Millionen für Illusionen
JadeWeserPort: Wie Visionen zu Gutachten und Gutachten zu Makulatur werden
(jm) Man gab und gibt sich über jeden Zweifel erhaben: Der JadeWeserPort wird die Initialzündung für einen Wirtschaftsaufschwung in der strukturschwachen Jaderegion auslösen. Doch die Begründungen, auf die sich diese eingängige These abstützt, hatten schon immer erhebliche Schlagseite.
Jetzt kippen sie – wie die Dominosteine – eine nach dem anderen um.
- Sehr früh schon ist die Seifenblase Privatfinanzierung des Projektes zerplatzt. Infolgedessen wälzt sich auf Niedersachsens Steuerzahler eine stetig steigende Kostenflut zu: Nach vorläufigem Zwischenstand hat der Pegel die Marke 275 Mio. Euro erreicht, nachdem Hamburg die Schotten dichtgemacht hat. Ein Höchststand ist noch gar nicht abzusehen. Schlimm könnte es auch Wilhelmshaven erwischen: Der Stadt droht eine Kostenbeteiligung von 35 Mio. Euro allein schon für den Terminalbau. (Quelle: Die Welt, 22.05.2002)
- Jüngst wurde von Sprechern des Nds. Wirtschaftsministeriums, der JadeWeserPort-Entwicklungsgesellschaft und vom BremenPORTS Management+Services mit sinngemäß gleichem Duktus erklärt, dass der Tiefgang künftiger Containerschiffe keine Rolle spiele. (taz, Bremen, 07.08.02) Wahrscheinlich hat man damit auf den vom französischen Bureau Veritas vorgestellten 12.500 TEU Megacarrier reagiert. Dieser Entwurf ist bei Werften und Reedern auf großes Interesse gestoßen. (Deutsche Schiffahrts-Zeitung, 11.07.02) Für dessen Konstruktionstiefgang von 14,50 m wird nun aber wirklich kein Tiefwasserhafen mehr gebraucht. Den haben bereits die in Fahrt befindlichen Jumbocarrier von Maersk, die seit Jahren Bremerhaven anlaufen. Das Gutachten Bedarfanalyse für einen Tiefwasserhafen in der Deutschen Bucht von PLANCO mit dem zum Bemessungsschiff erkorenen 12.000 TEU Carrier mit 15,30 m Tiefgang ist also nach zwei Jahren schon wieder Makulatur.
- Auch die Wachstumserwartungen im Containerumschlag haben einen kräftigen Dämpfer erhalten. Die Eurogate, die dereinst ein Teilstück des JadeWeserPort betreiben will, hat deshalb – sowie auf Grund des bevorstehenden Ausbaus ihrer Terminals in Hamburg und Bremerhaven – keine Eile mit ihrem Engagement an der Jade. Vor 2010 sieht sie dafür keinen Bedarf. (Quelle: HANSA Nr.6/2002) Aus 2010 kann auch schnell 2012, 2015 oder 2020 werden, denn die Dämpfung überspannter Wachstumserwartungen einerseits sowie die europaweite Bürgermeisterkonkurrenz andererseits wird weiterhin für Überkapazitäten im Hafenbau sorgen…
Ein Dominostein allerdings bleibt aufrecht stehen. Er wird gestützt vom unbeirrbaren Festhalten an einer verführerischen Illusion: Die von den tausenden Arbeitsplätzen. Doch manchmal beißt sich die Verheißung einer goldenen Zukunft mit der im Hier und Jetzt getroffenen Entscheidung:
Einerseits rechnet OB Eberhard Menzel den Friseuren vor, mit wieviel zusätzlichen Haarschnitten nach Inbetriebnahme des JadeWeserPort zu rechnen sei und andererseits schließt er mit der Ratsmehrheit die Schule Coldewey.
