Ins Maul geschaut
Knef-Musical „Der geschenkte Gaul“ im Stadttheater
(iz) Kurz vor ihrem Tod gestattete Hildegard Knef der Landesbühne die Welturaufführung ihres Musicals. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul – bei einer so hochkarätigen Vorlage kann nichts mehr schief gehen. Oder doch? Der GEGENWIND hat bei der Premiere lieber genau hingeschaut.
Vor zwei Jahren hatte die Knef erfahren, dass die Landesbühne Niedersachsen Nord ein Musical über sie schreiben wollte. Bereits 1979 hatte sie zusammen mit dem Komponisten Harold Faltermeyer aus ihrem Roman-Welterfolg „Der geschenkte Gaul“ ein Musical konzipiert, um es am Broadway zu realisieren. Daraus wurde damals nichts. Um so bereitwilliger holte sie nun die Fragmente für das Wilhelmshavener Projekt aus der Schublade. Ihr Roman endet mit dem Bau der Berliner Mauer 1961, für die aktuelle Bühnenfassung wurde die Geschichte in enger Zusammenarbeit zwischen Knef und Landesbühne fortgeschrieben. Nach Knefs Tod übernahm ihr Witwer Paul von Schell ihren Part.
„Die“ Knef, einer der künstlerisch wie menschlich konturenreichsten Weltstars aus Deutschland, und ihr autobiografisches Musical, ihr letztes großes Werk: Nicht am Broadway, wo sie in den 1950ern große Erfolge und den internationalen Durchbruch feierte; nicht in ihrer Heimat Berlin; nein, in Wilhelmshaven! Darauf kann die Landesbühne, kann die Stadt zu Recht stolz sein. Und es erweckte bundesweites Medieninteresse, dem die Veranstalter monatelang aktiv Vorschub leisteten. Zur Premiere durften nur geladene Gäste, „VIPs“ aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft, Vertreter von Presse, Funk und Fernsehen sowie Premieren-Abonnenten.
Konnte die Inszenierung am Ende den großen Erwartungen standhalten, mit denen sie unterfüttert war?
Das Premierenpublikum war entsprechend positiv voreingenommen und quittierte die Aufführung mit Szenen- und schier unendlichem Schlussapplaus. Anschließend begab man sich zur Premierenfeier in die Kunsthalle. Nachdem Intendant Hess in seiner Festrede sich, sein Ensemble und insbesondere die Hauptdarstellerin noch mal gefeiert hatte, war die Schlacht aufs kalte Büfett vom Feinsten freigegeben. Für die Raucher waren draußen mobile Gasöfchen aufgestellt – es war an alles gedacht für das leibliche und seelische Wohlbefinden. Bis dahin schien kein Körnchen eines Zweifels die Begeisterung trübe zu wollen. Doch dann kam es (passend zu Wilhelmshaven) wie in dem Märchen vom Kaiser, den sein listiger Schneider angeblich mit den schönsten Kleidern auf die Straße schickt. In Wirklichkeit ist der Kaiser nackt, aber weder er noch seine Untertanen wagen es, den lang erwarteten Auftritt durch ein Wort des Zweifels zu stören. Bis schließlich ein Kind ruft: „Aber er hat ja gar nichts an!“ Nichts ist so, wie es scheint, doch nur Kinder und Narren wagen darüber zu sprechen. Auch zur Premiere zeigte zunächst der Daumen einhellig steil nach oben, doch in der Kunsthalle regte sich später – nicht laut, aber in kleinen Gesprächsrunden – Kritik, sehr konstruktive und vielschichtige.
„Ein dreiviertel Jahrhundert Hildegard Knef: Wie der Schlitten auf einer Achterbahn. Mehr ist unmöglich … Ihr eigenes Musical weiter zu entwickeln, ihre Geschichte bis zum Ende zu erzählen, war für mich als Mit-Autor ein spannendes und faszinierendes Abenteuer.“ So Udo Becker, Komponist, Co-Autor und musikalischer Leiter des Musicals. 10 unbekannte Stücke der Knef hat er neu vertont und zusammen mit den Knef-Originalen ansprechend umgesetzt. Ein Lob auch für die Liveband.
