Arbeitsloseninitiative
Aug 282002
 

Systemwechsel

Auf ihrer öffentlichen Versammlung im August erläuterte die ALI ihre Ablehnung der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe

(noa) Die „WZ“ hatte die Ankündigung erst am Tag der Veranstaltung selber gebracht – trotzdem war die öffentliche Versammlung der Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland am 13. August gut besucht. Auch die inhaltlichen Diskussionsbeiträge aus dem Publikum zeigten, dass die ALI nicht nur eine Beratungsstelle für Erwerbslose unterhält, sondern auch interessierte und engagierte Mitglieder hat.

Die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe stand auf der Tagesordnung. Zwar war zu diesem Zeitpunkt das Hartz-Konzept noch nicht veröffentlicht, doch lag eine Vorabveröffentlichung (die ALI nennt sie „Ur-Hartz“) aus dem Monat Juni vor, die seitdem von 300 auf 260 Seiten gekürzt wurde, die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und die Schaffung einer eigenständigen Organisationseinheit dafür aber weiter vorsieht.
Die Veranstaltung unterschied sich von den sonstigen monatlich stattfindenden öffentlichen Versammlungen der ALI insofern, als Gisela Gutschmidt, die Leiterin des Sozialamtes, und Dr. Rolf Lienau, Direktor des Arbeitsamtes, zusammen mit Ernst Taux von der ALI auf dem Podium saßen und mit Rüdiger Schaarschmidt ein professionellen Moderator dabei war.
Nach einleitenden Informationen der beiden Gäste zum Leistungsrahmen ihrer Ämter (siehe Kasten) begründete Ernst Taux die ablehnende Haltung der Arbeitsloseninitiative gegenüber der geplanten Reform.
Zwar nannte er keine Zahlen über die Höhe des im Hartz-Konzept vorgesehenen „Arbeitslosengeldes II“ (so soll die neue Leistung heißen), doch er erinnerte daran, dass Reformen im sozialen Bereich bislang immer Leistungskürzungen mit sich brachten.
Die monatlichen Beträge, die Arbeitslosenhilfe- und SozialhilfebezieherInnen zur Verfügung haben, sind nicht gravierend unterschiedlich, wenn man die ehemals gut Verdienenden, die nahe an die Höchstgrenzen kommen, ausnimmt. Bei einer Höhe des Arbeitslosengeldes II auf Sozialhilfeniveau würden viele Anspruchsberechtigte also monatlich nicht (oder nicht viel) weniger bekommen als bisher. Es besteht aber ein prinzipieller Unterschied zwischen beiden Leistungen: Sozialhilfe wird in einer Notlage gewährt, während der Arbeitslosenhilfe das Lebensstandardprinzip zu Grunde liegt. Ein Diskussionsteilnehmer aus dem Publikum stellte diesen Unterschied noch pointierter dar: Arbeitslosenhilfe als eine Leistung, auf die man im Anschluss an Arbeitslosengeld Anspruch hat, sei im Gegensatz zur Sozialhilfe eine Versicherungsleistung, für die man vormals Beiträge entrichtet habe. Dr. Lienau gab hier den Tipp, lieber anders zu argumentieren: Die Arbeitslosenhilfe werde nicht aus Beitragsgeldern, sondern aus Steuermitteln bezahlt und sei insofern eben keine Versicherungsleistung; wirkungsvoller sei also das Argument der Besitzstandswahrung.
Gravierend sind die Unterschiede zwischen Arbeitslosen- und Sozialhilfe bei den Freigrenzen: Das Auto, das man beim Bezug von Sozialhilfe noch behalten darf, wird kaum dazu taugen, einen Job außerhalb anzunehmen, wenn es nur noch einen Wert von 2000 EURO haben darf.
Der Berufsschutz, der vor Jahren noch gegeben war, ist nach den Reformen der vergangenen Jahre schon lange kein Thema mehr; jetzt geht es nach Taux darum, dass überhaupt Arbeit her muss, von der man leben kann, denn der Lohnstandard der Zukunft könnte unter das Niveau von Ferienjobs für Schüler rutschen.
Mit der Schaffung einer eigenen Organisationseinheit für die Bemessung und Auszahlung des Arbeitslosengeldes II sind die Modellversuche, die in einigen Städten in den letzten Jahren zur Zusammenarbeit von Arbeitsamt und Sozialamt begonnen wurden, nicht mehr aktuell. In Wilhelmshaven haben die beiden Ämter sich an dem Modellversuch nicht beteiligt, weil, so Lienau und Gutschmidt übereinstimmend, die Zusammenarbeit nicht klappen kann, und ausgehend von den gegenwärtigen rechtlichen Bedingungen wäre eine Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe nicht durchführbar. Sollte das Hartz-Papier jetzt, nach seiner öffentlichen Präsentation neulich, wie von der Bundesregierung geplant schnell Gesetz werden, wären größere Probleme zu erwarten, da die Ämter weder personell noch finanziell noch sonst in irgendeiner Weise darauf vorbereitet sind. Dennoch ist zumindest Dr. Lienau nicht prinzipiell gegen die Zusammenlegung, da sie zu verbesserten Eingliederungsmöglichkeiten führen könne.
Prinzipiell dagegen ist aber die ALI, die in den Plänen nicht nur eine Kürzung von Sozialleistungen, sondern einen Systemwechsel sieht. Im Prinzip „Fördern und Fordern“ steckt, so Taux, dass keine Leistung mehr ohne Gegenleistung gewährt werden soll: Die Grundlage für die Gewährung von Sozialhilfe soll nicht mehr die Notlage sein, sondern die Antragsteller sollen dafür arbeiten.
Zur Abwehr der drohenden Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe will die ALI nicht nur in Wilhelmshaven aktiv sein. Zum Abschluss der Versammlung erinnerte Taux an die Geschichte: 1993 war die Begrenzung der Bezugsdauer von Arbeitslosenhilfe auf 624 Tage geplant. Gewaltige Protestkundgebungen und Demonstrationen haben die Pläne damals gestoppt. Jetzt ruft die ALI zur Teilnahme an der bundesweiten Großdemonstration am 14. September in Köln auf.