Übrigens, die Zahlengrundlage für seine haarsträubende Frisier-Rechnung ist dem Gutachten Wirtschaftliche Perspektiven des Jade-Weser-Raums unter besonderer Berücksichtigung des Jade-Weser-Ports der Institute für Wirtschaftsforschung in Niedersachsen und Bremen (NIW und BAW) zu entnehmen. Darin wird prognostiziert, dass in den Kreisgebieten Friesland, Wesermarsch, Wilhelmshaven und Wittmund bei Auslastung der 1. Ausbaustufe (ab dem Jahre 2015) 2.280 Arbeitsplätze drin liegen und nach weiteren Ausbaustufen bis zu 5.760 Arbeitsplätze gesichert und neu entstehen können.
In diesem Gutachten wird – was die Beschäftigung auf dem Terminal betrifft – mit völlig unrealistischen Zahlen operiert, die zudem einfach aus der Machbarkeitstudie abgeschrieben wurden. Die Gutachter haben sich dabei an dem damaligen Beschäftigungsstand in Bremerhaven orientiert, statt einen automatisierten Hafen dafür heranzuziehen. So kam man auf rund 1.000 Beschäftigte, die ab dem Jahre 2015 für die Bewältigung eines bis dahin angepeilten Containerumschlags von 1,8 Mio TEU erforderlich seien.
Zum Vergleich: Inzwischen ist in Hamburg beim Container-Terminal Altenwerder der Probebetrieb angelaufen. Zum Jahresende soll er auf Volllastbetrieb mit einer Jahresumschlagkapazität von 1,1 Mio. TEU gehen. Lediglich 300 Mitarbeiter sollen ab dann dort Beschäftigung finden. (N3 – Markt im Dritten, 12.08.02) Doch selbst diese werden bei weitem nicht alle auf dem Terminal beschäftigt, wie die BI Bürger gegen den JadeWeserPort herausgefunden hat: Nach ihren Ermittlungen soll ein Teil davon im benachbarten Güterverteilzentrum (GVZ) Anstellung finden und ein weiterer Teil bedarfsorientiert auf die verschiedenen Hamburger Terminals der Betreibergesellschaft HHLA verteilt werden. Für die reine Umschlagtätigkeit am CT Altenwerder würden lediglich 68 Mitarbeiter benötigt.
Aber auch bezüglich der indirekten Arbeitsplätze scheint den Gutachtern des JadeWeserPorts in einem Punkt der Gaul durchgegangen zu sein:
So haben sie sich – offenbar den Vorstellungen des hiesigen Petrochemie-Managements folgend – auf die Entstehung von 1.000 Arbeitsplätzen in der chemischen Industrie eingelassen. Zur Einstimmung wird zunächst ein bunter Strauß an Vorhaben – z.B. Neubau eines Chlor-/Natronlaugewerks, Salzgewinnung in Etzel, Pipeline- und Crackerbau, Ausbau von Produktionskapazitäten und Zwischenlagern usw. – präsentiert, die soviel mit einem Container-Terminal zu tun haben wie das Deichschaf mit der Klappmütze. Lediglich beim letzten der insgesamt acht aufgeführten Punkte läßt sich eine plausible Verknüpfung mit der Containerverschiffung herstellen: Eine zweite Perspektive bietet die Ansiedlung von Weiterverarbeitung von Hart- und Weich-PVC in einem Chemiepark in Wilhelmshaven, ggf. aber auch einzelner Produktionsstätten an anderen Standorten in der Region. Hier ist an eine breite Produktpalette aus folgenden Branchen zu denken: KZF-Teile, IT-Branche (CD-ROM,Glasfaserkabel, Kabelummantelungen), Verpackungsindustrie. Einzelne Branchen (Kabelherstellung, Fensterprofile) sind auch bereits in der Region vertreten. Die nachgelagerte Industrie braucht den Containerhafen für den Export. An dieser Stelle schließt sich der Kreis in der Verbindung von JadeWeserPort und Entwicklung des Chemiestandortes Wilhelmshaven.
Es ist unfassbar: Mehr als zwanzig Jahre warten wir Schussel jetzt schon vergeblich auf die nachgelagerte PVC-Industrie, nur weil keiner auf die Idee kam, den Kreis zu schließen.