„Was mich am Leben von Hildegard Knef fasziniert, ist diese unglaubliche und ungebrochene Energie. Trotz der vielen Schicksalsschläge hat sie immer den Kopf oben gehalten und weiter an das Leben geglaubt“ schwärmt Annette Mahlendorf (Bühnen- und Kostümbildnerin). Sie hat die Knef begriffen und ein passendes Bühnenbild geschaffen: 2 Treppen, mit 2 Laufstegen zu einem kreisförmigen Podest geschlossen, der hintere davon erhöht. In der Mitte die Band als Antriebsmoment für den Kreis-Lauf auf der Bühne. Im Wechsel von Auf und Ab, die ohne einander nicht können. „Von nun an geht’s bergab“ ist der Eingangssong zur Szene aus dem 2. Weltkrieg.
Film- bzw. Bildeinblendungen auf der Rückwand vermitteln 30 verschiedene biografische Schauplätze, durch die sich die acht Darsteller in raschem Kostümwechsel in etwa siebzig verschiedenen Rollen bewegen. Szenen aus dem Dritten Reich verbreiten Düsternis, das Wirtschaftswunder ist als Lacher gut.
Nach zahlreichem Szenenbeifall wird an einer entscheidenden Stelle nicht applaudiert. Nach dem „Sünderin“-Skandal (Film von 1950 – eine 6 Sekunden lange Nacktszene, die erste im deutschen Nachkriegsfilm, brachte ihr massive Kritik aus konservativen Kreisen ein) konstatiert die Knef, wegen eines Films würden die Deutschen Revolution machen, nicht aber wegen der Gaskammern. Eine Erfahrung, die die Knef ihr Leben lang bewegt hat. Die politische Knef. Es scheint, als sei wieder mal, 53 Jahre später, ein Publikum böse auf die Knef, weil sie sagt, was keiner hören will.
Die Wahl für die Hauptrolle fiel auf Franca Berlin aus der gleichnamigen Hauptstadt. Mit gerade 27 Jahren kann sie auf eine umfassende Schauspiel-, Musik- und Tanzausbildung und beachtliche Bühnenerfolge im Bereich Musical zurück blicken. „Dieses aufregende Leben erstmalig auf der Bühne zu zeigen, bedeutet für uns alle eine besondere Verantwortung“ sagt Regisseur Reinhardt Friese. Er will gar nicht erst versuchen, die Knef zu kopieren. Er will aber die Hauptrolle nicht mit einer Sängerin, sondern einer Schauspielerin besetzen – das entspricht schon mal der Knef. Dazu sieht Franca der jungen Knef noch recht ähnlich. Und gut singen kann sie auch nicht – genau wie die Knef. Der Unterschied zum Original ist aber, dass die einmalig verrauchte Stimme der Knef weder von Franca Berlin noch von sonst irgend jemanden kopiert werden kann.
Als Cole Porter die Knef 1954 entdeckte und für die Rolle der Ninotschka in seinem Musical Silk Stockings wollte (der Musical-Adaption des Lubitsch-Filmklassikers „Ninotschka“), sagte sie: „Das kann ich nicht.“. Er antwortete: „O ja, das können Sie!“ Es folgten 675 Vorstellungen am Broadway und damit der internationale Durchbruch für die junge Deutsche. Für Ella Fitzgerald war Hilde „the greatest singer in the world without a voice“ (etwa: die weltbeste Sängerin ohne Stimme).
„Die Möglichkeit, Hildegard Knefs facettenreichen Lebensweg zu interpretieren und den Zuschauern zu erzählen, ist mir eine Freude – und eine Ehre,“ sagt Franka Berlin. Den Lebensweg erzählt sie gut, aber die Interpretation gelingt ihr nicht. Ihr Spiel ist wenig facettenreich, sie spielt von Anfang bis Ende die gebrochene, früh gealterte Frau. Die Extreme, die die Knef ausmachten – entweder ging es ihr total gut oder total schlecht, dazwischen gab es nichts -, werden zwar im Text mit vielen Originalzitaten behandelt, aber nicht herausgespielt. Hilde-Franca rennt und rennt durch die Kulisse – auch wenn sie ausgehungert aus dem Krieg kommt oder schwer krebskrank ist – und kommt doch (fast) nie bei Hilde an.