Arbeitslosenhilfe

wird im Anschluss an Arbeitslosengeld gewährt. Sie beträgt 53% des letzten Nettoeinkommens für Alleinstehende und 57% für Verheiratete. Aus der Bemessungsgrenze ergibt sich ein Höchstbetrag von 1209 EURO für Alleinstehende bzw. von 1612 EURO für einen verheirateten Alleinverdiener mit einem Kind. Die BezieherInnen dürfen bis zu 20% ihrer Arbeitslosenhilfe dazuverdienen.
Wie die Sozialhilfe gibt es Arbeitslosenhilfe nur bei Bedürftigkeit; wer also einen gut verdienenden Ehepartner hat, bekommt nach dem Arbeitslosengeld nichts. Evtl. vorhandenes Vermögen muss eingesetzt werden, doch 520 EURO pro Lebensjahr bleiben davon ausgenommen. Wer Arbeitslosenhilfe bezieht, bleibt, wenn auch in sehr bescheidenem Rahmen, rentenversichert.
Ihm/ihr sind Arbeitsstellen zumutbar, die den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes entsprechen; das Entgelt darf nicht unter der Arbeitslosenhilfe liegen. Tagespendelzeiten bis zu 21/2 Stunden müssen akzeptiert werden.
Die Hilfe zum Lebensunterhalt, wie die Sozialhilfe amtlich heißt, soll den notwendigen Lebensunterhalt sichern. Die Regelsätze richten sich nach Altersklassen. Ein alleinstehender Erwachsener bekommt z.Zt. monatlich 293 EURO plus Miete (höchstens 240 EURO) plus Heizkosten (51 EURO), also 584 EURO maximal. Für Schwangere, allein Erziehende oder bei Krankheit gibt es Mehrbedarfszuschläge. Einmalige Beihilfen gibt es zu Weihnachten, für Bekleidung und für Haushaltsgegenstände. Vorhandenes Vermögen muss in erheblich höherem Umfang eingesetzt werden als bei der Arbeitslosenhilfe: Nur 1279 EURO für einen Haushaltsvorstand, 614 EURO für eine im Haushalt lebende Person bzw. 256 EURO pro Kind bleiben davon ausgenommen.
Eigene Einkünfte werden abgezogen; wer also z.B. 400 EURO Arbeitslosenhilfe hat, bekommt ergänzende Sozialhilfe in Höhe von 184 EURO. In Wilhelmshaven gibt es 400 Personen, deren Arbeitslosenhilfe unter Sozialhilfeniveau liegt und die deswegen ergänzende Sozialhilfe bekommen.


Aufruf der ALI zur Teilnahme an der Demonstration in Köln

Eine Abschaffung der Arbeitslosenhilfe wäre der schwerste und folgenreichste Einschnitt in das bundesweite Wirtschafts- und Sozialsystem in den letzten Jahren:

Arbeitslose und deren Familien würden in die Sozialhilfe gedrängt. Armut, Niedriglohnjobs und ungeschützte Beschäftigung wären deren Perspektive. Dies beträfe ebenso die (noch) Erwerbstätigen, die in Zukunft arbeitslos werden.
Auf die Arbeitseinkommen und Arbeitsbedingungen der Erwerbstätigen würde durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe ein immenser Druck ausgeübt, weil Erwerbslose zur Annahme schlechtester Arbeitsbedingungen gezwungen wären.

Darum auf nach Köln zur bundesweiten Großdemonstration am 14. September

Der zentrale Aktionstag steht unter dem Motto „Her mit dem schönen Leben – eine andere Welt ist möglich!“
Veranstalter sind Attac, die Jugendorganisationen von ver.di, IG Metall, IG BAU, Transnet, NGG in Kooperation mit dem Runden Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen und der Friedensbewegung.


Man kann sich anmelden bei der Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland, Kieler Straße 63, 26382 Wilhelmshaven, Telefon 04421/180130 und nach der Abfahrtszeit fragen. Die Gewerkschaft ver.di stellt einen kostenlosen Bustransfer.

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