Doch zurück zur Sache: Ein Container-Terminal ohne Distribution nützt verarbeitenden Klein- und Mittelbetrieben inkl. der nachgelagerten „PVC-Industrie“!! mit verhältnismäßig geringem Produktionsausstoß gar nichts; es sei denn, sie können es sich leisten, teilgefüllte Container in alle Welt zu schicken. Doch GVZ mit Sortierlager und Containerpackstation werden nur an Verkehrsknotenpunkten, in möglichst dichter Nachbarschaft zu Ballungszentren betrieben. An der Jade rechnet sich aber kein GVZ, weil nur ein geringes lokales Transportgüter-Aufkommen (Loco) zu erwarten ist. Und ohne GVZ kann auch niemand ernsthaft mit der Ansiedlung Seetransport-orientierter Produktionsbetriebe rechnen -es sei denn, es findet sich ein Großproduzent, der auf keine GVZ angewiesen ist. Einen Knotenpunkt mit ausreichend Loco-Aufkommen bildet in der Nordwestregion nur Bremen.
Und weil auch der Raum Bremerhaven zu wenig Loco-Aufkommen hat, werden die nicht zur Durchfracht bestimmten Containerladungen durch die stadtbremischen GVZ bzw. durch die dortigen Sortierlager und Containerpackstationen geleitet. Und diese werden ständig ausgebaut. Zur Zeit errichtet die Bremer Lagerhausgesellschaft am Neustädter Hafen Europas größtes Hochregallager für Gebrauchsgegenstände aller Art inkl. PVC-Artikeln wie Duschmatten, Gartenschläuche u.v.m.
Hier werden die aus den Importcontainern ausgeladenen Waren neu nach Abnehmern sortiert und auf Abruf zwischengelagert bzw. Exportgüter für die Containerbeladung zielortgerecht zusammengestellt.
Bremerhavens Aufgabe in der Transportkette beschränkt sich dagegen im Wesentlichen auf die Rolle als Hub, d.h. als Umschlagmodul Schiff/Schiff bzw. Schiff/Schiene oder Schiff/Straße. Und es gibt keine Anzeichen, dass sich das mal ändert. Im Gegenteil: Dieser transportgeografische Zwilling Wilhelmshavens leidet insbesondere hinsichtlich der hafenabhängigen Beschäftigung trotz rasant wachsendem Hafenumschlag an Magersucht.
Zwischen 1990 und 1997 sank dort die Beschäftigtenzahl allein schon im Bereich Spedition, Lagerei, Kühlhäuser von 905 auf 292 Beschäftigte. Dies entspricht einer Abnahme von 67,7%. (s. Gegenwind Nr. 162)
Mit Bremerhavens Einwohnerzahl geht es unterdessen weiter steil bergab, während der Hafen boomt wie nie zuvor. Der Bevölkerungsverlust bezifferte sich im Jahre 2001 auf 1.150 Personen und die Arbeitslosigkeit ist etwa gleich hoch wie in Wilhelmshaven. Und das trotz mehrjähriger zweistelliger Wachstumsraten im Containerumschlag, der Entwicklung zum größten Autoumschlagplatz Europas sowie zu einem bedeutenden Importhafen für Kühlgüter wie Südfrüchte und Fisch.
Nun aber haben die BAW/NIW-Gutachter für Wilhelmshaven ein Ausstattungsdefizit mit hafenabhängigem Gewerbe festgestellt, das sich nach einer gewissen Betriebsdauer des JadeWeserPort an das Niveau der anderen deutschen Nordseehäfen angleichen würde. Das Beispiel Bremerhaven vermittelt jedoch umgekehrt den Eindruck, dass die Stadt an der Geestemündung tendenziell auf das Ausstattungniveau Wilhelmhavens zurückschrumpft. Und was in Bremerhaven an wertschöpfender Arbeit verloren geht, wird sich in der JadeWeserPort-Region erst gar nicht entwickeln.
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