für Bühnenbild, Kostüme und Musik (Eigenkompositionen) sorgte. Weitere Aufführungen am Di. 31.10., so, 5.11., Sa., 14.11., Mo, 30.11., jeweils um 20 Uhr im Stadttheater.

,,Klassenfeind“

Ernsthafter geht es im ,,Klassenfeind“ von Nigel Williams zu: Von der Klasse 10A sind sechs Schüler übriggeblieben, die sich in ihrem Klassenzimmer verbarrikadiert haben. Kein ,,Pauker“ kommt mehr rein – freiwillig – denn die von Desinteresse, Pöbeleien und gewaltsamen Ausschreitungen vergraulten Lehrkräfte überlassen die Bande ihrem Schicksal und ihren Problemen: soziales Elend, Einsamkeit, Homosexualität, Krankheit der Eltern, Ausländerfeindlichkeit … Das 1978 entstandene Stück wurde damals zum ,,Play of the Year“ ernannt. Mit der zunehmenden Gewalt in unserer Gesellschaft, die sich unter anderem in den Schulen Luft macht – auch in Wilhelmshaven – erhält das Stück seine Aktualität. Schülerinnen, Lehrkräfte, Eltern sowie alle, die ernsthaft an der Lösung von Problemen unserer Kinder und Jugendlichen interessiert sind, sollten einen Besuch des Stückes als Chance nutzen, um sich den geschilderten Problemen anzunähern, sie gemeinsam zu diskutieren und die Situation zu verbessern. Ein anstrengendes Stück, sicherlich, kein ,,schönes“ Stück – aber ein sehr wichtiges.
Premiere am Sa. 4.11.; weitere Aufführungen am Sa. 11.11., und Mi. 22.11., jeweils um 20.00 Uhr im Stadttheater.

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