„In Wilhelmshaven wird die junge Schauspielerin gefeiert, als sei sie selbst der Weltstar“ bemerkte der ZDF Theaterkanal am 23.2.03. Franca hat das nie für sich reklamiert; für sie ist es ein Engagement unter vielen. Dass sie der Rolle scheinbar nicht ganz gewachsen ist, muss aber kein Mangel an Können sein. Zum einen hat sie künstlerische Vorgaben: Auch der Regisseur bestimmt, wie die Knef in der Inszenierung daherkommen soll. Zum zweiten mag es ein Problem sein, dass er eben ein Regisseur ist und keine Regisseurin. Reinhardt Friese macht gute Arbeit, aber auf Grund seines Geschlechts, für das er nicht kann, mag er die Knef nicht so interpretiert haben, wie eine Frau diese Frau interpretiert hätte, die ihren Weg immer selbst bestimmen wollte, statt sich dem Schutz einer männlichen Hand zu unterwerfen. Zwischen Hilde und Franca stand also gewissermaßen der emotionale Filter Friese. Zum dritten ist da die Altersfrage. Dass Frieses Hilde von Anfang bis Ende in der gleichen Maske daher kommt wie am Anfang, als junge Frau, ist OK – die Knef hat sich selbst stets als „das Mädchen“ gesehen und von sich gesagt, sie sei innerlich nie gealtert.
„Für mich ist Hildegard Knef noch eine junge Frau gewesen“, sagte die 91-jährige Inge Meysel schockiert, nachdem Knef am 1. Februar 2002 mit 76 Jahren an einer Lungenentzündung gestorben war.
Aber kann eine 27jährige überhaupt glaubhaft eine Frau darstellen, die am Ende nicht nur fast 3mal so alt ist wie sie, sondern auch über ganz ungewöhnliche Lebenserfahrung verfügt?
Und konnte die Rolle wirklich nicht aus dem eigenen Ensemble besetzt werden? Was ein aufeinander eingespieltes Team bedeutet, bewiesen Verena Held und Susanne Menner in verschiedensten Rollen. Sie waren es auch, die den anfangs verhaltenen Schlussapplaus als Erste zum Brodeln brachten. Allerdings auch deshalb, weil man mit komischen Rollen, zumindest beim hiesigen Publikum, in der Regel leichter punkten kann. So schnappte sich Tobias Wessler mit durchaus begnadeten Parodien als Sportreporter oder Gerhard Schröder Sympathien. Ireneusz Rosinski beeindruckte auch gesanglich als Paul von Schell im Schlussduett mit Franca Berlin.
In der letzten Szene, im letzten Song ist Franca plötzlich ganz nah dran an der Knef, da kommt dann doch eine Interpretation. Da steht sie ganz einsam vorn auf der Bühne, beginnt ganz still: ich will … Für mich soll’s rote Rosen regnen … Die Knef hat es 1968 gesungen, als sie Erfolge als Chansonniere feierte – ein leiser , aber beschwingter Walzer. Franca singt es an der Stelle, als die Knef Abschied nimmt von einem Leben, in dem sie für kurze glückliche Episoden immer wieder und immer lange kämpfen musste. Da ist Franca ganz bei sich, und bei der Knef. Wie sie das singt, so ganz verhalten, zweifelnd, bittend … da ist es beinahe ein Blues. Da zeigt sich ihre Achtung und Ehrfurcht vor der Knef und ihre Verantwortung der Rolle, und dem Zuschauer kribbelt endlich eine befreiende Gänsehaut den Rücken runter.
Spätestens hier sollte klar sein: Dies ist kein „Verriss“ der Inszenierung. Die Kritik gilt in erster Linie unnötig überzogenen Erwartungen, welche die Landesbühne im Vorfeld selbst geschürt hat. Insgesamt scheinen die Vorschusslorbeeren bei den Mitwirkenden einen hohen Erwartungsdruck mit verstärktem Premierenfieber erzeugt zu haben: Viele Szenen und Übergänge wirkten kantig. Das wird sich bei den folgenden Aufführungen bessern. Paul von Schell ist übrigens sehr angetan von der Aufführung und besonders der Schauspielerin, die sein Hildchen verkörpert. Eine schöne junge Frau, die da seine geliebte verstorbene Frau wieder auferstehen lässt.
Die unterhaltsame wie authentische Nacherzählung der Biografie einer einmaligen Persönlichkeit sollten Fans der Landesbühne keinesfalls versäumen.
Die Vorstellungstermine im Stadttheater: Mi, 12.3. / MO, 17.3. / Sa, 22.3. / Fr, 4.4. / Di, 13.5. / Di, 5.8. / Sa, 9.8. / Fr, 15.8. / Sa, 16.8., jeweils um 20 Uhr. So, 23.3., um 15.30 Uhr.
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