Unterschätzt?
Nach Elektronik Reichelt verläßt ein weiteres Unternehmen Wilhelmshaven.
(ts)Im März/April des nächsten Jahres wird die inzwischen zum zweitgrößten Naturfarbenhersteller der Bundesrepublik aufgestiegene Wilhelmshavener Firma BioPin ihre Zelte in dieser Stadt abbrechen und nach Jever umziehen. Der Grund für diesen Umzug der 1984 gegründeten Firma liegt darin, daß die Stadt Wilhelmshaven nicht in der Lage war, ein für die Vergrößerung des Unternehmens notwendiges Grundstück zur Verfügung zu stellen.
BioPin suchte neuen Raum, vorzugsweise im Industriegebiet, doch es konnte außer einem Gelände in der Nähe von ICI und einigen anderen im Gewerbegebiet nichts Brauchbares gefunden werden. Möglicherweise hat sich die Stadt ja auch nicht allzu sehr bemüht. Ben Palm, Chef von BioPin, hatte jedenfalls den Eindruck, daß man seine Firma bei der Stadt nicht sonderlich ernst nahm, jedenfalls bis es zu spät war. „Andere Städte haben sich mehr bemüht“, konnten wir bei einem Gespräch von ihm erfahren.
Insbesondere lobte er die Stadt Jever und deren Stadtdirektor Jens Hashagen, der sich im besonderen Maße für BioPin engagiert hat. Hashagen besuchte BioPin mindestens viermal, zeigte sich unkompliziert in Verhandlungen und fuhr sogar mit nach Hannover zu Gesprächen mit dem Wirtschaftsministerium. So konnte die Stadt Jever ein voll erschlossenes Gelände zur Verfügung stellen, und dieses auch noch billiger als die Stadt Wilhelmshaven.
In der zukünftigen Heimat von BioPin verlief alles weitaus unbürokratischer, und alle zogen an einem Strang. So saßen denn von der Feuerwehr bis zum Bauamt alle beisammen, als Ben Palm seine Baupläne vorlegte. Es wurde erörtert, was für Auflagen zu erfüllen sind, Probleme wurden aus dem Weg geräumt, und alle waren willens, etwas für die Ansiedlung von Industrie in Jever zu tun. Ein solch unbürokratisches Verhalten scheint in Wilhelmshaven hingegen undenkbar zu sein. Im Gegensatz zu Jevers Stadtdirektor hatte es unser Oberstadtdirektor Schreiber nicht nötig, zu BioPin zu kommen, stattdessen zitierte er den BioPin-Chef zweimal zu sich.
Nun wird also nach der Firma Reichelt ein weiteres Unternehmen Wilhelmshaven verlassen. Ein Unternehmen mit einer jährlichen Wachstumsrate von 25%, das bereit war, Investitionen in Millionenhöhe in Wilhelmshaven zu tätigen. Zwar bleibt der Trost, daß dadurch keiner der zur Zeit sechzehn Arbeitsplätze verlorengehen wird, aber die Stadt wird immerhin Steuereinnahmen in nicht unerheblicher Höhe in den Wind schreiben müssen. Angesichts der katastrophalen Finanzlage keine berauschende Aussicht.
Aber in Wilhelmshaven konzentriert man sich lieber auf gewaltigere, prestigehaltigere Projekte, z.B. das Helgolandhaus, in dem bisher kaum Wohnungen vermietet wurden, die EXPO 2000 am Meer (die hier so nicht stattfindet), oder das neue Bahnhofszentrum. Da kann man sich natürlich, wie Herr Schreiber selbst sagte „nicht um jeden kleinen Kiosk kümmern“. Man scheint dabei allerdings zu vergessen, daß mit solch einem mangelhaften Engagement nicht nur alteingesessene Firmen vertrieben werden, sondern auch eventuell interessierten kleinen und mittelständischen Betrieben kein Anreiz geboten wird, sich in Wilhelmshaven anzusiedeln. Die werden wohl eher nach Jever oder Schortens ziehen, wo man sie wenigstens ernst nimmt.
Bleibt noch hinzuzufügen, daß auch im Falle von BioPin der Wegzug nicht auf zu strenge Umweltauflagen zurückzuführen ist, wie die WZ ihren Lesern schon beim Scheitern der Verhandlungen mit der Firma Reichelt weiszumachen versuchte. Die sind nämlich überall in Niedersachsen die gleichen. Da setzt Wilhelmshaven ohnehin keine Zeichen.
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